SPD und Grüne können in Bremen mit breiter Mehrheit weiterregieren. CDU und FDP erlebten bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag laut Prognosen ein Debakel: Die CDU musste erstmals bei einer Landtagswahl die Grünen an sich vorbeiziehen lassen, die Liberalen flogen aus dem Parlament.
Berlin. Es war zu erwarten: Haushoher Sieg für Rot-Grün in Bremen. Bei der Bürgerschaftswahl im kleinsten Bundesland wurde die Koalition aus SPD und Grünen am Sonntag nach den Prognosen von ARD und ZDF klar bestätigt. Die CDU rutschte weiter ab und landete bundesweit erstmals hinter den Grünen. Die FDP flog aus dem Landesparlament, die Linke schaffte den Einzug nur knapp. Die Grünen setzten damit im fünften von insgesamt sieben Urnengängen im Superwahljahr 2011 ihren Höhenflug fort. CDU und FDP kassierten nach den Misserfolgen in Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz erneut eine schwere Niederlage.
Nach den 18-Uhr-Prognosen legte die SPD mit Regierungschef Jens Böhrnsen leicht auf 38 Prozent zu. Die von Finanzsenatorin Karoline Linnert angeführten Grünen gewannen stark dazu und wurden mit 22,5 bis 23 Prozent zweitstärkste Kraft. Sie hängten die CDU mit ihrer Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann ab, die nur noch auf 20 bis 21,5 Prozent kam. Die FDP mit ihrem Landesvorsitzenden Oliver Möllenstädt verpasste mit 3 Prozent klar den Sprung ins Parlament. Die Linke mit dem Duo Kristina Vogt und Klaus-Rainer Rupp zog mit 5,5 bis 6 Prozent wieder knapp ein.
Die SPD wird demnach in der Bürgerschaft künftig mit 35 Sitzen vertreten sein, die Grünen mit 22, die CDU mit 19 bis 20 und die Linke mit 5 bis 6 Sitzen. Die Vereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) bekommt wieder einen Sitz, weil sie in Bremerhaven relativ stark ist.
Es zeichnete sich ein Negativrekord bei der Wahlbeteiligung ab. Sie sank einer Prognose zufolge von 57,6 (2007) auf 53,6 Prozent. Erstmals durften in einem Land auch 16- und 17-Jährige an einer Landtagswahl teilnehmen. Sie machten fast 10 000 der insgesamt rund 500 000 Wahlberechtigten aus.
Wegen des komplexen Wahlrechts wurde mit ersten Hochrechnungen erst am späteren Abend gerechnet. Das vorläufige amtliche Endergebnis soll zur Wochenmitte vorliegen. Erstmals konnten die Bürger fünf Stimmen vergeben und diese auf Parteien und Bewerber verteilen oder auf einen Kandidaten vereinigen, was die Stimmenauszählung erschwert.
Die Grünen profitierten damit auch in Bremen von ihrem Auftrieb durch die Atomdebatten infolge der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Nachdem sie in Baden-Württemberg die SPD hinter sich gelassen hatten und dort erstmals einen Ministerpräsidenten stellen, hängten sie in Bremen mit der CDU zum zweiten Mal eine Volkspartei ab. Die CDU fuhr ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bürgerschaftswahl seit mehr als fünf Jahrzehnten ein. Die FDP konnte von ihrer personellen Erneuerung auf Bundesebene nicht profitieren. Sie war schon 1995,
1999 und 2003 dreimal in Folge an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und sitzt jetzt nur noch in 13 von 16 Landesparlamenten.
Die SPD verteidigte ihre Hochburg Bremen, wo sie seit Kriegsende ununterbrochen den Regierungschef stellt. Der bei den Bürgern beliebte Böhrnsen wurde im November 2005 Nachfolger von Henning Scherf im Bremer Rathaus. Er sagte am Wahlabend, die SPD habe „großen Grund zur Freude“. Die SPD wollte wieder stärkste politische Kraft werden. „Wir sind es mit großem Abstand geworden und noch mit größerem Abstand als 2007.“
Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin sagte im ZDF: „In meiner Heimatstadt sind wir jetzt zweitstärkste Kraft. Das ist prima.“ Die Grünen seien dafür „belohnt“ worden, dass sie 2007 das schwierige Finanzressort übernahmen. Grünen-Spitzenkandidatin Linnert sagte in der ARD: „Wir haben ein grandioses Wahlergebnis hingekriegt. Und das tut richtig gut.“ Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig erhofft sich vom Bremer Ergebnis Rückenwind auch für die Bundespolitik. Regierungschef Böhrnsen habe in Bremen eine gute Politik gemacht und einen „tollen Wahlsieg“ eingefahren.
Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Peter Altmaier (CDU), bezeichnete das CDU-Ergebnis als „schmerzhaft“. Er sagte im ZDF: „Bremen ist für die CDU traditionell ein schwieriges Pflaster.“ CDU-Spitzenkandidatin Mohr-Lüllmann räumte ein, dass ihre Partei ihr Wahlziel nicht erreicht habe. „Es gab leider keine Wechselstimmung. Das ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.“
Dem Urnengang war ein unspektakulärer Wahlkampf vorausgegangen. Reizthemen fehlten weitgehend. Strittig zwischen den Parteien war vor allem die Finanzpolitik in dem mit fast 18 Milliarden Euro hoch verschuldeten Bundesland.
Bei der Wahl vor vier Jahren hatte sich die SPD mit 36,7 Prozent (33 Sitze) trotz hoher Verluste als stärkste Kraft behauptet. Die CDU kam auf auf 25,6 Prozent (23 Sitze). Die Grünen erreichten 16,5 Prozent (14 Sitze) und die Linke 8,4 Prozent (7 Sitze). Die FDP erzielte 6,0 Prozent (5 Sitze). Die rechtsextreme DVU zog mit einem Abgeordneten in die Bürgerschaft ein. Ein Mandat musste die SPD später infolge einer Nachwahl an die „Bürger in Wut“(BIW) abgeben. Durch Aus- und Übertritte sah die Sitzverteilung zuletzt so aus: SPD (35), CDU (22), Grüne (13), Linke (5), FDP (4), BIW (1), Parteilose (3).
Zur Wahl traten diesmal 16 Parteien und Wählervereinigungen an. 369 Kandidaten bewarben sich um die 83 Sitze in der Bürgerschaft. Das Wahlrecht sieht vor, dass eine Partei schon dann ins Landesparlament kommt, wenn sie nur in einer der beiden Städte Bremen und Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde überspringt.
Der Liveticker bis 18:40 Uhr
18.38: Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), sieht im SPD-Wahlerfolg von Bremen auch „ein gutes Signal für die Berliner Abgeordnetenhauswahl im September“. „Wenn die Hochrechnungen die bisherigen Trends bestätigen, bedeutet das Bremer Wahlergebnis einen klaren Sieg für die SPD und einen großen Erfolg für den Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen“, sagte Wowereit
18.36: Christian Lindner, Generalsekretär der FDP: "Das war keine Wahl die jetzt schon als Neuanfang der FDP gewertet werden kann. Wir haben uns auf den Weg begeben, Vertrauen wiederzugewinnen. Wir haben noch einen Weg vor uns, das zeigt die Wahl. Wir haben gerade erst mit der Neuaufstellung angefangen. Es braucht Zeit, dass das wirkt."
18.34 Uhr: Sigmar Gabriel, SPD-Chef: "Das ist ein Riesenerfolg der SPD. 18 Mal in Folge hat die Sozialdemokratie die Bremerinnen und Bremer überzeugt. Das ist ein eindrucksvoller Beweis, wie tief verankert die Bremer SPD in der Bevölkerung ist."
18.31: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sieht im Wahlerfolg ihrer Partei in Bremen ein gutes Zeichen. Die Stärke in Städten sei ein Markenzeichen der SPD, sagte Nahles. „Das werden wir in diesem Jahr auch noch in Berlin beweisen.“ In der Bundeshauptstadt will die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast den regierenden SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit aus dem Amt drängen. Derzeit profitierten die Grünen vor allem von den Diskussionen über Energiethemen, sagte Nahles. Wenn in den kommenden Monaten andere Themen wieder wichtiger würden, werde die SPD davon profitieren.
18.26: Karoline Linnert, Spitzenkandidatin der Grünen: "Das ist ein grandioses Ergebnis. Wir haben alle unsere Wahlziele erreicht. Das zeigt, dass wir angekommen sind mitten in der Stadt. Wir erwarten auch, dass wir durch das gute Wahlergebnis mehr Verantwortung in der Regierung übernehmen können."
18.24: Das sich in Bremen abzeichnende Wahlergebnis zeigt nach Auffassung der Grünen-Landesvorsitzenden Karin Mathes, dass ihre Partei CDU wie SPD bei Landtagswahlen übertreffen kann. „Die Wahlprognose zeigt, dass wir die eine wie die andere Volkspartei schlagen können“, sagte Mathes mit Blick auf die Wahlen in Baden-Württemberg und in ihrem eigenen Bundesland. Mathes wertete das prognostizierte Ergebnis als Resultat guter Regierungsarbeit in Bremen. „So ein Ergebnis aus der Regierung heraus zu erzielen, ist eine wirklich gute Leistung und spricht für unsere nachhaltige Bremer Politik“, sagte sie. „Auf gar keinen Fall“ werde ihre Partei eine grün-schwarze Koalition anstreben. „Wir wollen die gute rot-grüne Politik fortsetzen und diese Stabilität braucht diese Stadt“, fügte Mathes hinzu.
18.20: Grünen-Parteichefin Claudia Roth zeigte sich äußerst erfreut über das Ergebnis der Grünen. „Das ist ein gutes Gefühl. Da drin bumperts“, sagte sie am Sonntagabend in der Bremer Bürgerschaft mit einer Hand an ihrer Brust. Das Besondere sei für sie, dass es gelungen sei, ein solch gutes Ergebnis aus der Regierungsverantwortung heraus zu erzielen. „Das hat es so sicherlich so auch noch nicht gegeben.“
18.17: Die Spitzenkandidatin der CDU, Rita Mohr-Lüllmann, hat sich enttäuscht über den Ausgang der Bürgerschaftswahl in Bremen geäußert, bei der ihre Partei nur noch drittstärkste Kraft wurde. „Gut gekämpft, aber das Wahlziel leider nicht erreicht“, sagte Politikerin am Sonntagabend. Sie hoffe, dass es wegen des komplizierten Wahlrechts im Laufe des Abends noch Verschiebungen geben werde.
18.14: Manuela Schwesig, stellvertretende SPD-Vorsitzende: "Das Ergebnis ist ein gutes Signal für Berlin. Wir freuen uns über das gute Wahlergebnis für die SPD. Es ist ein Signal für Rot-Grün in Deutschland." Der Erfolg von Jens Böhrnsen bedeute nicht, dass er nun auch ein Kandidat für die SPD-Kanzlerkandidatur sei. "Heute ist nicht der Abend der Kanzlerkandidatur."
18.12: Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen: Er dankt seiner Partei für den engagierten Wahlkampf. "Wir haben großen Grund zur Freude."
18.10: Prof Korte, Politikwissenschaftler, warnt vor einer "Erfolgsfalle" der Grünen. Die anderen Parteien reagierten auf die veränderten politischen Bedingungen, zum Beispiel bei der Energiepolitik. Das könne den Grünen im Herbst wieder schaden.
18.07: Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen-Bundestagsfraktion: "Wir haben bei allen Wahlen der letzten Jahre zugelegt. Wir sind auf dem Weg, dass es mehr Grün in Bremen geben wird." Es sei eine "sehr, sehr gute Entwicklung", dass neben Rot-Grün auch Grün-Rot immer interessanter werde. Das Bremer Ergebnis sei eine gute Vorlage für die Abgeordnetenhauswahlen im Herbst in Berlin. Dort wollten die Grünen stärkste Partei werden.
18.04: Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU: "Das ist ein schmerzhaftes Ergebnis. Wir haben in Bremen ein schlechtes Wahlergebnis erreicht. Bremen ist für die CDU traditionell ein schwieriges Pflaster. Die Union ist an einem schwierigen Punkt angelangt. Wir befinden uns als Union in einem sehr schwierigen Umfeld. Das alles verlangt einer Regierungspartei ab."
18.01: ZDF-Prognose: SPD: 38 Prozent, CDU: 21,5, Grüne: 23, FDP: 3, Linke: 5,5, BIW (Bürgerin Wut): 3,5 Andere: 5,5
18.00: Die Wahllokale sind geschlossen.
Die letzte Zusammenfassung vom Wahltag vor der Schließung der Wahlokale:
Bei der Landtagswahl in Bremen waren bis zum Nachmittag erst knapp ein Drittel aller Wähler zu den Urnen gegangen. Die Wahlbeteiligung im kleinsten deutschen Bundesland habe bis dahin bei 30,0 Prozent gelegen, teilte die Wahlleitung am Sonntag mit. Allerdings ist das Interesse an der Briefwahl diesmal deutlich größer als in den Vorjahren: Fast ein Viertel aller gut 500 000 Wahlberechtigten beantragte die Stimmzettel bereits im Vorfeld, um die Kreuzchen zu Hause zu machen.
Zum ersten Mal in Deutschland können auch 16- und 17-Jährige ein Landesparlament mitwählen. Umfragen zufolge wird die rot-grüne Koalition unter Führung des amtierenden Regierungschefs Jens Böhrnsen (SPD) wieder vorne liegen. Böhrnsen appellierte bei seiner Stimmabgabe vor allem an Jugendliche, sich intensiv an der Wahl zu beteiligen, um ein bundesweites Vorbild zu sein. „Sie sind Pioniere“, betonte Böhrnsen. Zu den Erstwählern in Bremen gehörte auch der 16 Jahre alte Julian Burmester, der nach seiner Stimmabgabe sagte: „Es war schon eine Befriedigung, dass man sich beteiligen kann. Ich weiß aber auch von vielen Freunden, die nicht wählen gehen.“
+++ Das Bremer Wahlrecht +++
+++ Die Spitzenkandidaten im Porträt +++
+++ Grüne: Deutschland soll dem Bremer Beispiel folgen +++
Bei der Wahl in Bremen dürfte die SPD, die dort seit Kriegsende den Regierungschef stellt, den Umfragen zufolge erneut Sieger werden. Die Grünen sehen die Demoskopen mit mehr als 20 Prozent Stimmanteil auf Platz zwei, die CDU könnte nur noch drittstärkste Kraft werden. Die Linken könnten auf Platz vier landen, die FDP könnte den Einzug in den Landtag nach den Umfragen verpassen.
SPD-Spitzenkandidat Böhrnsen sagte bei seiner Stimmabgabe, er erwarte für die Sozialdemokraten ein „ordentliches Ergebnis“. Er will die Koalition mit den Grünen fortsetzen. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Karoline Linnert, rechnet mit mindestens 20 Prozent Stimmanteil für ihre Partei. „Wenn es dann mehr wird, freu’ ich mich auch“, sagte sie. CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann zeigte sich am Morgen bei ihrer Stimmabgabe trotz schlechter Umfragewerte für die Union zuversichtlich. „Noch habe ich nicht aufgegeben. Mich interessieren die echten Stimmen“, betonte sie.
Die Wahllokale haben bis 18.00 Uhr geöffnet. Das Auszählen der Stimmen wird Tage in Anspruch nehmen. Ein vorläufiges amtliches Endergebnis wird wegen Änderungen im Wahlrecht nicht vor Mittwoch nächster Woche erwartet. Bei dem neuen Wahlsystem können die Stimmberechtigten erstmals fünf Kreuzchen für Kandidaten und Parteien machen. Es gibt keinen Wahlzettel mehr, sondern ein ganzes DIN-A4-Heft, in dem neben den Parteien alle Bewerber auf einen Abgeordnetensitz aufgeführt sind. Dieses System macht die Auszählung kompliziert.
Im Wahlkampf in Bremen blieben heftige Attacken in den vergangenen Wochen aus. Die Finanzpolitik in dem mit rund 18 Milliarden Euro verschuldeten Bundesland war in der politischen Auseinandersetzung der einzige große Zankapfel.