Hamburg. Das Motto, das die Linken-Bundestagsfraktion für ihre Klausur im Kongresszentrum am Berliner Alexanderplatz gewählt hatte, wirkte wie eine unfreiwillige Beschwörung. "Sozial, gerecht und friedlich", so wollte die Partei das politische Jahr eigentlich einläuten. Doch anstatt sich mit Inhalten oder dem politischen Gegner zu beschäftigen, mussten die Spitzen von Partei und Fraktion erst einmal das eigene Personal zur Ordnung rufen.
Für Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch könnte die Klausur der Anfang vom Ende seiner Amtszeit gewesen sein. Offen bezichtigte ihn Fraktionschef Gregor Gysi der Illoyalität gegenüber Parteichef Oskar Lafontaine. Durch Bartsch sei in der Partei ein "unerträgliches Klima der Denunziation" entstanden, sagte Gysi. Bartsch habe interne Details an das Nachrichtenmagazin "Spiegel" weitergegeben, so der Parteichef weiter. Hätte Bartsch diesen Fehler nicht begangen, wäre der parteiinterne Führungsstreit auch nicht eskaliert. Nun müsse das Problem besprochen werden, ohne jemanden zu demütigen. Dennoch: Die Lösung werde "wehtun". Es gehe nicht um einen sofortigen Rücktritt von Bartsch, sondern darum, ob dieser wieder für das Amt auf dem Parteitag im Mai antreten werde. Auf dem steht jedoch nicht nur die Personalie Bartsch an, sondern auch die Wahl der Parteispitze. Noch hält sich der erkrankte Lafontaine bedeckt, was seine weiteren Pläne angeht.
Schon in Kürze werde Lafontaine sich äußern, kündigte Gysi derweil an. "Es wird nicht allzu lange dauern bis zu einer Entscheidung." Dies mache Lafontaine nach seiner Krebsoperation aber ausschließlich von seiner gesundheitlichen Verfassung abhängig. Selbst wenn Lafontaine auf dem Bundesparteitag im Mai nicht erneut wieder als Parteivorsitzender kandidieren und nicht im Bundestag bleiben sollte, werde er Einfluss auf die Bundespolitik nehmen. Lafontaine hatte Anfang Oktober den Fraktionsvorsitz, den er sich mit Gysi teilte, überraschend abgegeben. Den Parteivorsitz behielt er inne.
Gysi sprach sich zugleich gegen Rücktritte aus. "Natürlich brauche ich Loyalität - auf der anderen Seite können wir Verdienste von Leuten nicht vergessen", sagte er mit Blick auf Vorwürfe, Bartsch habe gegenüber Lafontaine illoyal gehandelt.
Bartsch selbst wollte gestern keinen Zweifel an seiner Loyalität gegenüber Lafontaine aufkommen lassen. Zwar hätten Lafontaine und er "in der einen oder anderen Frage eine unterschiedliche Sicht gehabt", sagte er dem ZDF. Aber bei den politischen Themen "haben wir an einem Strang gezogen". Er habe immer gesagt, dass Lafontaine im Mai erneut für den Vorsitz kandidieren werde. Es werde "nicht zu der Frage Oskar Lafontaine oder Dietmar Bartsch kommen".
Bodo Ramelow, Linken-Fraktionschef in Thüringen, riet der Partei generell zu mehr Offenheit: "Wir müssen es aushalten, im Westen den Charakter einer Oppositionspartei zu haben und im Osten eine regionale Volkspartei zu sein", sagte Ramelow dem Abendblatt. "Wir sind eine pluralistische Partei, die alle ihre unterschiedlichen Strömungen akzeptieren muss." Er habe "diese Querelen erwartet". "Wir hätten viel früher in eine Programmdebatte einsteigen sollen." Er forderte die Partei auf, mehr Frauen in die Führung der Partei einzubinden. "Eine starke weibliche Stimme hätte unserer Partei in diesem Führungsstreit gutgetan. Hätten wir mehr Frauen an der Spitze, wären wir anders miteinander umgegangen", so Ramelow. "Wir sollten mehr denn je unsere Satzung dahin gehend ändern, dass wir im Parteivorsitz und in der Fraktionsführung jeweils eine Frau haben."