Was für Angela Merkel (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der mit Spannung erwarteten Livesendung am Sonntagabend auf dem Spiel steht.
Berlin. In den Zentralen von CDU und SPD ist man seit Tagen dabei, die Bedeutung des TV-Duells zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) herunterzuspielen.
Aus dem Konrad-Adenauer-Haus heißt es nur kurz und bündig, die Kanzlerin bereite sich auf jedes Interview vor - so auch auf dieses. Und ihr Konterpart lässt offiziell wissen, seine Formel für einen gelungenen Auftritt laute: "Am Sonntag keine Termine, ausschlafen, Zeit mit der Familie verbringen und sich in Ruhe auf das Duell einstimmen."
Das ist angesichts des großen Erwartungsdrucks, unter dem vor allem Steinmeier steht, geradezu kokett. Und spiegelt nicht annähernd die Bedeutung, die die Strategen der Sendung, die ab 20.30 Uhr gleichzeitig auf ARD, ZDF, Sat.1 und RTL zu sehen sein wird, beimessen. Die Kommentare im Vorfeld sind eben bereits Teil der Inszenierung - und cool zu bleiben scheint offenbar die erste Duellantenpflicht zu sein.
Intern aber messen die Wahlkampfmanager der Sendung genauso viel Wichtigkeit bei, wie sie die Landtagswahlen am 30. August hatten. Das hängt zunächst einmal mit der erwarteten Sehbeteiligung von 20 Millionen Zuschauern zusammen, die sonst nur große Fußballspiele erzielen. Eine so große Plattform zur Selbstpräsentation haben die Kontrahenten nicht noch einmal.
Und: Selbst wenn sich beide ähnlich wenig aneinanderreiben wie sonst, so bedeutet ihr Zusammentreffen vor den Augen eines Großteils der TV-Nation doch einen Scheitelpunkt. An dem es für Steinmeier - theoretisch - viel zu gewinnen und für die hoch favorisierte Kanzlerin ebenso theoretisch etwas zu verlieren gibt. Steinmeier muss trotz großkoalitionärer Kooperation manchmal einen Angriff wagen. Und Merkel wird versuchen, ihren präsidialen Stil zur Schau zu stellen und manches an sich abprallen zu lassen. Laut ARD-Deutschlandtrend erwarten 64 Prozent der Zuschauer, dass sie besser abschneidet. Das kann auch eine Bürde sein.
Um gut präpariert zu sein, überlässt man in den Zentralen möglichst nichts dem Zufall. Die Themenfelder wurden von den beteiligten Fernsehanstalten bereits vor knapp zwei Wochen übermittelt, aber natürlich nicht die konkreten Fragen der Moderatoren. Seitdem grübelt man in den Wahlkampfetagen, wie mögliche Antworten und Finten ausfallen könnten - und wie darauf am geschicktesten zu reagieren wäre.
Zusätzliche Spannung speist sich aus dem knappen Rennen zwischen den Lagern Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün, das die Umfragen inzwischen abbilden. "Ein vergleichsweise geringer, aber durchaus wahlentscheidender Teil der Wähler ist natürlich grundsätzlich noch offen in seiner Entscheidung", weiß Matthias Jung von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Seine These: Schon geringe Verschiebungen könnten den Wahlausgang noch verändern.
Die "extreme Typengleichheit" von Merkel und Steinmeier birgt nach Auffassung des Berliner Medienpsychologen Jo Groebel die Chance, dass die Sendung aus dem einstigen DDR-Fernsehstudio in Berlin-Adlershof den "Blick auf die reale Politik lenkt". "Der ganze Zinnober um die Frage, wer wo im Studio sitzt und welche Krawatte man anhat, ist unwichtiger denn je und überhaupt nicht wahlentscheidend", sagte Groebel dem Hamburger Abendblatt. "Die Zuschauer sind an professionelle politische Kommunikation im Fernsehen gewohnt", so Groebel weiter.
Die Chance der beiden Kandidaten bestehe darin, "ohnehin vorhandene Sympathien im positiven Sinne zu stärken und so Anhänger für den Wahlsonntag zu mobilisieren. Das bedeutet: Wir werden auf keinen Fall zwei völlig verwandelte Kontrahenten erleben. Es wäre etwa geradezu absurd, wenn Herr Steinmeier in der Sendung plötzlich wieder versucht, den Schröder zu geben. Bei Angela Merkel besteht die kleine Gefahr, dass sie das Nüchtern-Mechanistische überbetont, obwohl sie in der Lage ist, mädchenhaften Charme aufscheinen zu lassen. Auch Steinmeier könnte davon profitieren, dosiert jungenhaft aufzutreten."
Die Sendung werde schon deshalb spannend werden, weil "die Kandidaten unter besonders hohem Druck stehen und weil jeder auf jede Nuance achtet". Allen voran natürlich die 600 akkreditierten Journalisten, die das Geschehen live in einer Nebenhalle verfolgen. Unter sie mischen sich die Spindoktoren der Parteizentralen, die sofort nach Ende der Übertragung ausschwärmen wollen, um ihren Anführer/ihre Anführerin zum Sieger zu erklären. Die mediale Aufbereitung der Sendung hat aus Sicht der Strategen ebenso große Bedeutung wie die Übertragung selbst.
Bislang scheint jedoch die allgemeine Aufregung geringer zu sein als vor vier Jahren. Damals galt das TV-Duell zwischen dem amtierenden Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und der Gegenkandidatin Merkel als einigermaßen wahlentscheidend. Bis in die Details wurde seinerzeit an den kleinsten Regularien gefeilt. Heute sind die beiden politischen Lager lockerer geworden: Die schriftlichen Vereinbarungen zum Ablauf der Sendung umfassen gerade noch anderthalb Seiten.
Fest steht, dass Steinmeier kurz nach 20.30 Uhr die Runde im Studio B eröffnen darf. Als Ausgleich hat Merkel nach 90 Minuten das letzte Wort. Beide stehen in 2,40 Meter Abstand an denselben silbrigen Pulten wie vor vier Jahren - Merkel links, Steinmeier rechts. Außer Papier und Stift darf nichts mitgebracht werden. Und in jedes Pult ist eine Uhr eingebaut, die genau zählt, wer bislang wie lange gesprochen hat. Für jede Antwort gibt es 90 Sekunden Zeit. Am Ende soll der Unterschied in den Gesamtredezeiten der Kontrahenten maximal eine Minute betragen.