SPD und Grüne haben Koalitionsvertrag zugestimmt. Aber der hessische SPD-Vize sorgt mit seinem Verhalten für Verwirrung.
Wiesbaden. Seit dem Wochenende ist klar: Die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin in Hessen wird zur Zitterpartie. Der Grund dafür trägt einen Namen: Jürgen Walter. Denn der Stellvertreter und langjährige Rivale der SPD-Spitzenfrau gilt als Wackelkandidat für die morgige Abstimmung im hessischen Landtag. 57 Sitze zählt die rot-grüne Koalition samt Linkspartei, 56 sind nötig, um die Sozialdemokratin ins Amt zu bringen. Da die SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger dabei bleibt, nicht für irgendeine Form von Bündnis mit der Linken zu stimmen, und sich deshalb enthält, darf es keine weiteren Abweichler geben. Sonst bliebe Roland Koch (CDU) weiterhin Ministerpräsident.
Auf dem Sonderparteitag in Fulda machte Walter (40) keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit: "Ich habe diesen Koalitionsvertrag nicht unterschrieben, ich werde ihn nicht unterschreiben, und ich werde heute dagegen stimmen", kündigte er an. Der Parteirechte wirft SPD und Grünen vor, mit ihren Plänen Arbeitsplätze in Hessen zu gefährden. Erstarrt hörten die Delegierten ihrem Parteivize zu. Sie hörten die Drohung zwischen den Zeilen: Walter stellt die Minderheitsregierung, die nur mit Duldung der Linken funktionieren kann, grundsätzlich infrage. Zwar hatte er sich schon vorher kritisch über den Koalitionsvertrag geäußert und den angebotenen Posten als Verkehrsminister abgelehnt. Doch die Genossen glaubten, sich trotzdem auf seine Zusage verlassen zu können, dass der Rechtsanwalt bei der Wahl Ypsilanti seine Stimme geben werde. Das ist seit Sonnabend anders, zumal Walter der Abstimmung über den Koalitionsvertrag fernblieb. Das Papier wurde mit 341 Jastimmen bei acht Gegenstimmen und acht Enthaltungen angenommen.
Nach dem Parteitag versuchte Ypsilanti zu beruhigen, wie schon so oft in den vergangenen Monaten: "Herr Walter hat im Vier-Augen-Gespräch mir mitgeteilt, dass er mich wählt." Darauf verlassen kann sich niemand: Ein Vorstandsmitglied warnte hinter vorgehaltener Hand bereits, die Halbwertzeit von Walters Zusagen werde immer kürzer. Während der Koalitionsverhandlungen etwa habe er zugesagt, Verkehrsminister zu werden - wenige Stunden vor Abschluss der Gespräche schlug Walter das Angebot aus.
Auf ihren Koalitionspartner dürfte sich Ypsilanti hingegen verlassen können. Die Grünen segneten den Koalitionsvertrag am Sonntag mit 98 Prozent der Stimmen auf einer Landesmitgliederversammlung ab. Ihr Vorsitzender Tarek Al-Wazir warnte die SPD mit Blick auf die morgige Wahl der Ministerpräsidentin, sollte der Politikwechsel scheitern, würde die SPD für lange Zeit als regierungsfähige Kraft in Hessen ausfallen: "Ich hoffe, dass sich alle Sozialdemokraten dieser Verantwortung bewusst sind." Zuvor hatte sich schon die hessische Linkspartei auf die Unterstützung der rot-grünen Minderheitsregierung einschwören lassen.
Um zu vermeiden, dass sich eine Niederlage im Stil von Heide Simonis wiederholt, wollen die Grünen nur bei einer einzigen Abstimmung mitmachen. Die damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin war im Februar 2005 in drei geheimen Wahlgängen von einem Abweichler aus der eigenen Fraktion nicht gewählt worden, sodass das Amt an den CDU-Mann Peter Harry Carstensen fiel.
"Es kann keine Wiederholung von Schleswig-Holstein geben", sagte die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der "Leipziger Volkszeitung".