Friedrich Merz - Der Unions-Fraktionschef im Gespräch: Bonusmeilen, Hunzinger-Affäre und wie der Sozialstaat zu reformieren ist.

ABENDBLATT: Herr Merz, wissen Sie auch nicht, dass Sie Ihre Bonusmeilen nur dienstlich nutzen dürfen? FRIEDRICH MERZ: Wir bekommen einen Abrechnungsbogen, auf dem wir per Unterschrift versichern, dass der Flug dienstlich war. Auf diesen Flug entfallende Bonusmeilen stellen wir ausschließlich für dienstliche Flüge zur Verfügung. Wie Gysi behaupten kann, das nicht gewusst zu haben, ist mir unverständlich. ABENDBLATT: Können Sie ähnliche Fälle für die CDU/CSU-Fraktion ausschließen? MERZ: Ich kann nicht für 245 Leute die Hand ins Feuer legen. Die Meilen werden bislang nicht zentral erfasst. Deshalb schlage ich vor, dass für Abgeordnete wie in der Privatwirtschaft "Firmenkarten" des Bundestages ausgestellt werden. Wer die Meilen für private Reisen nutzt, der beweist nicht nur ein gewisses Maß an Nachlässigkeit. Da ist auch Vorsatz dabei. Wer so handelt, erfüllt wahrscheinlich den Straftatbestand der Untreue. ABENDBLATT: Sie kennen doch Herrn Hunzinger. Waren Sie mit ihm schon mal Anzüge kaufen? MERZ: Es ist mir völlig schleierhaft, wie man so etwas machen kann. Ich käme nicht im Vollrausch auf die Idee, mit Hunzinger in ein Herrenbekleidungsgeschäft zu gehen und mit ihm auch nur ein Paar Socken zu kaufen. ABENDBLATT: Können Sie die Wut der Menschen nachvollziehen? MERZ: Natürlich kann ich das. Aber auch die Gehaltsstrukturen in der Industrie sind in einigen Bereichen vollkommen ausgeufert. Viele Familien haben es verdammt schwer, über die Runden zu kommen. Die lesen dann von Millionen-Abfindungen, die ein Gewerkschaftschef als Aufsichtsrat auch noch genehmigt hat. Das geht nicht. ABENDBLATT: Aber Sie und Ihre Kollegen sind auch nicht so ganz unschuldig. MERZ: Die Bezahlung von Politikern liegt offen zutage. Doch das hat Grenzen. Wenn wir Politiker alle unsere Einkünfte offen legen sollen, dann bitte auch alle anderen, die aus öffentlich rechtlichen Kassen Geld verdienen, zum Beispiel die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender. ABENDBLATT: Was die Unternehmen für ihre Manager ausgeben, sparen sie offensichtlich bei der Gewerbesteuer. Die Kommunen sind deshalb schon nicht mehr handlungsfähig. MERZ: Die Gemeinden sind von zwei Seiten im Würgegriff: Erstens durch die hohen Sozialleistungen, zweitens durch die rot-grüne Steuerreform, die einen Absturz der Gewerbesteuer zur Folge hatte. Die Gemeinden müssen deshalb eine eigenständige Steuerquelle bekommen, zum Beispiel durch Beteiligung an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Die Gewerbesteuer ist tot. Wir müssen auch von den hohen Soziallasten runter. Es gibt schon richtige Sozialhilfekarrieren in der zweiten und dritten Generation. Ein Kombilohnmodell funktioniert nämlich: Sozialhilfe plus Schwarzarbeit! ABENDBLATT: Und wie wollen Sie umsteuern? MERZ: Wir wollen erst einmal die Kinder aus der Sozialhilfe herausholen. Dabei soll unser Familiengeld helfen. Heute sinken die Transferleistungen für die Kinder, wenn ein Arbeitsloser eine Beschäftigung aufnimmt. Das wird es mit dem Familiengeld nicht mehr geben, da es das Existenzminimum von Kindern unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern sichert. ABENDBLATT: Und woher nehmen Sie das Geld dafür? MERZ: Wir haben einen Einsparbedarf von sechs bis zehn Milliarden Euro. Den wollen wir vor allem durch eine Senkung der Bewirtschaftungskosten der Arbeitslosigkeit decken. Wir müssen die Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Für ganz Deutschland gilt, dass es viel zu wenig Arbeitsplätze im einfachen Dienstleistungsbereich gibt. Wenn Sie in den USA im Hotel abends Ihre Schuhe nicht vor die Tür stellen, werden Sie gefragt, ob Ihnen der Service nicht zusagt. Sollten Sie in einem deutschen Hotel abends die Schuhe vor die Tür stellen, müssen Sie hoffen, dass Sie am nächsten Morgen noch da stehen. Oder nehmen Sie den Arbeitsmarkt Privatfamilie. Da wird der Bedarf immer größer. Und das ist derzeit die größte Schwarzarbeitsbaustelle. Im Osten allerdings brauchen wir mittelständische Unternehmen und gezielte Förderung. Schluss mit dem Gießkannen-Prinzip. Dort machen wir mit ABM Staatskonkurrenz für Handwerksbetriebe. Ist das wirklich gewollt? ABENDBLATT: Das sind alles nette Wahlversprechungen. Doch meistens bleibt nicht viel davon übrig. MERZ: Wenn wir nicht gleich umsteuern, laufen wir in eine Zeitfalle. Dann schieben wir die Probleme nur weiter vor uns her. In zehn Jahren ist die Hälfte der Bevölkerung älter als 50 Jahre. Und gegen eine alternde Bevölkerung lassen sich keine Reformen mehr machen. Interview: GÜNTHER HÖRBST, FRANK ILSE, EGBERT NIESSLER