Die Angst vor “zu viel“ Medizin ist verbreitet. Viele Menschen wollen sich vor einem Übermaß an Medizin schützen. In der Regel äußert der Patient...
Die Angst vor "zu viel" Medizin ist verbreitet. Viele Menschen wollen sich vor einem Übermaß an Medizin schützen. In der Regel äußert der Patient seinen Willen mündlich, im Gespräch mit dem Arzt. Für den Arzt ist dies Gespräch so wichtig wie für den Patienten. Nur ein aufgeklärter Patient kann nachvollziehen, warum schwierige Eingriffe nottun, nur ein mündiger Patient kann seine Heilung mitgestalten. Der Arzt wird sich an den Willen des Patienten halten - das ist heute schon Gesetz und ärztliche Ethik.
Schwierig wird es, wenn eine "normale" Kommunikation mit dem Patienten nicht mehr möglich ist. Hierfür ist eine Patientenverfügung der richtige Weg, seinen Angehörigen und seinen Ärzten seinen Willen auch für den schlimmsten Fall mitzuteilen. Wir Ärzte wünschten uns, viel mehr Menschen hätten ihren klaren Willen in einer Patientenverfügung niedergelegt.
Aber so, wie sich viele Menschen vor "zu viel" Medizin fürchten, so wollen andere gerade keine Patientenverfügung abfassen, weil sie Sorge haben, dann "zu wenig" Medizin zu erfahren. Es ist das gute Recht eines jeden, sich nicht mit dem eigenen Tod und dem eigenen Sterben gedanklich auseinanderzusetzen.
Über allem steht die Patientenautonomie. Der verschafft man genauso wenig Nachdruck mit formularhafter Starre wie mit komplizierten Notariatsverträgen - beides sehen die gerade diskutierten Gesetzentwürfe vor. Wir Ärzte setzen dagegen auf Beratung, Betreuung, Vollmacht. Am Anfang sollte die Beratung mit dem Arzt des Vertrauens stehen - zum Beispiel dem Hausarzt. Dann sollte die Patientenverfügung nicht ins Blaue hinein, sondern mit Blick auf konkrete Situationen und Maßnahmen formuliert werden.
Besondere Bedeutung hat hier die Vorsorgevollmacht, mit der ein Patient eine Person seines Vertrauens zum Bevollmächtigten erklärt. Damit hat der Arzt, der den Patienten nicht kennt, einen Ansprechpartner, der auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mitwirkt. Von all diesen Möglichkeiten können Patienten schon jetzt Gebrauch machen. Deshalb empfehlen wir der Politik, auf jedwede weitergehende gesetzliche Regelung zu verzichten.
Man kann nicht alle Prozesse des Lebens und Sterbens in gesetzliche Schablonen pressen. Die gerade diskutierten Gesetzentwürfe helfen uns alle nicht weiter. Sie sind nur Ausdruck des Regelungswahns unserer Gesetzgeber, die sich sogar in die persönlichsten Dinge des Lebens wie des Sterbens einmischen wollen. Denn: Es wird immer einige wenige Fälle geben, die - von welchem Gesetz auch immer - nicht erfasst sind. Probleme entstehen aber nicht dort, wo Menschen heute schon eine Patientenverfügung haben. Die Probleme treten nur auf, wenn es gerade keine oder keine klare Patientenverfügung gibt.
Drei Beispiele: der junge Motorradfahrer, der nach einem Unfall im Wachkoma liegt. Ich habe noch nie einen solchen Fall mit Patientenverfügung erlebt. Der ältere Mensch, der in seiner Brieftasche einen 20 Jahre alten Zettel hat, auf dem steht: Ich will nicht zur Behandlung an Maschinen. Oder die alte Dame im Koma nach einem Schlaganfall, die gar nichts verfügt hat. Aber ihre Kinder behaupten, es wäre der Wille der alten Dame, nicht weiterbehandelt zu werden.
Diese Fälle würden von keinem der vorliegenden Gesetzentwürfe gelöst - die Angehörigen und die Ärzte hätten dieselben Probleme zu lösen wie im Moment.
Machen wir uns klar: In Deutschland sterben etwa 800 000 Menschen jedes Jahr. Und nur in einer Handvoll Fällen werden gleichzeitig Konflikte um Patientenverfügungen, Behandlungsabbruch oder Behandlungsverweigerung rechtsanhängig. Wo also ist das Problem?
Die Koalition der Gutmeinenden, die uns mit einem Gesetz zu Patientenverfügungen beglücken möchte, sollte stattdessen in der Gesundheitspolitik für die ausreichende Finanzierung von ambulanter und stationärer Palliativmedizin kämpfen. Ihre Gesetze brauchen wir nicht: Sterbebegleitung spirituell und medizinisch braucht unsere Unterstützung, finanziell und ideell. Hospize brauchen wir nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Und der Schmerztherapie stehen gedeckelte Budgets und Leistungseinschränkungen der Medizin im Wege. Hier lohnte es sich für die Damen und Herren Politiker zu kämpfen!