Jetzt lernt der zurückgetretene Ministerpräsident die Einsamkeit der Entmachteten kennen. Und dass die Beileidsbekundungen aus der eigenen Partei kaum etwas anderes sind als Krokodilstränen, wird er wissen.
Berlin. Es ist ein jäher Fall von Angela Merkel wichtigstem Ost-Politiker zum Vorruheständler. Der der Mann aus dem thüringischen Eichsfeld hat sich 20 Jahre lang in der Politik aufgehalten. Immerhin kann er von sich sagen, den Entscheidungen anderer zuvorgekommen zu sein. Althaus hat seinen Rücktritt überraschend und aus freien Stücken erklärt.
Als wir ihn im Juni in Berlin zum Interview trafen, erklärte der 51-Jährige, er sei "Politiker aus Leidenschaft". Nur dass ihm diese Leidenschaft in Mimik und Gestik völlig abhandengekommen war. Konzentriert, aber seltsam verlangsamt und entrückt sprach er über seinen Skiunfall, den Tod von Beata Christiandl und seine Rückkehr in die Politik. Die habe für ihn persönlich nie infrage gestanden, sagte Althaus damals. Und er fügte hinzu, Freunde, Psychologen und Theologen hätten ihn in dieser Entscheidung bestärkt. Hätten ihm gesagt, dass er sein Amt weiter ausüben könne. Es klang so, als hätte er das als Absolution verstanden.
Es war ja eine Frage der Moral, die sich damals stellte. Die Frage lautete: Kann einer, der den Tod eines anderen Menschen verschuldet hat, so schnell so weitermachen wie bisher? Wenn überhaupt. Althaus hat die Frage zwei Monate nach dem von ihm verursachten tragischen Unfall mit Ja beantwortet. Schriftlich. Er sei bereit, hat er dem thüringischen CDU-Landesverband damals erklärt, zur Landtagswahl erneut als Spitzenkandidat anzutreten. Knapp zwei Wochen später kürte ihn ein Landesparteitag mit spektakulären 94,6 Prozent.
Althaus selbst war nicht dabei. Er schickte nur eine kurze Videobotschaft, die in der Rehaklinik am Bodensee aufgenommen worden war. So etwas hatte es in der deutschen Politik bis dahin noch nicht gegeben.
Als Althaus dann am 20. April seine Amtsgeschäfte in Erfurt wieder aufnahm, wirkte er fremd im eigenen Land. Wie ein Schattenmann dessen, der er vor dem verhängnisvollen Neujahrstag gewesen war. Alles Jugendliche und Dynamische war von ihm gewichen. Zwar beteuerte er immer wieder, er sei "fit", aber die Zweifel blieben. Immerhin hatte Althaus beim Zusammenprall mit Beata Christiandl ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Andererseits stand er unter enormer Beobachtung durch die Medien. Wie geht er mit seiner Schuld um? Wann hört er endlich auf, nur von "Verantwortung" zu sprechen? Wird er je das Wort "Schuld" in den Mund nehmen? Das waren die Fragen, die Althaus wochenlang unausgesprochen begleiteten. Auf jedes Detail wurde geachtet, jede Nuance vermerkt, Inquisitorisches formuliert.
Und je mehr er das begriff, umso weniger war Dieter Althaus in der Lage, diesem moralischen Druck gerecht zu werden. Einen "Manager der Schuld" nannte ihn der "Spiegel" irgendwann böse. Althaus habe die Begriffe Krankheit und Schuld "in eine große Inszenierung" gehüllt: "Er inszeniert ihr Verschwinden."
Grundsätzlich muss man Politiker nicht bedauern, denn sie wissen sehr gut, was sie tun. Aber was immer Dieter Althaus dazu bewogen haben mag, nach der furchtbaren Zäsur in sein altes Leben zurückkehren zu wollen - egal, ob es das Gefühl gewesen ist, unersetzbar zu sein, oder die Angst vor dem Loslassen und vor der anschließenden Leere -, eines kann man rückblickend sagen: Es ist ein Fehler gewesen.
Der Rücktritt war richtig. Die Politik wird einen anderen finden, und Althaus wird sich jetzt endlich auf die Suche nach sich selbst machen können. Durch den Rücktritt wird die richtige Reihenfolge wiederhergestellt. Und die CDU wird die Verdienste, die sich Althaus um Thüringen erworben hat, sicher nicht vergessen. Immerhin ist er sechs Jahre lang Ministerpräsident gewesen.
Der Mathematik- und Physiklehrer Dieter Althaus hat sich 1985 der Ost-CDU angeschlossen, "um den Werbeversuchen der SED zu entgehen". Bei der ersten thüringischen Landtagwahl nach der Wende ist er mit einem Direktmandat in das Erfurter Parlament eingezogen. Das war der Anfang einer steilen Karriere. Denn als Bernhard Vogel 1992 den als CDU-Blockflöte attackierten Josef Duchac ablöste und das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, machte er Dieter Althaus zu seinem Kultusminister.
Das war der Beginn einer bis heute andauernden Freundschaft. Und als Vogel beschloss, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen, galt Althaus als sein natürlicher Nachfolger. Die Stabübergabe erfolgte im Juni 2003, und ein Jahr später gelang es Dieter Althaus, die absolute Mehrheit der CDU in Thüringen - wenn auch knapp -, noch einmal zu verteidigen.
Die ist nun weg. Dieter Althaus hat die Landtagswahl vom 30. August deutlich verloren. Die CDU stürzte um fast zwölf Prozentpunkte ab. Parteiinterne Skeptiker haben es kommen sehen. Althaus reiße niemanden mehr mit, hatte es in Berlin hinter vorgehaltener Hand immer öfter geheißen, er mache einen unmodernen Wahlkampf und sei beratungsresistent.
Dieter Althaus hat, wie man zu sagen pflegt, seiner Partei gestern einen letzten großen Dienst erwiesen. Und zwar völlig überraschend, was einem Rücktritt in der Politik immer eine gewisse Grandezza verleiht. "Ich könnte mir auch etwas anderes vorstellen als Politik", hatte er uns im Juni gesagt.
Die neue Freiheit des Dieter Althaus hat gestern begonnen.