Im Duett mit der Generalsekretärin Andrea Nahles will der SPD-Chef die Partei reformieren. Die Kritik ist groß. Auch im Norden.
Hamburg. Im Internet kursiert eine Karikatur. Sie zeigt einen ulkigen Außerirdischen auf einem fernen Planeten. In seinem Alien-Briefkasten vor seiner galaktischen Alien-Hütte steckt ein Brief von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. "Der Herr von der sogenannten SPD fragt, ob wir den SPD-Kanzlerkandidaten mitwählen sollen", liest der Außerirdische vor. Und wundert sich.
Diesseits der Galaxie wundern sich einige irdische Mitglieder der SPD ebenfalls über die geplante Reform ihres Parteichefs und der Generalsekretärin Andrea Nahles. Andere sind sogar wütend auf die Reformpläne der Parteispitze. Geht es nach Nahles und Gabriel, sollen künftig auch Nichtmitglieder über Kandidaten für Ämter wie Landräte oder Bundestagsabgeordnete mitbestimmen. Und über Kanzlerkandidaten. Die Zahl der Mitglieder in den Führungsgremien soll halbiert werden.
Gestern wollten Parteichef Gabriel und Nahles die Reform noch einmal mit den Spitzen der SPD in Bundespräsidium, Vorstand und Parteirat diskutieren. Doch zu einer Debatte über die Reform oder gar zu einer einvernehmlichen Entscheidung kam es nicht. Das Thema Energiewende beherrschte die Sitzungen. Dennoch sollen einige Mitglieder am Rande der Sitzungen der Parteispitzen Unmut vor allem darüber geäußert haben, dass sie über Einzelheiten der Parteireform erst aus den Medien erfahren haben. Nahles verteidigte die Pläne gegen Kritik. Die Reform sei "eine Voraussetzung, um die nächsten Bundestagswahlen zu gewinnen", sagte sie.
Mehrere SPD-Landesverbände stehen einigen Ideen von Gabriel und Nahles skeptisch gegenüber. Und auch aus dem Norden kommt Kritik - vor allem an den Plänen, dass auch Nichtmitglieder in die Personalentscheidungen eingreifen können. "Die Spitzenämter sollten von Mitgliedern der SPD gewählt werden. Das ist ihr Privileg gegenüber Nichtmitgliedern", sagte Ralf Stegner, Vorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein, dem Abendblatt. Dennoch zielten die Reformvorschläge in die richtige Richtung. "Wir müssen Nichtmitglieder wieder stärker für die SPD begeistern und gleichzeitig die Anhänger der Partei in ihrem Einfluss auf Entscheidungen stärken", sagte Stegner, der auch Mitglied im SPD-Bundespräsidium ist. Er fordert vor allem eine verstärkte Arbeit in den Quartieren und öffentliche Veranstaltungen und Foren im Internet, um Bürger besser an Entscheidungen zu beteiligen. "Will die SPD Volkspartei bleiben, muss sie sich auch Migranten stärker öffnen", hob er hervor.
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Vize-Landeschef Bodo Wiegand-Hoffmeister zeigte sich skeptisch gegenüber der Urwahl von Kandidaten. Es müsse "gut überlegt werden, Nichtmitgliedern echte Entscheidungsbefugnisse einzuräumen, was noch einer ausführlichen auch verfassungsrechtlichen Überprüfung bedarf", sagte er dem Abendblatt. Doch auch Wiegand-Hoffmeister lobte im Grundsatz die Ideen von Nahles und Gabriel. Deutlich gewarnt vor einer Entwertung der Mitgliedschaft durch Mitbestimmung von Bürgern bei Personalentscheidungen hatte bereits Niedersachsens SPD-Chef Olaf Lies.
Trotz aller Skepsis - wer mit Sozialdemokraten spricht, spürt den Wunsch nach Reformen der Parteistrukturen. Ein "weiter wie bisher" will kaum jemand. Kein Wunder, denn ähnlich wie die andere Volkspartei CDU haben die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren drastisch Mitgliedern verloren. Erstmals sind es unter 500 000 Genossen - so wenig wie zuletzt 1906.
Die Reform ist Gabriels Vision, mehr Menschen für die Arbeit der SPD zu begeistern - und so die Partei aus dem Umfragetief zu holen. Es ist Gabriels Agenda 2012. Beim Parteitag im Dezember soll eine Neuordnung der Parteistrukturen beschlossen werden. Im Herbst 2012 will die SPD ihren Kanzlerkandidaten nominieren. Entscheiden Bürger in einer Urwahl über die Kandidatur, wäre das Monopol der Parteien bei der Bewerbung um den Posten gefallen. Gerade weil die Reform historisch ist, wollen Gabriel und Nahles diskutieren. Die Richtung sei klar, aber kein Vorschlag in Stein gemeißelt, heißt es in einem Brief an alle Mitglieder.