In Bad Schmiedeberg waren Jobs Mangelware und Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Regel. Doch seit Bürgerarbeit den Hartz-IV-Bezug abgelöst hat, interessieren sich nicht nur andere Kommunen für das neue Modell. Auch die Betroffenen sind zufrieden.
Bad Schmiedeberg. Das Geschäft läuft schlecht. Nur ein Gast sitzt an diesem Freitagmittag in der Gaststätte von Uwe Siegert. Sein Kollege vom Bierstübl ein paar Schritte weiter macht vormittags sogar gar nicht mehr auf. Es lohnt sich nicht. "Die Leute kommen morgens nicht mehr", sagt Siegert. "Die müssen jetzt ja alle arbeiten."
Bis vor acht Wochen war Bad Schmiedeberg ein ganz normales Provinznest in Sachsen-Anhalt: holprige Straßen, Kopfsteinpflaster, eine Kirche, ein Friedhof, drei Lebensmitteldiscounter. Von den 4200 Einwohnern hatte jeder Sechste keinen Job. Dann kam die Bürgerarbeit. Seitdem schaut Deutschland auf diese Stadt, die das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) abgeschafft und so in wenigen Wochen die Arbeitslosigkeit um zwei Drittel gesenkt hat. Ein Modell für Deutschland? "Mit Bürgerarbeit bekommen die Leute wieder eine Chance, bei denen wir früher kapituliert haben", sagt Rainer Bomba, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Menschen wie Britta Bennwitz. 48 Jahre alt, dreifache Mutter, langzeitarbeitslos. Seit Mitte November Bürgerarbeiterin im Altenheim am Ortseingang, direkt neben der Kleingartensiedlung Frohes Schaffen. "Ich hab endlich wieder Arbeit, ich werd wieder gebraucht", sagt Bennwitz. Gebraucht wurde die gelernte Zootechnikerin zuletzt 1990.
Ohne Führerschein ist die Chance auf einen Job gleich null
Dann kam die Wende, und ihr Arbeitgeber, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG), machte dicht. Sieben Jahre hat sie in der Schule in Bad Schmiedeberg geputzt, seit 1997 saß Bennwitz zu Hause. Endstation Hartz IV. Ohne Führerschein ist die Chance auf einen Job gleich null. Freitag, zehn Uhr: Musiktherapie im Altenheim. Britta Bennwitz, dunkle Haare, Pferdeschwanz, fröhliche Augen, wirft einer Dame im Rollstuhl einen faustgroßen Ball zu, ihre laute Stimme übertönt die Musik. Die alten Menschen mögen Britta Bennwitz, bis zum vergangenen Sommer hatte sie eine einjährige ABM-Stelle (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) in dem Altenheim.
Vermeintlich aussichtslose Fälle wie Britta Bennwitz spielen die Hauptrolle in der Erfolgsgeschichte namens Bürgerarbeit. "Das Modell ist brillant einfach", schwärmt Agenturchef Bomba, der es sich zusammen mit SachsenAnhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU) ausgedacht hat. Das Geld, mit dem zuvor Arbeitslosigkeit finanziert wurde, fließt nun in zwei Beschäftigungsgesellschaften, bei denen die Bürgerarbeiter angestellt sind. Am Monatsende gibt's Lohn zwischen 675 und 975 Euro, je nach Qualifikation und Tätigkeit.
Mit Bürgerarbeit zurück zu einem geregelten Alltag
Bennwitz erhält 825 Euro netto. "Davor habe ich rund 600 Euro Hartz IV bekommen, plus Zuschüsse. Macht unterm Strich das Gleiche." Mit einem Unterschied: Bennwitz ist keine Hartz-IV-Empfängerin mehr. "Wir geben den Menschen ihre Würde zurück", sagt Bomba. Jeder müsse eine Chance bekommen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Für Rainer Kaspar ist die Bürgerarbeit die erste Chance seit drei Jahren. Das nutzlose Herumsitzen zu Hause, das schwindende Selbstwertgefühl gegenüber seiner Frau, die als Altenpflegerin im Kurhaus gutes Geld verdient, die Frage seines zehnjährigen Sohnes: "Papi, warum gehst du nicht arbeiten?" Vorbei. "Ich bin froh, wieder einen geregelten Arbeitstag zu haben", sagt der 48-Jährige, während er die frisch lackierte Bremse in die Vorderachse eines Löschfahrzeugs aus den 1960er-Jahren montiert. DDR-Bauart.
Nach langer Arbeitslosigkeit wieder eine Perspektive
Im Feuerwehrhaus riecht es nach Motoröl und kaltem Zigarettenrauch. In dieser Woche wollte Kaspar mit der Vorderachse fertig sein, aber der Feierabend kommt immer zu schnell. Sechs Stunden pro Tag, 30 Stunden in der Woche, darf der Bürgerarbeiter beschäftigt werden. Kaspar, Schnauzbart, Schirmmütze, hält für den Feuerwehrverein Bad Schmiedeberg den Fuhrpark in Schuss. Das rollende Museum besteht aus vier Löschfahrzeugen und Ausrüstung, zum Teil aus der Jahrhundertwende. Es muss bis zum 15. September tipptopp sein. Dann feiert der Feuerwehrverein 125-jähriges Bestehen mit einem großem Umzug. Die Arbeit beim Feuerwehrverein ist wie gemacht für Kaspar, den gelernten Landmaschinenschlosser. Bis 1985 hat er in einer LPG gearbeitet, dann für die Nationale Volksarmee (NVA) und später für die Bundeswehr Fahrzeuge gewartet. 1993 war Schluss. Es folgten Kurzzeitjobs, eine Umschulung zum Heizungsmonteur. Auch den Gabelstaplerführerschein hat er in der Tasche. Einen Job hat er trotzdem nicht gefunden, seit 2004 ist er arbeitslos: zu alt, zu unflexibel, überqualifiziert, die Gründe für die Absagen lauteten immer ähnlich. Wenn ihm jemand vor acht Wochen gesagt hätte, dass er bald wieder Arbeit hat und knapp 700 Euro im Monat verdient, Kaspar hätte es nicht geglaubt. "Manchmal kommt mir das vor wie ein Traum. Dann sag ich zu meiner Frau: ,Kneif mich mal, damit ich weiß, dass das alles echt ist.`"
Nicht jeder im Ort ist von dem Erfolg des Modells überzeugt
Aus 82 Langzeitarbeitslosen in Bad Schmiedeberg hat das Modell Bürgerarbeiter gemacht. Sie sind bei Vereinen, im Kurbetrieb, im Altenheim oder im Naturschutz beschäftigt. Die Arbeit muss gemeinnützig sein, reguläre Jobs dürfen durch Bürgerarbeit nicht verdrängt werden. "Liefern Sie mir die Zahlen", habe der Chef der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, zu Bomba gesagt, als der ihm das Konzept für die Bürgerarbeit im vergangenen Jahr auf den Tisch legte.
Und das macht Bomba: Lag die Arbeitslosenquote in Bad Schmiedeberg im September 2006 noch bei 15,6 Prozent, sank sie bis Ende Dezember um mehr als die Hälfte auf 6,3 Prozent. Das sind bayerische Verhältnisse.
Uwe Siegert, Besitzer der "Getränke-Oase", teilt die Begeisterung Bombas nicht. "Die Leute sind zwar von der Straße, aber das ist nicht die Lösung." Oft seien die Jobs der Bürgerarbeiter wenig sinnvoll. "Ich find ja gut, dass die arbeiten für ihr Geld, aber müssen die wirklich zu dritt vor meiner Tür Unkraut jäten?" Auch bei Bananen-Müller ist man skeptisch. Chef Michael Müller: "Es wird ein Aufschwung vorgegaukelt, der nicht da ist." Außerdem habe er jetzt Probleme, Aushilfen zu bekommen.
Das Projekt kann Bad Schmiedeberg den Aufschwung bringen, glaubt dagegen Hans-Dieter Gelbert. Bis zu 25 Zugriffe auf seine Internetseite verzeichnet der Hotelbetreiber täglich, vor Projektbeginn waren es drei oder vier. Und mittags bringt er zehn bis 15 Essen mehr an den Mann. "Viele Bürgerarbeiter kochen nicht mehr selbst, sondern essen jetzt bei uns." Vor einigen Tagen haben Kaspar, Bennwitz und die anderen 80 Bürgerarbeiter zum ersten Mal ihren Lohn bekommen. Kaspar hat mit seiner Frau ein Glas Sekt getrunken, Bennwitz spart das Geld. Für eine neue Waschmaschine. Ihre ist seit zwei Jahren kaputt.