Experten gehen aber von keiner unmittelbaren Bedrohung aus
Hamburg. Dass Hamburg nach der Tötung des Al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden Ziel eines Terroranschlags werden könnte, sei grundsätzlich nicht auszuschließen. "Aber halbwegs vergleichbare Ereignisse haben gezeigt, dass die dschihadistische Szene Hamburgs nicht dazu neigt, spontan und wütend zu reagieren", sagte Manfred Murck, Vizechef des Hamburger Verfassungsschutzes dem Abendblatt.
Nach seiner vorläufigen Einschätzung werde die Szene sich zunächst ducken und grübeln, was ihr dieser Schlag gegen das Terrornetzwerk al-Qaida bedeutet. "Daraus folgt natürlich nicht, dass sich die Anhänger Osama Bin Ladens geschlagen geben werden. Sie werden ihn als Märtyrer verehren und weitermachen", sagte der Verfassungsschützer.
Ob sich daraus ergebe, dass in den kommenden Wochen auch in Hamburg ein Attentat geplant werden könnte, sei ziemlich unwahrscheinlich, aber derzeit nicht sicher einzuschätzen. "Fest steht, dass wir bei größeren Anschlägen gute Chancen hätten, sie rechtzeitig aufzudecken", sagte Murck. Denn solche Aktionen erforderten eine eher längerfristige und aufwendige Vorbereitung. Es werde nun beobachtet, wie sich die dschihadistische Szene sortiere.
Zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen und Polizeipräsenz wird es in Hamburg nicht geben. Seit am 11. September 2001 die Terroranschläge von New York und Washington verübt wurden, wird etwa das US-Generalkonsulat, das "Weiße Haus" an der Alster, ohnehin rund um die Uhr schärfstens bewacht. Die Taiba-Moschee (ehemals Al-Kuds-Moschee) am Steindamm, die inzwischen geschlossen wurde, war damals der Treffpunkt der Attentäter um Mohammed Atta, Marwan Alshekhi und Ziad Jarrah die die Anschläge vom 11. September ausgeführt haben. Das Gebetshaus hatte sich zum zentralen Treffpunkt von Befürwortern des weltweiten Dschihad im Sinne der Al-Qaida-Ideologie entwickelt.
Auch in anderen deutschen Städten wird der Tod von Osama Bin Laden keine erhöhten Sicherheitsmaßahmen zur Folge haben. "Das Sicherheitsniveau auf deutschen Bahnhöfen und Flughäfen ist unverändert auf einem hohen Niveau", sagte Jens Schobranski, Sprecher des Bundespolizeipräsidiums, gestern. "Nach dem Tod des Terroristen Osama Bin Laden werden die bestehenden Sicherheitsmaßnahmen der Bundespolizei nach aktuellen Erkenntnissen als ausreichend angesehen." Die Beamten seien gut gerüstet, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Die Hamburger Polizei teilt diese Meinung. "Wir haben in unserer Stadt seit geraumer Zeit ein sehr hohes Sicherheitsniveau", sagte Sprecher Andreas Schöpflin. Und das werde auch in Zukunft so bleiben.
Für den größten Verband der Muslime in Hamburg geht von den Radikalislamisten der Hamburger Szene aktuell keine konkrete Terrorgefahr aus. "Aber die internationale Terrorgefahr wird nach Bin Ladens Tod nicht abnehmen, auch nicht für Muslime", sagte der Vorsitzende des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura), Mustafa Yoldas, im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd. "Egal, in welcher europäischen Hauptstadt eine Bombe hochgeht, es gibt keine Garantie, dass davon nicht auch ein Muslim betroffen würde. Deshalb herrscht bei uns diesbezüglich beträchtliche Verunsicherung." Insofern sei auch in den islamischen Gemeinden kein Jubel über Bin Ladens Tod ausgebrochen. Außerdem sei die Nachricht für eine genauere Einschätzung der Stimmung noch viel zu frisch.
Indirekt übte Yoldas Kritik an dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden in Hamburg gegen radikale Islamisten. Deren Aktivitäten hätten trotz der Schließung der Taiba-Moschee, in der sich einst die Hamburger Attentäter vom 11. September getroffen hatten, nicht abgenommen. "Kurzsichtige und unkluge politische Entscheidungen haben nur dazu geführt, dass sich der radikale Islamismus heute in Wohnungen statt an überschaubaren Orten wie Moscheen trifft." Mit dem Tod von Osama Bin Laden sei nur eine Symbolfigur des internationalen Terrorismus beseitigt worden. "Es ist eine Geißel weniger, die uns bedroht", sagte Mustafa Yoldas. "Aber das Phänomen al-Qaida ist nicht aus der Welt geschafft."