Berlins Bildungssenator Zöllner will weitreichende Folgen der Entscheidung verhindern.
Berlin. Der Berliner Senat legt gegen das „Gebetsraum“-Urteil Berufung ein. Bei diesem „Einzelfall von grundsätzlicher Bedeutung“ komme er hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Klägers und den Auswirkungen auf den Schulbetrieb zu einer anderen Bewertung als das Gericht, erklärte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) am Donnerstagabend in der Bundeshauptstadt. Zudem hätten die Schulen ständig einen „schwierigen Abwägungsprozess“ vornehmen. Da müssten sie sich darauf verlassen können, „dass wir sie nicht alleine lassen“.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte Ende September einem 16-jährigen, muslimischen Schüler eines Weddinger Gymnasiums erlaubt, jeden Mittag seiner religiösen Gebetspflicht nachzukommen. Der Schulleitung bleibe es überlassen, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, falls sie einen demonstrativen oder werbenden Charakter des Gebets befürchte.
Die Richter bestätigten damit einen bereits im März 2008 ergangenen Eilbeschluss. Die Senatsverwaltung hatte dagegen auf die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität verwiesen und sich gegen die Zulassung des Mittagsgebets ausgesprochen. Zudem seien die Schulen nun faktisch zum Einrichten von Gebetsräumen verpflichtet.
Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung hatte das Verwaltungsgericht allerdings die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg zugelassen. Am Freitag läuft die Frist hierfür ab. Mit der OVG-Entscheidung ist frühestens in einigen Monaten zu rechnen. Der Berliner Fall war der erste, bei dem sich ein Schüler das Recht auf ein Gebet innerhalb des Schulgeländes erstritten hat.
Der Schüler Yunus M. hatte geklagt, nachdem ihm das öffentliche Gebet zusammen mit mehreren Schülern im Flur des Diesterweg-Gymnasiums untersagt worden war. Yunus M. ist Sohn muslimischer Eltern. Seine Mutter ist Türkin, sein Vater Deutscher. In seiner Stellungnahme vor Gericht hatte der Schüler betont, das Gebet sei seine religiöse Pflicht und er müsse die Gebetszeiten fünf Mal pro Tag einhalten. Wie die Schulleiterin des Gymnasiums, Brigitte Burchardt, berichtete, habe der klagende Schüler die ihm nach der Gerichtsentscheidung die zugestandene Gebetsmöglichkeit allerdings nur „äußerst selten“ wahrgenommen.
Die Schule habe in diesem Fall richtig gehandelt, unterstrich Senator Zöllner. Dem Wunsch von Schülern nach einer Gebetsmöglichkeit sei sie sogar zunächst nachgekommen, bis dies zu Konflikten zwischen zwei Gruppen muslimischer Mädchen geführt habe. Diese Folgen für den Schulalltag müssten bedacht werden, wenn dem Recht auf freie Religionsausübung Vorrang gegenüber dem Erziehungsauftrag der Schule eingeräumt werde. Auch sei vom Verwaltungsgericht ein theologisches Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt worden, das Schülern die Zusammenlegung islamischer Ritualgesetze sehr wohl zugesteht.
In einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage informiert die Berliner Senatsschulverwaltung, dass es mittlerweile auch an zwei weiteren Oberschulen im Stadtbezirk Mitte Anfragen von muslimischen Schülern nach Gebetsmöglichkeiten gebe. Darüber sei aber bislang noch nicht entschieden worden. Bereits 2001 habe es einen ähnlichen Fall gegeben, der sogar zur Bedrohung des Schulleiters geführt habe. Daraufhin sei die Polizei eingeschaltet worden.