Der damalige Innenminister hätte 2006 eine zentrale Ermittlung anordnen können. Zeugenvernehmung zu NSU-Aufklärung vorzeitig beendet.

Berlin/Nürnberg. Der Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie hat am Freitag kurzfristig die Zeugenvernehmung vorzeitig beendet. Die Befragung werde unter anderem auf Wunsch der FDP-Fraktion nicht fortgesetzt, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Sebastian Edathy (SPD), in Berlin. Eigentlich war vorgesehen, dass sich der ehemalige Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Wolfgang Weber, und der leitende Regierungsdirektor Edgar H. gemeinsam vor dem Gremium erklären. Die Befragung der beiden Zeugen würden am Donnerstag, den 24. Mai nachgeholt, sagte Edathy. Zuvor war bereits der BKA-Kriminaldirektor Christain Hoppe vernommen worden. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) soll vor dem Untersuchungsausschuss befragt werden.

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Die geplante Befragung des Finanzministers bestätigte die SPD-Obfrau in dem Gremium, Eva Högl, am Freitag in Berlin. Der damalige Bundesinnenminister hätte 2006 nach dem Gesetz des Bundeskriminalamtes (BKA) eine zentrale Ermittlung durch die Behörde anordnen können. Weil der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) das offenbar als „Kriegserklärung“ empfunden hätte, habe Schäuble die „Waffen gestreckt“, sagte Högl.

Am Freitag hatte BKA-Kriminaldirektor Hoppe ausgesagt, er habe sich nach den Morden in Dortmund und Kassel im April 2006 selbst für eine zentrale Ermittlungsführung ausgesprochen. Die Bereitschaft von den Landesbehörden sei aber nicht gegeben wesen. Ausschussmitglieder hatten das Vorgehen des BKA zuvor scharf kritisiert. Die Behörde soll 2004 und 2006 die Einrichtung einer zentralen Ermittlungsstelle abgelehnt haben. Hoppe verwies auf seine Zuständigkeit ab Januar 2006.

Von den Ermittlungen zur mysteriösen Mordserie des Zwickauer Neonazi-Trios werden derweil immer neue überraschende Details bekannt. So richtete die bayerische Polizei für sechs Monate sogar einen eigenen Döner-Imbiss in Nürnberg ein, weil sie nach den mysteriösen Morden an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft offenbar fest von einem kriminellen Hintergrund ausging. Mit dem Lokal habe man Hinweise auf organisierte Kriminalität im Lieferantenmilieu sammeln wollen, berichtete der frühere Nürnberger Oberstaatsanwalt Walter Kimmel am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Der Imbiss sei zwar nicht direkt von der Polizei, aber von einer „Vertrauensperson“ betrieben worden. Viele Parlamentarier im Untersuchungsausschuss sehen dadurch jedoch den Verdacht erhärtet, dass einem möglicherweise rechtsextremen Motiv für die Mordserie nicht ausreichend nachgegangen wurde.

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Der Ausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) beklagte am Donnerstag, den Spuren im Bereich der organisierten Kriminalität seien die Ermittler mit einem ungleich höheren Aufwand nachgegangen als Hinweisen auf die Neonazi-Szene. Auch der Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) sprach anschließend von einer „falschen Schwerpunktsetzung“ bei den Ermittlungen. Kimmel betonte hingegen, aus damaliger Sicht habe man „alles Menschenmögliche“ getan, um die Taten aufzuklären.

Der Terrorzelle namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) werden die Morde an einer Polizistin sowie an neun Männern türkischer und griechischer Herkunft zur Last gelegt. Mehrere Opfer betrieben Obst- und Gemüseläden sowie Döner-Imbisse – daher die Ermittlungen in diesem Milieu. Fünf Morde wurden in Bayern begangen, weshalb die Ermittlungen der bayerischen Behörden jetzt im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Die Vorwürfe der möglichen Vernachlässigung eines rechtsextremen Hintergrunds wies Kimmel zurück. Ein solcher Verdacht habe sich damals nicht erhärtet, weil man bei Neonazis mit einschlägigen Bekennerschreiben gerechnet hätte. „Dieses Sich-Dazu-Bekennen hat uns gefehlt.“ Alexander Horn, der als Fallanalytiker bei der bayerischen Polizei arbeitet, stellte dies bei seiner Befragung im Ausschuss allerdings anders dar. Er verwies auf das von ihm erstellte Täterprofil aus dem Mai 2006, wo er eine fremdenfeindliche Gesinnung und eine Nähe zur rechten Szene als wahrscheinlich beschrieben habe.Ferner erklärte Horn, schon im August 2005 habe er darauf hingewiesen, dass angesichts der identische Tatwaffe wahrscheinlich alle Taten vom gleichen Täter verübt wurden. Kimmel verteidigte bei seiner Vernehmung hingegen die damalige Annahme, dass die Waffe weitergegeben und von verschiedenen Tätern benutzt wurde. Die Abgeordneten stellten dem damaligen Oberstaatsanwalt anschließend ein schlechtes Zeugnis aus. Edathy kam zu dem Ergebnis, dass Kimmel mit seiner Aufgabe seinerzeit „völlig überfordert“ gewesen sei.

Mit Material von dpa/dapd