Die Klausurtagung am Wochenende soll den Durchbruch im Streit um die Höhe der Steuerentlastungen bringen.
Berlin. Es ist kurz nach eins, als Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) als einer der ersten Unterhändler das Gebäude der nordrhein-westfälischen Landesvertretung verlässt. Knapp drei Stunden hat dort zuvor das dritte Treffen der großen Runde der Koalitionsverhandlungen von Union und FDP gedauert. Wulff will nicht viele Worte verlieren, er drängt zum Auto. Wann denn nun "mehr Netto vom Brutto" verkündet werde, ruft ihm da einer aus der Traube der wartenden TV-Teams zu. Wulff stutzt und kontert: "Es sind ja schon einige Dinge beschlossen worden, wie wir vorhin gehört haben."
Ironisch meint er das. Denn Wulff weiß genau: Von Steuersenkungen für Leistungsträger war wieder einmal nicht die Rede, als die drei Generalsekretäre von CDU, FDP und CSU wenige Minuten zuvor vor die Kameras getreten waren, um mediengerecht das einzig greifbare Ergebnis dieses Verhandlungstages zu verkünden - die Ausweitung des Schonvermögens und der Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger. Dass sich Union und Liberale auf diese Änderungen würden einigen können, war zwar schon vor Beginn der Gespräche klar. Doch wenn man sonst schon nichts zu verlautbaren hat, dann ist es allemal besser, dieses Ergebnis als großen Verhandlungserfolg anzupreisen, als mit leeren Händen vor die Öffentlichkeit zu treten.
Außerdem passt die Reform zu dem intern ausgegebenen Motto, bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 möglichst gar nichts in Angriff zu nehmen, das irgendwie nach Einschnitten, Belastungen und sozialer Kälte aussieht. Die Wiederwahl von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und damit auch die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit soll nicht gefährdet werden.
"Diejenigen, die fleißig sind, sollen durch das Hartz-IV-System nicht bestraft werden", gibt CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla also die Deutungslinie vor, und sein Kollege Dirk Niebel von der FDP attestiert: "Das schafft mehr Gerechtigkeit." Die entscheidende Frage, wie stark Bürger und Unternehmer in Zukunft steuerlich entlastet werden können, bleibt also weiter ungeklärt. Nur, dass es zum Jahreswechsel wohl ein "steuerliches Sofortprogramm" geben soll, sickert durch. Und dass dann neben Korrekturen bei der Erbschafts- und Unternehmenssteuer auch erste Änderungen an der Einkommenssteuer vorgesehen sind.
Wie viel Entlastung dies wirklich bedeutet, darüber wollen die Verhandlungspartner am Wochenende übereinkommen. Kein leichtes Unterfangen. Nachdem es zwischenzeitlich so ausgesehen hat, als würden die Liberalen einsehen, dass die Spielräume eng sind, wird jetzt ein Brief von FDP-Chef Guido Westerwelle an seine Parteimitglieder und Anhänger bekannt. Darin heißt es: "Es bleibt bei unserem Programm für faire Steuern und Entlastungen für Familien. Lassen Sie sich von angeblichen Wasserstandsmeldungen nicht beeindrucken. Entscheidend ist das Ergebnis."
Am kommenden Sonntag, heißt es, könnten eventuelle einzelne Ergebnisse bekannt gegeben werden - das schwarz-gelbe Komplettpaket aber noch nicht. Man wolle die verbleibende Zeit bis zum Freitag kommender Woche nutzen, erst dann soll auch der Ressortzuschnitt der neuen Bundesregierung und die Besetzung der Ministerposten geklärt sein.
Die Koalitionsrunde legte auf ihrem dritten Treffen auch den Ablauf der Klausurberatungen am Wochenende fest. Danach trifft sich die große Runde am Freitagnachmittag um Punkt 14 Uhr. Dann sollen die Ergebnisse aller Arbeitsgruppen genau unter die Lupe genommen werden. Da sich abzeichnet, dass einzelne Streitfragen sich nur im kleinen Kreis lösen lassen, wird die große Arbeitsgruppe am Sonnabendnachmittag zunächst auseinandergehen. Dann ist es an der Zeit, dass die drei Parteivorsitzenden - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) - Einzelgespräche mit den Vorsitzenden der jeweiligen Arbeitsgruppen beginnen können. Am 21., 22. und 23. Oktober wollen die künftigen Koalitionäre letzte Details klären.
Seehofer gibt sich beschwörend optimistisch: "Es wird alles gut. Die Verhandlungen laufen sehr beachtlich."