Handwerkliche Patzer und fehlende Absprachen: Ein Gutachten deckt das Versagen der Behörden bei Ermittlungen zur NSU-Gruppe auf.
Hamburg/Erfurt. Hinter der Quelle 2045/2150, Deckname "Otto", später Deckname "Oskar", steckt ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Sein Name: Tino Brandt. Im August 1994 wurde er von Beamten erstmals angesprochen, er bekam eine erste Zahlung, 200 Mark. Bis 2001 lieferte Brandt, selbst Neonazi und Kopf des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes, der Behörde Informationen über das 1998 untergetauchte Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe - die Gruppe, die später zehn Menschen ermordet haben soll.
Doch der Umgang mit Quelle 2045/2150 zeigt die Versäumnisse durch den Verfassungsschutz, aber auch die mangelnde Zusammenarbeit mit Polizei und Kriminalämtern bei den Ermittlungen gegen Rechtsextremisten. So ist Brandt mehrfach von Beamten des Verfassungsschutzes vor Durchsuchungen durch das Landeskriminalamt (LKA) gewarnt worden. Zudem versuchte ein Beamter Einfluss auf ein Strafverfahren gegen Brandt zu nehmen - zu dessen Gunsten. 200 000 Mark bekam Brandt für seine Arbeit als V-Mann vom Verfassungsschutz, ein - wenn auch geringer Teil - floss an das untergetauchte Neonazi-Trio. Die drei, die 2001 auch den Gemüsehändler Süleyman Tasköprü in Hamburg-Bahrenfeld mit drei Kopfschüssen getötet haben sollen.
Was eine unabhängige Kommission am Dienstag in Erfurt in ihrem Abschlussbericht vorstellte, enthielt wenig neue Erkenntnisse. Aber ein halbes Jahr nach Bekanntwerden der zehn Morde an Zuwanderern und einer Polizistin, mutmaßlich begangen durch den Nationalsozialistischen Untergrund, zeigt das Gutachten der Kommission besonders detailliert die handwerklichen Fehler und die Zurückhaltung bei den Zuständigen Polizei, Staatsanwaltschaft und vor allem dem Thüringer Verfassungsschutz. Dessen Arbeit sei ein "sehr belastendes Kapitel", sagte der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer, der der Kommission vorsitzt. Zwar hätte das Amt aus seinen Quellen, auch durch V-Mann Brandt, gute Kenntnisse über das Trio gehabt, diese aber nicht systematisch zusammengestellt. Als "schlimme Sache" bezeichnete Schäfer die Aufforderung der Verfassungsschützer an die Eltern von Uwe Mundlos, der Behörde wichtige Hinweise nur über Telefonzellen zu geben. Damit hätten sie die Arbeit der gleichzeitig abhörenden Polizei unterlaufen. Zudem hätte die Behörde sofort erkennen können, dass plötzlich die ständigen Hilferufe des Trios nach Geld und Waffen abrissen - es war die Zeit, in der die ersten Banküberfälle des Trios in Chemnitz fallen. Dorthin war die Gruppe der drei Neonazis 1998 geflohen. Die Informationen über Waffen- und Geldbeschaffung wären klare Anhaltspunkte für die Bildung einer terroristischen Vereinigung gewesen.
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Die dreiköpfige Experten-Kommission hatte seit November für den 260 Seiten langen Bericht zahlreiche Akten durchgesehen und rund 40 Zeugen befragt. Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) sprach bei der Vorstellung des Gutachtens von "fast chaotischen Zuständen" in der Behörde. Er kündigte Konsequenzen an, um künftig Informationsverluste zu vermeiden. Personelle Folgen bezeichnete er als unwahrscheinlich, weil viele der Betroffenen nicht mehr im Dienst seien.
Die Innenexpertin der Linken in Thüringen, Martina Renner, kritisierte, dass der Verfassungsschutz "die Gefahr des Rechtsterrorismus völlig verkannt" habe. Renner sieht in dem Gutachten der Kommission eine gute Grundlage für eine weitere Aufarbeitung der Behörden-Versagen durch den Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags. "Wir stehen jetzt am Anfang einer Aufarbeitung. Anders als im Untersuchungsausschuss im Bund haben wir in Thüringen noch immer nicht alle angeforderten Unterlagen von den Ministerien und Landesbehörden erhalten. Das ist Schikane bei der Aufarbeitung", sagte sie dem Hamburger Abendblatt.
Aufseiten der Polizei konstatierten die Experten der Schäfer-Kommission, dass die Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) nicht in das Beziehungsgeflecht der rechtsextremen Unterstützerszene eindringen konnten. Für so einen Fall hätte es daher eigentlich eine Sonderkommission geben müssen. Es sei auch "nicht nachvollziehbar", wieso die Spitze des LKA angesichts der anhaltenden Erfolglosigkeit nicht eingegriffen habe.
Auch bei der Durchsuchung der Jenaer Bombenwerkstatt des Trios Ende Januar 1998 machten Ermittler Fehler. Sie sei schlecht vorbereitet gewesen, sodass sich eine Garage erst zu spät öffnen ließ. Ohne die Sprengstofffunde dort habe es aber keinen Grund gegeben, Böhnhardt festzunehmen. Dieser konnte unbemerkt fliehen - während die Beamten sich an der Garage abarbeiteten.
Das Gutachten der Experten gibt zudem detaillierten Einblick in die Verbindungen des Trios mit rechtsextremistischen Gruppen. So waren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auch Mitglied der Anti-Antifa Ostthüringen, die später in den sogenannten Thüringer Heimatschutz überging. Die sogenannte Anti-Antifa wurde 1992 durch den Hamburger Neonazi Christian Worch gegründet. Die militanten Gruppen richten sich gegen linke und antifaschistische Gruppen, aber auch gegen Institutionen des Staates. Worch ist zudem führender Kader der Szene der Freien Kameradschaften. In den meist lokal und autonom agierenden Gruppen waren auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aktiv - nicht im Norden, aber in Thüringen. Bisher gibt es jedoch keine Hinweise, dass Hamburger Rechtsextremisten im Kontakt mit der Gruppe um den NSU standen.