Große Haushaltsdebatte im Bundestag. Experten bezeichnen Reden in der deutschen Politik ideenlos und kurzatmig. Starredner wie Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt oder Herbert Wehner gibt es nicht mehr. Die deutsche Politkultur hat Angst vor zu viel Ecken und Kanten.
Berlin. Die Generaldebatte des Bundestags über den Haushalt 2008 ähnelte eher einer Regierungserklärung als einem rhetorischen Schlagabtausch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte die Themen, die Opposition meldete pflichtgemäß Kritik an, hielt sich aber im Ton zurück. Nur Linksfraktionschef Oskar Lafontaine polemisierte. Insgesamt aber wirkte die traditionelle Abrechnung mit der Regierungspolitik deutlich braver als in den Vorjahren. Auch das rednerische Niveau ließ zu wünschen übrig - und das, obwohl die Redezeiten deutlich länger ausfielen als in normalen Bundestagsdebatten.
Sind Deutschlands Politiker nicht mehr in der Lage, geschliffen zu formulieren? Der Chef der Deutschen Rednerschule, Peter H. Ditko, sagte dem Abendblatt: "Von den Abgeordneten, die heute im Parlament sind, stechen nur noch Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und vielleicht noch Guido Westerwelle rhetorisch hervor." Auch Ex-Außenminister Joschka Fischer sei ein herausragender Redner gewesen, sagte Ditko. "Rhetorisch gesehen kann keiner der Grünen wirklich in seine Fußstapfen treten." Die beste Rednerin der Grünen sei derzeit Renate Künast, weil sie spontan kurze, klare Sätze formulieren könne.
Angela Merkel erhält eine gemischte Beurteilung. Die Kanzlerin sei inhaltlich gut und halte sehr gut strukturierte Reden, sagte Ditko. "Aber stimmliche Glanzleistungen erbringt sie nicht." Der Tübinger Rhetorik-Professor Joachim Knape vermutete, Merkel sehe vielleicht keine Notwendigkeit für Rhetorik. Sie könne aber auch ohne große Redekunst glaubwürdig wirken, sagte er. Unionsfraktionschef Volker Kauder bezeichnet Ditko als einen eher unauffälligen Redner. "Auch SPD-Fraktionschef Peter Struck ist kein großer Rhetoriker, wirkt aber durch seine bedächtige Art sehr ernsthaft."
Angesichts der Lage schwärmen die Experten von früher. Die beiden besten Redner der bundesrepublikanischen Geschichte sind laut Ditko Helmut Schmidt (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU; 1988). "Das waren Starredner, die die Rhetorik noch beherrschten. Solche Glanzleistungen gab es nie mehr", bedauerte er. Rainer Barzel (CDU) sei zwar ein sehr geschliffener Redner gewesen, aber keiner, der beim Volk gut ankam. "Willy Brandt (SPD) dagegen war ein charismatischer Redner, machte aber rhetorisch sehr viele Fehler." Trotzdem habe er durch seine langsame Sprache, die überlangen Pausen und seinen emotionalen Ausdruck gut gewirkt. Knape schätzt Konrad Adenauers Lakonismus. "Er kam mit wenig Worten aus, seine Formulierungen trafen den Punkt." Herbert Wehner (SPD) hatte einen aggressiven Staccato-Ton. Auch Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) stuft er als guten Redner ein.
In anderen Ländern verlaufen Parlamentsdebatten oft völlig anders. Die Diskussionen im britischen Unterhaus beispielsweise haben hohen Unterhaltungswert. Ditko sieht dies vor allem in der Kultur begründet. "Politiker in Großbritannien legen traditionell mehr Wert auf Rhetorik und Sprache - in Deutschland dagegen zählen Arbeit und Inhalte stärker." Knape empfindet die heutige Redekultur der deutschen Politiker als "kurzatmig" und sieht mehrere Gründe dafür. Sowohl die Geschäftsordnung des Bundestages, die immer kürzere Redezeiten vorsehe, wie auch das Fernsehen, bei dem es nur auf Kurzstatements ankomme, hätten dazu beigetragen, dass die Bedeutung der Rhetorik abnehme. Auch die Entstehungsprozesse von Bundestagsreden wirkten sich aus. So müssten oft viele Abteilungen ihr Plazet geben. "Diese Reden ähneln dann Geschäftsberichten", sagt Knape. Das könne zwar auch positiv sein, weil der Ton sachlich bleibe - gleichzeitig laufe man aber auch Gefahr, dass die Bürger "abschalteten".