„Zu lange Studienzeiten, zu viele Abbrecher, zu schlechte Studienbedingungen.“ Der Bundespräsident kritisierte Bund und Länder.
Leipzig. Das war die Ruck-Rede, auf die viele Studenten gewartet haben. Bundespräsident Horst Köhler hat Bund und Ländern in ungewohnt scharfer Form vorgeworfen, zu wenig Geld in die Bildung zu investieren. Köhler hat Verständnis für die Studenten-Proteste gezeigt. „Deutschlands Aufwendungen für den Hochschulbereich sind seit Jahren unterdurchschnittlich, die chronische Unterfinanzierung wird in schlechten Betreuungsquoten, maroden Gebäuden und mangelnder Infrastruktur für Forschung und Lehre sichtbar“, sagte Köhler zum 600. Geburtstag der Universität Leipzig.
In Leipzig waren die Proteste gegen den sogenannten Bologna-Prozess besonders heftig. Köhler kritisierte diejenigen in Bund und „vor allem“ in den Ländern, die geglaubt hätten, man könnte das Hochschulwesen kostenneutral umbauen, vielleicht sogar durch die Einführung der Bachelor-Studiengänge Geld sparen.
Es sei gut, dass Bund und Länder sich darauf verständigt hätten, zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung zu investieren. „Wenn nun aber so lange gerechnet wird, bis das Ziel nominal erreicht scheint, ohne wirklich mehr Geld in die Hand zu nehmen, dann lässt das daran zweifeln, ob den Worten wirklich Taten folgen“, kritisierte Köhler. „Wir brauchen die Kraft, Prioritäten zu setzen.“
Die Länder seien die Hauptzuständigen für die Hochschulen, sagte Köhler. „Vor allem sie müssen das Thema zur Chefsache machen und können die Verantwortung nicht einfach weiterreichen an die Hochschulen, denen sie zwar mehr Freiheit gewährt haben, ohne das aber wirklich mit einem neuen Aufbruchsimpuls und mit den nötigen Ressourcen zu unterlegen“. Manche Hochschulen hätten den Reformauftrag dann auch nur nach der Devise umgesetzt: „Alter Wein in neuen, übervollen Schläuchen“.
Köhler zeigte Verständnis für die Studentenproteste: Die Klage der Studierenden müsse nicht wundern, da das enge Korsett mancher Studien- und Prüfungsordnungen ihnen zu wenig Freiraum gebe und da Leistungen, die sie anderenorts erbracht hätten, nicht oder nur mühevoll anerkannt würden.
Köhler erklärte, der Umbau des Hochschulsystems sei notwendig: „zu lange Studienzeiten, zu viele Abbrecher, zu schlechte Studienbedingungen, zu wenig Unterstützungsangebote, zu wenig Chancengerechtigkeit. So konnte es nicht weitergehen.“
Die größte Baustelle im Hochschulwesen sei derzeit der Bologna-Prozess, sagte Köhler. Mit der Umsetzung sei man aber in Deutschland nach zehn Jahren längst nicht da, „wo wir sein sollten“. Für die Bologna-Reform wie für das „Megathema Bildung“ insgesamt gelte: „Wir brauchen an vielen Stellen mehr Ehrgeiz und mehr Mitmacher. Die Frage, wie wir unsere Hochschulen weiterentwickeln, ist auch ein Lackmus-Test dafür, wie ernst wir es wirklich meinen mit dem Ziel: der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.“
Köhler forderte die Einstellung von mehr Dozenten: „Wenn die Hochschulen mehr jungen Menschen offen stehen sollen – auch solchen, die nicht auf dem klassischen Weg über das Abitur kommen –, wenn die Betreuung in den Hochschulen insgesamt wirklich besser werden soll, dann brauchen wir mehr engagiert Lehrende.“ Darüber hinaus forderte Köhler eine Exzellenzinitiative für die Lehre. (HA/AP)