Potsdam. Als Matthias Platzeck Anfang November in Brandenburg ein Regierungsbündnis mit der Linken einging, sah er darin seinen Beitrag zur Versöhnung mit den SED-Erben. Wer sich zu "tätigem Neubeginn" bereit finde, so der SPD-Politiker in einem "Spiegel"-Essay, müsse Demokraten willkommen sein. Vorausgesetzt, er sei "charakterlich geeignet".
Man darf annehmen, dass Platzeck die eigenen Worte inzwischen in den Ohren dröhnen, denn die Linke hat sein Vertrauen durch nichts gerechtfertigt. Im Gegenteil. "Ausgesprochen schmerzlich" seien die immer neuen Stasi-Enthüllungen über Abgeordnete des Koalitionspartners, sagt der Ministerpräsident, und dass er sich "persönlich getäuscht" fühle. Platzeck sieht sich sogar genötigt, heute eine Regierungserklärung abzugeben. Einziges Thema: die Linksfraktion und ihr Umgang mit der Vergangenheit. Um 10 Uhr wird Platzeck im Potsdamer Landtag sprechen, danach ist die Debatte eröffnet. Was die Vertreter der Oppositionsparteien sagen werden, steht jetzt schon fest: Sie werden Neuwahlen fordern.
Tatsächlich erschüttern bereits sieben Stasi-Fälle die rot-rote Koalition. Die von der Linken gestellte Landtagsvizepräsidentin ist zurückgetreten, eine Linksparteiabgeordnete hat ihr Mandat niedergelegt, ein anderer hat Staranwalt Peter-Michael Diestel eingeschaltet, ein Dritter redet von "Rufschädigung", die Übrigen klammern sich an ihre Stühle. Und während die Fraktionsvorsitzende immerhin zugibt, dass ihre Partei den Schaden selbst angerichtet hat, redet ihr Stellvertreter von Menschen, die trotz einer in der Partei existierenden Verpflichtung "die Kraft nicht hatten", ihre Stasi-Verstrickungen öffentlich zu machen.
Hält die rot-rote Koalition? Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Ziegler, meinte gestern, mittlerweile könnten die Abgeordneten der Linken mit Stasi-Vergangenheit eine eigene Fraktion gründen. Mit einem solchen Partner könne nicht regiert werden. Ziegler ist nicht irgendwer: Sie ist in Brandenburg lange Ministerin gewesen.
Die Linkspartei beteuert unterdessen, neue Enthüllungen seien nicht zu befürchten: Inzwischen hätten sich "alle erklärt, die sich erklären müssten". Um Ruhe in die Koalition zu bringen, soll heute Irene Wolff-Molorciuc für Renate Adolph in den Landtag nachrücken. Damit wäre die 26-köpfige Fraktion - zunächst - wieder komplett. Andererseits soll Gerd-Rüdiger Hoffmann gehen. Partei- und Fraktionsspitze haben den 57-Jährigen, der der Stasi unter dem Decknamen "Schwalbe" diente, vergeblich aufgefordert, sein Landtagsmandat niederzulegen. Jetzt will ihn die Linke aus der Fraktion ausschließen. In der SPD liegen die Nerven nach den linken Chaos-Tagen blank. Als am Mittwoch der vorerst letzte Stasi-Fall in der Linksfraktion bekannt geworden war - es handelte sich um den Abgeordnete Michael-Egidius Luthardt, der dem Wachregiment "Feliks Dzierzynski" gedient hat, einer Eliteeinheit, die gewissermaßen der bewaffnete Arm des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen ist -, sprach SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Kralinski von einer "Hetzjagd". Fraktionschef Dietmar Woidke hielt der Birthler-Behörde vor, "Akten über einzelne Abgeordnete ohne deren Wissen an interessierte Medien" herausgegeben und damit "das vom Landtag selbst gewählte transparente Verfahren" konterkariert zu haben.
Aus Sicht der FDP öffnet die Linke "immer neue Stasi-Türchen im Adventskalender", für die CDU ist das Maß voll. Der Generalsekretär der Bundes-CDU, Hermann Gröhe, meinte gestern, Platzeck habe heute die Chance zuzugeben, dass das rot-rote Experiment vor dem moralischen Bankrott stehe; er solle die Möglichkeit zum Ausstieg aus dieser Koalition nutzen. Nach den Worten von Brandenburgs Regierungssprecher Thomas Braune sind entsprechende Spekulationen "absoluter Quatsch".