“Barbarisch und asozial“ sei das Urteil gegen eine Berliner Supermarktbeschäftigte, hatte Bundestagsvize Wolfgang Thierse gesagt. Die Wortwahl stellt er in Frage, die Sache nicht: Die Entscheidung des Gerichtes sei “unverhältnismäßig“, sagt Thierse. Mit dieser Aussage ist er nicht allein.
Berlin. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält an seiner Richter-Kritik wegen des Urteils zur Kündigung einer Kassiererin fest, hat seine Wortwahl allerdings relativiert. "Ich bedaure die Härte meiner Formulierung", sagte Thierse der "Bild"-Zeitung vom Freitag. Sie sei seiner Empörung geschuldet gewesen. "Es war eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein unverhältnismäßiges Urteil." Eine Abmahnung der Frau hätte genügt. Das Berliner Landesarbeitsgericht hatte am Mittwoch die Kündigung der Supermarkt-Kassiererin Barbara E. wegen der Unterschlagung von 1,30 Euro bestätigt, was Thierse als "barbarisch" und "asozial" kritisiert hatte.
Es ärgere ihn, "dass die Kleinen brutal bestraft, die Großen hingegen für ihre Fehler sogar noch belohnt werden", sagte Thierse der Hannoverschen "Neuen Presse" (Freitagsausgabe). Die 50-jährige Klägerin E. begrüßte derweil die Kritik des SPD-Politikers an der Justiz. Sie finde das "eigentlich gut, dass die Politik da jetzt rangeht, schließlich kann sowas jeden treffen", sagte sie "Welt Online". Sie sehe sich zu Unrecht hart bestraft.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs bezeichnete das Urteil ebenfalls als nicht verhältnismäßig. "Man kann doch nicht eine Frau für 1,30 Euro öffentlich an den Pranger stellen und so ihre gesamte Lebensleistung vernichten", sagte er der Internetausgabe der "Berliner Morgenpost". Auch Gerichte könnten sich irren.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Gehb (CDU), wies die Kritik Thierses dagegen empört zurück. Thierses Wortwahl sei "als Reaktion auf ein Urteil völlig indiskutabel ganz unabhängig von der Frage, wie man zum Berliner Richterspruch steht", sagte Gehb "Morgenpost Online". Als "barbarisch" lasse sich "ein Urteil bezeichnen, durch das einem Dieb eine Hand abgehackt wird und 'Asoziales' steht außerhalb der Gesellschaft". Auf das Berliner Urteil ließen sich beide Begriffe aber wirklich nicht anwenden.
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Hartmut Kilger, äußerte sich gelassen. "Auch scharfe Äußerungen stellen die Unabhängigkeit der Gerichte nicht in Frage", sagte Kilger der Online-Ausgabe des "Handelsblatts". Allerdings sei Thierses Äußerung "nicht sachgerecht" und erscheine "eher populistisch motiviert". Der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins, Ulrich Schellenberg, hatte von Thierse zuvor eine Entschuldigung gefordert und ihm einen Rücktritt als Bundestagsvizepräsident nahegelegt.
"Barbarisch und asozial" sei das Urteil gegen eine Berliner Supermarktbeschäftigte, hatte Bundestagsvize Wolfgang Thierse gesagt. Die Wortwahl stellt er in Frage, die Sache nicht: Die Entscheidung des Gerichtes sei "unverhältnismäßig", sagt Thierse. Mit dieser Aussage ist er nicht der einzige.