Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) über die Finanzkrise, die Lage in Afghanistan und die Führungskraft von Bundeskanzlerin Merkel
Berlin. Karl-Theodor zu Guttenberg schaltet sich in die Debatte um die Euro-Krise ein. Im Abendblatt-Interview mahnt der Verteidigungsminister und frühere Wirtschaftsminister zur Besonnenheit bei der Regulierung der Finanzmärkte. Zugleich fordert einen harten Sparkurs und kündigt Einschnitte im Wehretat an.
Hamburger Abendblatt: Herr Minister, welcher Krieg ist bedrohlicher: Der Krieg, den islamische Extremisten gegen unsere Lebensweise führen? Oder der Krieg von Spekulanten gegen unsere Währung?
Karl-Theodor zu Guttenberg: Der Kriegsbegriff passt beim zweiten Feld nicht. Er wird den Zuständen auf den Finanzmärkten nicht gerecht.
Was steht für die Bürger jeweils auf dem Spiel?
Im ersten Feld geht es um unsere Sicherheit und um unser Wertesystem. Beim zweiten steht der Zusammenhalt Europas auf dem Spiel.
Gegen welche Bedrohung sind wir besser gerüstet?
Gegen beide Bedrohungen werden wir nie abschließend gerüstet sein. Beide Szenarien sind Prozessen unterworfen, bei denen man gelegentlich nachsteuern muss.
Wie bewerten Sie die Versuche, den Euro zu retten?
Das Euro-Rettungspaket ist ein außergewöhnlicher, ein notwendiger Schritt. Als Nächstes müssen wir an die Defizite und Schwächen herangehen, die mit ursächlich für diesen Schritt waren.
Der Euro verliert weiter an Wert ...
Wir sollten aber nicht Panik herbeireden. Der Euro stand schon viel schlechter, im Schnitt über all die Jahre bei lediglich 1,18 zum Dollar.
Was wird die Regierung noch unternehmen, um Spekulanten das Handwerk zu legen?
Ich warne davor, den Spekulantenbegriff so abwertend zu verwenden ...
... es gibt auch gute Spekulanten, wollen Sie sagen.
Legen Sie persönlich an?
Ja, ohne groß zu spekulieren.
Wenn Sie eine einzige Aktie halten, sind Sie schon Spekulant. Wenn man verständlicherweise versucht, sein Geld bei der Bank anzulegen, die die höchsten Zinsen zahlt, ist man genau genommen ein Spekulant. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht in eine Sprache abdriften, die ein pauschales Unwerturteil aufstellt. Das hatten wir schon bei den Managern.
Welche Schritte halten Sie für erforderlich?
Es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Wir müssen international abgestimmt die Frage der Hedgefonds und der Leerverkäufe lösen ...
... international abgestimmt? Davon kann beim Vorgehen der Bundesregierung nicht die Rede sein.
Bei manchen Fragen ist es möglich, eine nationale Vorreiterrolle zu spielen. Bei Leerverkäufen kann das durchaus positive Folgen haben. Bei anderen Fragen kann es Sinn machen, zunächst die internationale Abstimmung zu suchen, um eine optimale Wirkung zu erreichen. Dabei denke ich vor allem an die Finanztransaktionssteuer.
Sehen Sie die Gefahr, dass zu viel reguliert wird?
Manchmal sind schnelle Schritte erforderlich, um einen Aufprall zu vermeiden, der unabsehbare Folgen hätte. Aber ich warne davor, mancher Hysterie nachzugeben und über das vernünftige Maß hinaus in einen Regulierungswahn zu driften.
War der Entschluss der Regierung, sich an einem Rettungspaket für 750 Milliarden Euro zu beteiligen, alternativlos?
Mit diesem Wort bin ich generell zurückhaltend. Deutschland ist als zweitgrößte Exportnation ein erheblicher Wirtschaftsfaktor in der Welt. Niemand könnte uns zwingen, gegen unsere Überzeugung ein solches Rettungspaket mitzutragen. Wir haben in der Regierung sehr wohl Alternativen diskutiert - und uns dann für diesen richtigen Weg entschieden. Bei allen anderen Lösungen wäre die Frage gewesen: Sind wir bereit, uns auf eine Rutschbahn zu setzen, Seife darauf zu gießen und es dann hübsch sausen zu lassen?
Was bringt das Rettungspaket dem deutschen Steuerzahler?
Es trägt zur Stabilisierung der Währung bei.
Ist die Politik in der Lage, den Kampf gegen die Finanzmärkte zu gewinnen?
Es kann nicht darum gehen, die Finanzmärkte zu bezwingen. Politik und Finanzmärkte sollten die gewachsenen Kräfte des jeweils anderen respektieren.
Soll heißen?
Die Finanzmärkte sollten besser reguliert, besser beaufsichtigt werden, aber trotzdem noch den Marktkräften unterworfen sein.
Der Preis jedenfalls ist hoch. Steuersenkungen sind abgesagt, harte Einschnitte werden folgen ...
Wir müssen uns einer Grundfrage annehmen, die wir über Jahrzehnte - höflich formuliert - mit einer gewissen Distanz betrachtet haben: Wir haben unseren Wohlstand auch mit Schulden aufgebaut. Soziale Errungenschaften bis hin zur Rente basieren auf erheblichen Schuldenbergen. Diese Grundfrage ist nicht mit fröhlichen Antworten verbunden.
Wie sieht Ihre Antwort aus? Finanzminister Schäuble will in Ihrem Ressort so ziemlich die größten Einschnitte vornehmen.
Ein Brief aus dem Finanzministerium ist noch keine Verhandlung. Trotzdem müssen wir alle einen Beitrag dazu leisten, dass wir unseren Kindern nicht nur Schulden hinterlassen. Diese Aufgabe wird am Verteidigungsressort ebenso wenig vorübergehen wie an allen anderen Ressorts Wir müssen die Etatverhandlungen zielgerichtet führen und wissen, wo die Grenzen sind.
Nämlich wo?
Meine Grenzen sind definitiv dort, wo es um das Leben und die Unversehrtheit unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geht. Da ist bei mir die Verhandlungsgrenze erreicht. Da werde ich unerbittlich sein.
In anderen Worten: Sparen sollen vor allem die anderen.
Nein. Die Kosten für den Schutz der Soldaten sind nur ein Teil meines Haushalts. In anderen Bereichen geht es darum, effizientere Strukturen zu schaffen. Ich nehme gerade alle Großvorhaben unter die Lupe. Es ist selbstverständlich, dass es zum Stopp des einen oder anderen Rüstungsprojekts kommen wird.
Gibt es Tabus beim Sparen?
Wir sollten für die Zukunft unserer Kinder sparen, nicht an unseren Kindern. Der Vorschlag von Roland Koch, zuerst an Bildung und Familie zu gehen, ist für mich daher nicht nachvollziehbar.
Am Ende wird der Regierung nichts anderes einfallen, als die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Wir sollten zunächst dort ansetzen, wo wir mit eigener Disziplin etwas leisten können. Wir sollten es bei einer gemeinsamen Anstrengung auch ohne Steuererhöhungen schaffen können.
Ausschließen würden Sie eine Mehrwertsteuererhöhung aber nicht.
Ausschließen kann ich nur, dass in diesem Raum keine fränkische Fahne hängt. Im Ernst: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer steht nicht an.
Herr zu Guttenberg, ist der Krieg gegen den Terror - anders als die Auseinandersetzung mit den Finanzmärkten - zu gewinnen?
Rein militärisch ist ein Krieg oder Kampf gegen den Terror - sei er in Afghanistan, in Pakistan oder in afrikanischen Staaten zu führen - nicht zu gewinnen. Deswegen muss man sich gewahr sein, dass die militärische Komponente irgendwann an ihre Grenzen stößt. Wir müssen unseren Instrumentenkasten neu justieren.
Woran denken Sie?
An eine bessere Vernetzung der Nachrichtendienste. Darüber hinaus müssen wir uns in die Lage versetzen, an der einen oder anderen Stelle international abgestimmt, gezielt mit Spezialkräften vorzugehen. Und natürlich kommt dem zivilen Aufbau eine wachsende Rolle zu.
Der Krieg am Hindukusch dauert inzwischen länger als beide Weltkriege. Helmut Schmidt rät, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass man diesen Krieg wird abbrechen müssen ...
Es ist notwendig gewesen, Ziele neu zu definieren und sich von Illusionen zu verabschieden. Eine Demokratie nach westlichen Maßstäben wird in Afghanistan nicht zu errichten sein.
Die deutschen Soldaten erleben das neunte als ihr blutigstes Jahr. Was kann die Bundeswehr noch ausrichten?
Die Bundeswehr kann afghanische Kräfte befähigen, für ein Mindestmaß an Sicherheit zu sorgen. Ultimative Sicherheit wird es in einem Land, das seit Jahrhunderten von Konflikten geprägt ist, nie geben können. Deutsche Soldaten können dazu beitragen, dass von afghanischem Boden keine Gefährdung der internationalen Sicherheit mehr ausgeht.
Ist die Bundeswehr dafür gerüstet? Der neue Wehrbeauftragte Königshaus hält den Einsatz schwerer Panzer für erforderlich ...
Es wird jede Einzelstimme ernst genommen. Ausrüstung und Ausbildung sind ein kontinuierlicher Prozess. Ich habe gerade die Anweisung erteilt, weitere Schützenpanzer nach Afghanistan zu schicken. Der Einsatz schwerer Kampfpanzer allerdings erscheint nicht sinnvoll.
Wie weit hat der Luftschlag von Kundus im vergangenen Sommer die Stabilisierungsbemühungen zurückgeworfen?
Es gab Stimmen von afghanischer Seite, die den Luftschlag von Kundus sehr begrüßt haben. Das ist ausdrücklich nicht meine Wertung, aber es ist interessant, das zu registrieren. Es hat in der Zeit direkt nach dem Luftschlag auch deutlich weniger Angriffe in dieser Region gegeben.
Welche Folgen hätte ein rascher Abzug der Bundeswehr für unsere Sicherheit?
Ein überhasteter Abzug der Bundeswehr würde einen ebenso überhasteten Abzug anderer nach sich ziehen. Dies würde die Gefahr einer Implosion des Landes unmittelbar erhöhen. Und da halte ich die Dominotheorie für maßgeblich: Wenn Afghanistan fällt, kann auch Pakistan fallen - ein Land, das im Besitz von Atomwaffen ist. Ich hätte sehr ungern Atomwaffen in den Händen von Terroristen. Zudem können die Nachbarstaaten Zentralasiens bis hin zum Iran unmittelbar in den Sog geraten.
Wann wird der letzte deutsche Soldat Afghanistan verlassen?
So schnell es vernünftigerweise möglich ist.
Also in Jahrzehnten.
Würden wir am Ziel festhalten, eine Demokratie nach unseren Maßstäben zu etablieren, stünden wir in 120 Jahren noch am Hindukusch. Ein Mindestmaß an Sicherheit lässt sich deutlich schneller erreichen. Die Übergabe in Verantwortung soll mit dem Jahr 2011 beginnen. Es wäre allerdings unklug, den Taliban ein Enddatum zu nennen.
Wird eher Afghanistan oder eher die Euro-Krise zur Schicksalsfrage dieser Bundesregierung?
Das Schicksal einer Regierung richtet sich danach, ob man verantwortungsvoll Antworten auf ein Bündel von Fragen findet. Die Fokussierung auf ein oder zwei Fragen wäre sehr kurzsichtig.
Seit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit im Bundesrat mehr. Was kann die Koalition in dieser Wahlperiode erreichen?
Die Regierung kann weiter für ihre Überzeugungen werben und sie so durchsetzen. Ich hoffe, dass sich jeder in Union und FDP seiner Verantwortung bewusst ist, nicht nur an parteipolitischen Reflexen zu arbeiten.
Woran erkennen Sie, dass die Bundeskanzlerin über die Richtlinienkompetenz verfügt?
Das erkenne ich jeden Tag im unmittelbaren Umgang. Die Kanzlerin führt - und sie führt gut.
Wollen die Ministerpräsidenten, die querschießen, der Kanzlerin das Steuer aus der Hand nehmen?
Es mag an meinen intellektuellen Grenzen liegen, dass ich manches einfach nicht durchschaue.
Welche Rolle spielt der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende?
Horst Seehofer ist auch auf Bundesebene oftmals Impulsgeber.
Sie werden als Seehofers Nachfolger gehandelt. Ehrt Sie das?
Ich kann nur sagen: Das wundert mich.
Führen Sie das auch auf Ihre intellektuellen Grenzen zurück?
(lacht) Da haben Sie völlig recht.