Ursula von der Leyen plant eine Änderung des Telemediengesetzes. Vorbild sind skandinavische Länder.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Frau Ministerin, wie sicher sind Kinder in Deutschland?

Ursula von der Leyen:

Sie sind sicherer als in den allermeisten Ländern dieser Welt. Die große Mehrheit der Familien kümmert sich hervorragend um ihre Kinder.



Abendblatt:

Welche Gefährdungen bereiten Ihnen besondere Sorge?

Von der Leyen:

Mich treibt am meisten das Thema Verwahrlosung und Misshandlung von Kindern um - und die zunehmende Kinderpornografie vor allem im Internet. Die Zahlen steigen explosionsartig, allein der Vertrieb von Bildern hat sich verdoppelt im vergangenen Jahr.



Abendblatt:

Was wissen Sie über die Opfer?

Von der Leyen:

Die Kinder werden immer jünger. Jedes dritte Opfer von Kinderpornografie ist jünger als drei Jahre. Da werden durch brutale Vergewaltigungen Kinderseelen und Kinderkörper zerfetzt. Und: Die Bilder und Filme der Kinderpornografie werden immer gewalttätiger. Manche Ermittler beim Bundeskriminalamt brauchen psychologische Begleitung, weil sie die gellenden Schreie der Kinder auf den pornografischen Videos kaum ertragen können.



Abendblatt:

Wie groß ist die Kinderporno-Szene in Deutschland?

Von der Leyen:

Es gibt eine riesige Dunkelziffer. Es wird immer mehr über kommerzielle Websites verbreitet. Da werden Millionenbeträge verdient. Pornografische Videos, auf denen Kinder gequält und gefoltert werden, werden allein in Deutschland bis zu 50 000-mal im Monat heruntergeladen. Die Bandbreite reicht vom Pädokriminellen bis zum User, der wahllos sucht und ignoriert, dass er sich gerade die Einstiegsdroge besorgt.



Abendblatt:

Was unternimmt die Regierung?

Von der Leyen:

Das Allerwichtigste ist, dass das BKA wie bisher Täter ermittelt und gezielt Quellen schließt. Das reicht nicht. Ich will einen Damm bauen gegen die Flut der Bilder, indem wir den Zugang für den Kunden blockieren.



Abendblatt:

Heißt konkret?

Von der Leyen:

Wir schließen die Datenautobahn der Kinderpornografie. Das BKA erstellt Listen der kinderpornografischen Websites. Jetzt sollen die Zugangsanbieter gesetzlich verpflichtet werden, die Listen zu beachten und solche Websites unverzüglich zu schließen. Der Kunde klickt an und läuft ins Leere - kein Anschluss unter dieser Nummer. Das ist technisch möglich, und es ist rechtlich möglich. Es gibt Länder, die das seit Jahren erfolgreich machen: die skandinavischen Länder, Großbritannien, die Schweiz, Italien ...



Abendblatt:

... warum kommt Deutschland dann so spät?

Von der Leyen:

Wir diskutieren seit Jahren über eine freiwillige Selbstverpflichtung. Bewegt hat sich nichts. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Gesetzgeber jetzt handeln muss. Alle Experten sind sich einig, dass die massenhafte Verbreitung der Bilder im Internet und der einfache Zugang des normalen Kunden den permanenten Hunger nach Nachschub schüren. Da klingelt richtig die Kasse, und das stürzt täglich Kinder in dieses entsetzliche Verderben.



Abendblatt:

Welche Gesetzesänderung streben Sie an?

Von der Leyen:

Wir müssen das Telemediengesetz ändern. Das geht, und dazu besteht auch hohe Bereitschaft quer über alle Parteigrenzen hinweg. Ich weiß, dass ich die gesamte Kinderkommission des Parlamentes hinter mir habe.



Abendblatt:

Können Sie ausschließen, dass die Anbieter andere Wege finden, Kinderpornografie ins Netz zu stellen?

Von der Leyen:

Entscheidend ist, das Massengeschäft zu zerstören. Das tun wir dadurch. Allein das kleine Schweden mit seinen nur neun Millionen Einwohnern blockt täglich 50 000 Zugriffe.



Abendblatt:

Was können einzelne Länder überhaupt ausrichten?

Von der Leyen:

Natürlich müssen weitere Schritte gegangen werde. Wir brauchen eine weltweite Ächtung. Die bittere Wahrheit ist, dass bisher nur die Hälfte der Länder Kinderpornografie ächtet. Das heißt, die andere Hälfte toleriert sie. Das werden wir bei einer Kinderschutzkonferenz in der kommenden Woche in Rio zum Thema machen. Wichtig wird vor allem sein, dass Europa gemeinsam handelt. Die vom BKA erstellten Sperrlisten - derzeit umfassen sie etwa 1000 Websites - könnten noch wirksamer als europäische Sperrlisten laufen. Jetzt kommt es darauf an, dass die mutigen Länder vorangehen.



Abendblatt:

Was ist daran so mutig?

Von der Leyen:

Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, dass es erbitterten Widerstand von einigen Anbietern geben wird. Ich zerstöre da einen lukrativen Markt, der auf dem Rücken zerschundener Kinder aufgebaut ist. Es ist unsere Pflicht, aktiv zu sein. Ich setze auf die Bereitschaft zur Kooperation. Wir sind bereit, auf Staatskosten das Computerprogramm zur Sperrung solcher Websites zu entwickeln. Jeder, der mitmacht, rettet Kinderleben.



Abendblatt:

Frau von der Leyen, vor einem Jahr fand im Bundeskanzleramt ein Kindergipfel statt. Ziel war, Misshandlungen und Vernachlässigungen von Kindern entschiedener zu bekämpfen. Was ist daraus geworden?

Von der Leyen:

Wir sind beim Kinderschutz vorangekommen. In fast allen Ländern werden die Kinder verbindlich zu Früherkennungsuntersuchungen eingeladen, es gibt außerdem eine zusätzliche Vorsorgeuntersuchung für die Dreijährigen. Die Gesetze zum Ausbau der Kinderbetreuung und zur Stärkung der Familiengerichte sind verabschiedet. Aber es ist immer noch viel zu tun.



Abendblatt:

Nämlich?

Von der Leyen:

Ich möchte bis Januar das Kinderschutzgesetz ins Kabinett bringen. Das beinhaltet drei wesentliche Punkte. Der Schutzauftrag muss geschärft werden. Jugendamtsmitarbeiter sollen nicht nur die Akte prüfen, sondern müssen künftig das Kind immer selbst anschauen, möglichst auch in seiner Umgebung zu Hause.



Abendblatt:

Und zweitens?

Von der Leyen:

Der Datenaustausch muss verbessert werden. Der klassische Fall ist, dass Risikofamilien von einem Landkreis zum anderen ziehen und damit abtauchen. Die Information über die gefährdeten Kinder bricht ab. Wenn eine Familie künftig umzieht, muss das Jugendamt die Informationen an das nächste zuständige Jugendamt verbindlich weitergeben. Drittens brauchen wir eine rechtliche Klarstellung für alle Berufsgeheimnisträger, insbesondere Ärzte, Hebammen und Kinderärzte.



Abendblatt:

Inwiefern?

Von der Leyen:

Ärzte müssen wissen, dass sie rechtlich abgesichert sind, wenn sie sich bei dem Verdacht der Kindesmisshandlung auch ohne Einwilligung der Eltern an das Jugendamt wenden. Wenn ein Arzt ein misshandeltes Kind sieht, kann er nicht erst den schlagenden Vater fragen. Bisher gibt es bei ihnen wegen der Schweigepflicht große Unsicherheiten.



Abendblatt:

Wann werden all diese Regelungen in Kraft sein?

Von der Leyen:

Alle Ministerpräsidenten und die Kanzlerin haben das im Juni beschlossen. Das Gesetz wird nun in der ersten Jahreshälfte 2009 verabschiedet.