Die Nachfolgerin von Guido Westerwelle über Steuersenkungen, das Erscheinungsbild von Schwarz-Gelb und eine mögliche Afghanistan-Strategie.
Hamburg. Abendblatt: Frau Homburger, welche Vorsätze haben Sie für 2010 gefasst?
Birgit Homburger: (lacht) Keine, wie immer. Man hält sich eh nicht daran.
Abendblatt: Sie hätten sich vornehmen können, das Land anständig zu regieren ...
Homburger: Das wird diese Koalition sowieso tun.
Abendblatt: Union und FDP streiten auf allen Feldern ...
Homburger: Das Ergebnis zählt. Wir setzen um, was wir vor der Wahl versprochen und im Koalitionsvertrag verankert haben. Das fängt an mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Bürger und Unternehmen entlastet. Ich gebe allerdings zu: Die Außendarstellung der Koalition ist verbesserungsbedürftig. Permanent verbreitet irgendjemand eine abweichende Meinung. Das muss im neuen Jahr definitiv anders werden. Wir wollen, dass Deutschland zu der Aufbruchstimmung zurückfindet, die es vor der Bundestagswahl gab.
Abendblatt: Bundestagspräsident Lammert sagt, die Regierungsparteien verbinde bestenfalls der Ehrgeiz, ihre jeweiligen Steckenpferde gegeneinander in Stellung zu bringen. Gar nicht schlecht beobachtet, oder?
Homburger: Diese Analyse teile ich ausdrücklich nicht. Wir haben große Einigkeit in vielen Themen. Es ist schon bemerkenswert, dass man in diesem Land kritisiert wird, wenn man Wahlversprechen hält. Die FDP-Bundestagsfraktion wird genau darauf achten, dass die liberale Handschrift des Koalitionsvertrags sich im Gesetzblatt wiederfindet.
Abendblatt: Wo ist die gemeinsame Vision, die Union und FDP zusammenhält?
Homburger: Wir wollen mehr Chancen für mehr Menschen in Deutschland. Wir setzen Impulse, um sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Wir investieren mehr in Bildung - im Gegensatz zur Großen Koalition. Kurz: Wir wollen einen Aufbruch in Deutschland.
Abendblatt: Muss der Vizekanzler ein Machtwort sprechen, wenn es die Kanzlerin nicht tut?
Homburger: Es geht nicht um Machtworte. Jedem in der Koalition muss klar werden, dass man für das, was man will, auch eintreten muss. Ich sage das auch an die Adresse von Herrn Lammert: Mit Selbstzweifeln überzeugt man niemanden. Die Politik, die Union und FDP vereinbart haben, tut dem Land gut. Ich erwarte, dass in dieser Koalition vertreten wird, was im Koalitionsvertrag steht.
Abendblatt: Kennen Sie jemanden außerhalb der Koalition, der das Wachstumsbeschleunigungsgesetz für gelungen hält?
Homburger: Durchaus. Wirtschaftswissenschaftler, Journalisten.
Abendblatt: Sie senken die Mehrwertsteuer für Hoteliers. Was soll da wachsen - außer dem Vermögen der Gastronomen?
Homburger: Darum geht es nicht. Wir wollen Ausbildungs- und Arbeitsplätze in den Hotels sichern. Wir machen das nicht für irgendwelche Hotelketten, sondern vor allem für die mittelständischen Hotelbetriebe. Das Dienstleistungsgewerbe leidet am meisten unter der Wirtschaftskrise. Uns geht es darum, Wettbewerbsnachteile auszugleichen, die Hoteliers entlang der deutschen Grenzen haben.
Abendblatt: Sehen Sie immer noch Spielraum für eine große Steuerreform?
Homburger: Ich bestehe auf die Einhaltung des Koalitionsvertrags. Darin haben wir eine grundlegende Steuerreform vereinbart.
Abendblatt: Unabhängig von Steuerschätzungen?
Homburger: Natürlich. Wir werden die Bürger von 2011 an jährlich um 24 Milliarden Euro entlasten. Außerdem werden wir einen Stufentarif einführen. Wir haben seriös gerechnet und ganz solide nur das vereinbart, was machbar ist.
Abendblatt: Wenn Sie die neue Schuldenbremse im Grundgesetz ernst nehmen, müssen Sie sparen. Wo haben Sie das vor?
Homburger: Wir werden die Schuldenbremse einhalten. Dazu müssen wir uns anschauen, wo im Bundeshaushalt dauerhafte Einsparungen möglich sind. Dabei geht es nicht nur um Streichungen, sondern um strukturelle Änderungen. Ziel ist die Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Kosteneinsparung. Hier sehe ich beispielsweise bei der Bundesagentur für Arbeit oder auch im Etat des Familienministeriums Potenzial. Außerdem müssen alle Subventionen auf den Prüfstand.
Abendblatt: Was ist mit den Sozialbeiträgen, etwa zur Arbeitslosenversicherung?
Homburger: Eine Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge ist mit der FDP nicht zu machen. Wir lassen nicht zu, dass die Sozialversicherungsbeiträge über 40 Prozent steigen.
Abendblatt: Die FDP trifft sich zum traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart. Freuen Sie sich auf das Wiedersehen mit Guido Westerwelle?
Homburger: Es gab in den letzten Wochen Zeiten, da sah ich ihn öfter als meinen Mann. Wir haben einen sehr engen Draht. Wir telefonieren regelmäßig und schicken uns SMS.
Abendblatt: Wer kümmert sich um die Partei, wenn ihr Vorsitzender in der Welt unterwegs ist?
Homburger: Der Parteivorsitzende ist ja nicht aus der Welt. Außerdem gibt es eine Fraktionsvorsitzende und jetzt auch wieder einen Generalsekretär.
Abendblatt: Frau Homburger, Sie befassen sich intensiv mit dem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Was erwarten Sie von der internationalen Konferenz im Januar?
Homburger: Eine klare Strategie der Staatengemeinschaft, die den Schwerpunkt auf den Wiederaufbau legt. Wir wollen die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, vor allem der Polizei, drastisch verstärken. Wir müssen die Regierung in Kabul so schnell wie möglich in die Lage versetzen, selbst für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Das eröffnet die nötige Abzugsperspektive.
Abendblatt: Wie lange kann die Bundeswehr gegen den Willen einer Mehrheit der Deutschen in Afghanistan bleiben?
Homburger: Niemand will länger in Afghanistan bleiben als unbedingt nötig. Es kann nicht darum gehen, eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu etablieren. Ziel muss sein, Afghanistan so stabil zu machen, dass von dort keine Bedrohung mehr ausgeht.
Abendblatt: Ist die Bundesregierung bereit, weitere Soldaten an den Hindukusch zu schicken?
Homburger: Die Frage nach einer Aufstockung des deutschen Kontingents stellt sich im Augenblick nicht. Solange wir nicht wissen, wie die Strategie der internationalen Gemeinschaft aussieht, ist diese Frage nicht zu beantworten. Deutschland übernimmt heute schon extrem viel Verantwortung in Afghanistan - weit über die Nordregion hinaus. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Deshalb erwarten wir von der afghanischen Regierung, dass sie darlegt, wie sie ihrer Verantwortung gerecht werden will. Internationale Hilfe ist keine Einbahnstraße.
Abendblatt: Die USA und die Nato erwarten von der Bundesrepublik mehrere Tausend Soldaten zusätzlich.
Homburger: Das halte ich für völlig unrealistisch. Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.
Abendblatt: Ist eine Berufsarmee für Auslandseinsätze besser geeignet als eine Wehrpflichtarmee?
Homburger: Die Bundeswehr ist schon heute eine Armee im Einsatz. Es wäre daher folgerichtig und sinnvoll, die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umzuwandeln. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate, die Union und FDP vereinbart haben, hat damit nichts zu tun. Sie passt die Dienstzeit den Realitäten an.
Abendblatt: Steht die Bundeswehr bald auch im Jemen? Die USA sehen das Land als neue Front im Kampf gegen den Terror.
Homburger: Nein. Wir waren schon vor dem Anschlagsversuch auf ein amerikanisches Passagierflugzeug sehr besorgt über den Zerfall staatlicher Strukturen im Jemen. Zur Stabilisierung des Jemen muss es politische Bemühungen geben.
Abendblatt: Ist der Kampf gegen den Terrorismus überhaupt zu gewinnen?
Homburger: Ich fürchte, dieser Kampf wird uns die nächsten Jahrzehnte begleiten.