Regierung und Opposition haben sich in ihren Verhandlungen über Fiskalpakt und Börsensteuer angenähert. Koalition hofft auf die nächste Runde.
Berlin. Regierung und Opposition steuern auf eine Lösung im Streit um den Fiskalpakt zu. Bei einem Spitzentreffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gab es am Mittwoch zwar noch keinen Durchbruch, aber eine deutliche Annäherung. Eine endgültige Einigung erhofft sich die Koalition von einer weiteren Spitzenrunde am 21. Juni. In diesem Fall könnten der europäische Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin und der Eurorettungsschirm ESM noch rechtzeitig Ende Juni im Bundestag verabschiedet werden. Der ESM tritt am 1. Juli in Kraft.
+++Spitzentreffen zum Fiskalpakt im Kanzleramt begonnen+++
+++Fiskalpakt: Merkel sichert Finanzsteuer zu+++
Nach Angaben von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte die Bundesregierung zu, dass sie bereits kommende Woche in Brüssel erste Schritte zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer unternehmen werde. Damit wäre eine wichtige Bedingung der Sozialdemokraten erfüllt. SPD und Grüne machten nach den knapp dreistündigen Verhandlungen im Kanzleramt deutlich, dass sie zwar noch Verhandlungsbedarf sehen, einen Kompromiss aber nunmehr für möglich halten. „An uns wird es nicht scheitern“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Merkel will nun schon an diesem Donnerstag mit den Bundestagsfraktionen den Zeitplan für die Verabschiedung von Fiskalpakt und ESM im Bundestag festzurren. Am Nachmittag berät sie mit den Ministerpräsidenten der 16 Länder über Kompromisse. Die Regierungschefs fordern, dass der Bund für zusätzliche Risiken und Kosten geradesteht, die Ländern und Kommunen durch die strengen Sparvorgaben des Fiskalpaktes entstehen. Der Bundesrat tagt zum letzten Mal am 6. Juli vor der Sommerpause.
Nach dem Treffen mit Merkel reisten Steinmeier, Gabriel und der frühere Finanzminister Peer Steinbrück am Mittwoch zu Gesprächen mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande nach Paris. Dabei sollte es vor allem um die Finanztransaktionssteuer und den weiteren Kurs in der Europapolitik gehen. In Frankreich wird eine solche Steuer bereits zum 1. August eingeführt. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte dazu „Spiegel online“: „Ich würde mich freuen, wenn das Trio von der SPD seiner Verantwortung hier in Deutschland nachkäme.“ Die SPD will den Fiskalpakt mit Wachstumsimpulsen und einer Besteuerung der Finanzmärkte verbinden. Bei den Sozialdemokraten soll an diesem Sonnabend ein Parteitag über das Thema beraten. Bei den Grünen ist ein kleiner Sonderparteitag geplant; der Termin steht noch nicht fest.
+++Fiskalpakt: Scheitern nicht ausgeschlossen+++
Bis zum 21. Juni will Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit einer Expertenrunde beider Seiten ein gemeinsames Kompromisspapier beraten. Nach den schwarz-gelben Vorstellungen soll der Bundestag am 28. Juni abschließend entscheiden. Merkel könnte dann am Nachmittag desselben Tages mit diesen Vorgaben zum EU-Gipfel nach Brüssel reisen.
Die Grünen forderten erneut einen Schuldentilgungsfonds, um die Zinslast der Krisenländer zu senken. Fraktionschef Jürgen Trittin sagte aber: „Wenn jemand einen besseren Vorschlag hat, wie man Länder aus der Situation der Erpressung herausbringen kann, sind wir dafür offen.“ Merkel solle beim Vierertreffen mit den Regierungschefs von Italien, Frankreich und Spanien am 22. Juni in Rom über Mittel gegen den Zinsdruck beraten.
Die Koalition lehnt einen Schuldentilgungsfonds als Vergemeinschaftung von Schulden strikt ab. Das EU-Parlament votierte unterdessen gegen die Stimmen deutscher Unionsabgeordneter für einen Schuldentilgungspakt mit gemeinschaftlicher Haftung. Rückenwind für ihre Forderung nach der raschen Einführung einer Finanztransaktionssteuer bekamen SPD und Grüne aus Brüssel. Die EU-Kommission hält dies in einigen EU-Ländern schon bald für möglich. Die EU-Finanzminister würden bei ihrem nächsten Treffen am 22. Juni darüber beraten, sagte eine Sprecherin von EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta. Sie könnten dann die willigen Staaten ermächtigen, alleine voranzugehen – wenn es denn mindestens neun seien.
Die Knackpunkte in den Verhandlungen
Finanzmarktsteuer: Sie galt bisher als härteste Nuss. Bereits vergangene Woche hatten die Unterhändler eine Grundsatzeinigung erzielt, die aber anschließend in der Koalition wieder infrage gestellt wurde. Jetzt hat die Bundesregierung laut SPD zugesagt, dass sie bereits beim Treffen der EU-Finanzminister am 22. Juni erste Schritte zur Einführung einer solchen Steuer unternehmen will. Ziel ist, den Handel mit fast allen Finanzprodukten, auch Devisen und Derivaten, zu besteuern. Wenn eine Einigung auf EU-Ebene scheitert, soll mit mindestens neun EU-Staaten eine Lösung gesucht werden.
Wachstumskonzept: SPD und Grüne verlangen Wachstumsimpulse, um die Krisenländer zu stabilisieren. Die Bundesregierung hat ein Konzept vorgelegt, das Schritte gegen Jugendarbeitslosigkeit, schärfere Auflagen für die Finanzbranche und mehr öffentliche Investitionen auch über die Europäische Investitionsbank (EIB) vorsieht. Dies hält die Opposition für nicht ausreichend. Geeinigt haben sich beide Seiten aber bereits auf die Erhöhung des Stammkapitals der EIB. So soll nach Angaben der Grünen kurzfristig ein Investitionsvolumen von 50 bis 60 Milliarden Euro zusätzlich mobilisiert werden.
Schuldentilgungsfonds: Vor allem die Grünen wollen hoch verschuldete Länder entlasten und deren Zinskosten senken. Grundlage sind Vorschläge für einen Schuldentilgungspakt in der Eurozone. Damit soll die Staatsverschuldung unter die erlaubte Höchstgrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden. Schulden, die darüber liegen, sollen in einen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden. Die Koalition lehnt das als Vergemeinschaftung von Schulden ab und verweist auf das „Bail-out-Verbot“, wonach ein Land nicht für die Schulden eines anderen haften darf.