Die NRW-Wahl birgt für Norbert Röttgen große Risiken. Nun hat sich der Bundesumweltminister einen verbalen Fauxpas im Fernsehen erlaubt.
Berlin. Es ist nicht so, dass Norbert Röttgen ohne politischen Druck in die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen gehen wird. Nicht nur durch seine ausbleibende Bekenntnis, bei einer Niederlage in Rolle der Oppositionsführung zu übernehmen, wächst dieser auch interne Druck gegen den Bundesumweltminister zunehmend. Nun hat sich Röttgen in einer Fernsehsendung des öffentlich rechtlichen Senders ZDFneo einen verbalen Ausrutscher geleistet, der ihm Stimmen kosten könnte. In der Sendung "log in“ antwortete Röttgen auf die Aussage von Moderatorin Dunja Hayali, wenn er sich für Nordrhein-Westfalen einsetzen wolle, müsse er doch auch in die Opposition gehen: "Ich meine, ich müsste eigentlich dann Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.“
Moderatorin Dunja Hayali fragte erstaunt nach: "Bedauerlicherweise?“ Röttgen entgegnete dann stotternd: "Naja, das wäre irgendwie … Das war ein bisschen Ironie, ich nehme die sofort zurück.“
Aber auch seine Äußerung, die NRW-Wahl am Sonntag als Abstimmung über den EU-Sparkurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu stilisieren, stößt in den eigenen Reihen auf Gegenwehr. Einige in der CDU-Spitze finden diesen Weg auf den letzten Metern der Wahl sehr befremdlich. Will er damit Verantwortung bei Merkel abladen, falls die Wahl verloren geht? Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) ist um eine Glättung der Wogen bemüht. "Wir werden jetzt keine internen Debatten führen, sondern uns darauf konzentrieren, unsere Wähler zu mobilisieren.“
Für den Koalitionspartner FDP ist es ein gefundenes Fressen. "Röttgen ist unser besser Wahlkämpfer“, ätzt Entwicklungsminister Dirk Niebel bei "Spiegel online“. Denn dessen Agieren treibe enttäuschte CDU-Wähler zur FDP um ihren Kandidaten Christian Lindner. Der bekenne sich zu NRW, das werde honoriert.
Für seine Aussagen zur Europapolitik der Bundesregierung erhält der CDU-Spitzenkandidat für NRW, Norbert Röttgen, Zuspruch aus der SPD. „Ich bin sehr froh darüber, dass er das macht und so sagt“, sagte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, am Mittwoch in Berlin. Er sei sich ganz sicher, dass die Bundeskanzlerin nach einer möglichen Wahlniederlage der CDU in Nordrhein-Westfalen ihre Politik für „verloren“ erkläre und diese ändern werde, witzelte Gabriel. Er nehme an, dass dies „das Ergebnis ist, dass Herr Röttgen herbeiführen will. Dabei unterstützen wir ihn nachhaltig.“
Das Geheimnis um seine Zukunft will der CDU-Spitzenkandidat erst nach der Wahl lüften – die Partei entscheide, wo sein Platz sei. Vielleicht wird Röttgen sein Taktieren bei der Frage, ob er im Fall einer Niederlage als Oppositionsführer in Düsseldorf bleibt, rückblickend ähnlich kritisch sehen wie eine Episode aus dem Jahr 2006. Sie weist Parallelen zum heutigen Düsseldorf-Berlin-Spagat auf.
Damals ging es darum, dass der heute 46 Jahre alte Vater von drei Kindern Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) werden und zugleich sein Bundestagsmandat behalten wollte. Nach Kritik an der Tätigkeit als Politiker und Lobbyist sagte er dem BDI schließlich ab. Dabei habe sich seine Frau Ebba von Anfang an skeptisch gezeigt, erzählte er jüngst bei einer Diskussion im Berliner Ensemble. "Das war eine Fehlentscheidung“, sagt er heute mit Blick auf die zunächst geplante Doppelfunktion BDI/Bundestag.
Röttgen will in diesen Tagen über Inhalte, Sachfragen, die Verschuldungspolitik der SPD reden – stattdessen wird er immer wieder nach seinen Zukunftsplänen gefragt. FDP-Generalsekretär Patrick Döring warnte, er müsse achtgeben, nicht irreparabel beschädigt zu werden. Eine Retourkutsche, weil Röttgen Gleiches einmal über Guido Westerwelle gesagt haben soll. Der CDU-Vize hat zudem auch in der eigenen Partei einflussreiche Gegner – bei seinem politischen Aufstieg hat er enge Weggefährten verprellt. Daher blicken einige mit Schadenfreude auf sein Agieren, das ihn nachhaltig schwächen könnte.
2011 war Röttgen einer der politischen Gewinner. Er war es, der nach den Kernschmelzen von Fukushima den Atomausstieg vorantrieb und in der schwarz-gelben Koalition mit durchsetzte. Er ist einer der engagiertesten Kämpfer für die Energiewende. 2012 könnte nun ganz anders laufen als geplant. Es ist sein erster großer Wahlkampf. Röttgen ist rhetorisch geschickt, aber er ist nicht unbedingt der Marktplatz-Typ, der die Herzen der Menschen erobert und ihre Sprache spricht. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat da Vorteile.
Im Vergleich zu Röttgen wirke selbst Kanzlerin Angela Merkel wie eine Menschenfischerin, meint "Der Spiegel“. Er steht nun an einer politischen Weggabelung. Derzeit sieht es wenig rosig aus, auch wenn er betont, nichts sei in der Regel so falsch wie Umfragen. Aber die dank Christian Lindner mögliche FDP-Wiederauferstehung könnte zulasten der CDU gehen – und Röttgen fehlen Koalitionsoptionen. Fährt er weniger als 34,6 Prozent der Stimmen am kommenden Sonntag ein, wäre dies das schlechteste CDU-Ergebnis bei einer NRW-Landtagswahl.
Das wäre ein Makel für eine mögliche Kanzlerkandidatur – es gibt nur wenige, die ihm das Amt eines Tages nicht zutrauen. Sei es Finanzkrise, Klimawandel oder Energiewende – kaum ein Politiker in Deutschland schafft es, solche Themen in das große Ganze einzuordnen, wenngleich er sich manchmal in komplizierte Wortgirlanden verstrickt.
In den letzten Wochen pendelte er viel zwischen Berlin und Düsseldorf, seine drei Kinder sah er kaum noch. In seinem Ministerbüro in Berlin stehen gleich mehrere Fotos seiner Frau Ebba. Er kennt sie seit Junge-Union-Zeiten, sie ist ihm eine wichtige Beraterin, heißt es. Gerade jetzt, wo es um viel geht.
Unklar ist, was eine Schlappe für das Amt des Umweltministers bedeuten würde. Es ist fraglich, ob die Energiewende in die richtige Spur kommt, wenn er und der andere federführende Minister Philipp Rösler (Wirtschaft/FDP) parteiintern geschwächt sind. Hinzu kommt, dass die neue bundesweite Endlagersuche noch geregelt werden muss.
Den Vorwurf, der CDU-Landesvorsitz in NRW sollte ihm nur als Karrierevehikel dienen, weist er zurück: "Das stimmt nicht.“ Der Titel eines Buchs von ihm lautet: "Deutschlands beste Jahre kommen noch.“ Ob Norbert Röttgens beste Jahre noch kommen, hängt nun davon ab, wie hoch der schwarze CDU-Balken am Sonntag um 18 Uhr steigt. (abendblatt.de/dapd/dpa)