FDP-Generalsekretär Christian Lindner über die Regulierung der Finanzmärkte, künftige Koalitionen und angebliche Ambitionen auf den Parteivorsitz
Berlin. Christian Lindner, Shootingstar der Liberalen und zweiter Mann nach Guido Westerwelle, wehrt sich im Abendblatt-Interview gegen den Eindruck, seine Partei sei Schutzmacht der Spekulanten.
Hamburger Abendblatt: Herr Lindner, bringt die FDP den Mut auf, das Wahldebakel von Nordrhein-Westfalen zu analysieren?
Christian Lindner: Ja. Es gab verschiedene Einflüsse - Landespolitik, Griechenland und die Koalition im Bund. Profitiert haben jeweils diejenigen, die keine Verantwortung tragen.
Die Sozialstaatsdebatte, das Wort von der spätrömischen Dekadenz - welchen Anteil hat Guido Westerwelle an der Niederlage?
Wenn wir mehr über Worte streiten als über Probleme, dann bewegt sich nichts. Der Sozialstaat muss fairer werden. Er muss Bedürftige zurück in Wirtschaft und Gesellschaft führen. Wir handeln: Das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger ist verdreifacht, Kinder aus Bedarfsgemeinschaften können Geld aus Ferienjobs behalten und Arbeitslose unter 25 Jahren bekommen innerhalb von sechs Wochen ein Angebot.
Anders als Westerwelle wurden Sie kürzlich auf dem FDP-Parteitag begeistert gefeiert. Was entgegnen Sie jenen, die sagen: Christian Lindner wäre der bessere Parteivorsitzende?
Eine Rede und ein paar Monate Arbeit im Amt qualifizieren nicht für den Parteivorsitz. Im Übrigen haben wir einen Vorsitzenden, dem ich loyal verbunden bin, von dem ich lerne und der das Vertrauen der FDP hat.
Es wäre auch riskant, sich anders zu äußern...
Es wäre auch falsch, etwas anderes zu sagen.
Sie sagen aber auch nicht: Ich werde niemals Parteivorsitzender sein.
Sorry, mit 31 Jahren habe ich mein Leben leider noch nicht vollständig geplant.
Kann Guido Westerwelle etwas, das Sie nicht können?
Er kann politische Fragen brillant zuspitzen. Wo er intuitiv handeln kann, da muss ich wägen. Als reife politische Persönlichkeit hat er zudem gefestigte Werte und Erfahrungen.
Die FDP könnte in Nordrhein-Westfalen weiterregieren, tut es aber nicht. Warum?
Der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart hat an diesem Freitag klar gemacht, dass wir für Alibi-Gespräche mit SPD und Grünen nicht zur Verfügung stehen, da Rot-Grün eine Koalition mit der Linkspartei anstrebt. Ich bezweifele zudem, dass es in der Sache ausreichende Gemeinsamkeiten gegeben hätte.
Sie bereiten damit jener Konstellation den Boden, die Sie auf jeden Fall verhindern wollten: Rot-Rot-Grün.
Nein, mit Jamaika und der Großen Koalition gibt es Alternativen. Der Machtwille von SPD und Grünen führt zu Rot-Rot-Grün.
Mit dieser Haltung isolieren Sie die FDP.
Nur weil wir keine Machtopportunisten sind? Die Linkspartei findet die autoritären Staaten Südamerikas vorbildlich und ruft zu sozialen Unruhen auf. Wer Gemeinsamkeiten mit dieser Partei sieht, ist für uns kein Gesprächspartner.
Ist es klug, wenn sich die FDP an die Union kettet?
Es gibt in allen demokratischen Parteien interessante Persönlichkeiten und Positionen, nicht nur in Union und FDP. Die FDP ist prinzipiell koalitionsfähig mit anderen Parteien als der Union, aber nicht an jedem Ort, zu jeder Zeit oder um jeden Preis.
Im nächsten Jahr sind sechs Landtagswahlen. Sind Koalitionen mit SPD und Grünen möglich?
Das ist Sache der Landesverbände. Aber ich sehe schon, dass es etwa in Rheinland-Pfalz eine sozialliberale Tradition gibt. Koalitionen mit SPD und Grünen sind daher für mich unter Umständen vorstellbar. Bei SPD und Grünen befürchte ich jetzt aber einen weiteren Linksruck, damit Sigmar Gabriel 2013 im NRW-Modell Kanzler werden kann.
Was ist nach der NRW-Wahl übrig von den Versprechen der FDP im Bundestagswahlkampf? Steuersenkungen hat die Kanzlerin schon abgesagt...
Nein, die Kanzlerin hat Steuerentlastungen nicht prinzipiell abgesagt. Die Rahmenbedingungen haben sich in dramatischer Weise verändert. Deshalb hat die Koalition eine andere Prioritätenfolge.
Wie würden Sie jetzt die Prioritäten setzen?
Die erste Priorität ist, unsere Währung zu sichern und den europäischen Stabilitätspakt, den die rot-grüne Regierung 2004/2005 aufgeweicht hat, wieder zu stärken. Zweitens müssen wir die Finanzmärkte neu regulieren. Die Exzesse müssen beseitigt werden. Rot-Grün hat Hedgefonds in Deutschland zugelassen und die Bankenaufsicht zersplittert. Das muss zurückgeführt werden. Drittens muss der Pfad der Haushaltskonsolidierung beschritten werden. Viertens: Gemeindefinanzreform. Wenn wir diese Aufgaben bewältigt haben, wachsen die Möglichkeiten zur Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen.
Also wird es in dieser Wahlperiode nichts mehr mit den versprochenen Steuersenkungen.
Die Periode geht bis 2013. Vereinfachung und Entlastung im Steuerrecht können wir uns bis dahin erarbeiten, wenn es gut läuft.
Bleibt eine Entlastung um 16 Milliarden, die Sie erst kürzlich beschlossen haben, möglich?
Die Zahlen zur Steuerentlastung stammen aus den Koalitionsverhandlungen des letzten Jahres. Vor der Eurokrise. Wenn wir auf den alten Wachstumspfad zurückfinden, werden sie möglich. 2011 werden wir uns wieder damit beschäftigen.
Steuererhöhungen sind ausgeschlossen?
Die FDP ist die einzige Partei, die in dieser Krise die Steuern nicht erhöhen will.
Dann müssen Sie sich Roland Koch anschließen und brutalstmöglich sparen...
Ich ziehe Augenmaß vor. Zum Beispiel sind bestimmte Rüstungsprojekte verzichtbar. Niemand braucht das Raketensystem MEADS - ein Relikt aus dem Kalten Krieg, das fünf Milliarden Euro kostet. Außerdem müssen wir uns alle Subventionen anschauen. Es kann nicht sein, dass wir etwa die Steinkohle bis 2018 mit 14 Milliarden Euro weiter subventionieren, wenn in anderen Branchen die Fachkräfte händeringend gesucht werden. Den Vorschlag von Roland Koch, ausgerechnet bei der Bildung zu sparen, halte ich sogar für kontraproduktiv. An Zukunftsinvestitionen zu sparen gefährdet unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Homburger hatte im Abendblatt-Interview den Etat des Familienministeriums ins Visier genommen...
Wir wollen die familienpolitischen Ergebnisse auf den Prüfstand stellen. Wir stellen fest, dass zum Beispiel in den skandinavischen Ländern für Familien viel mehr erreicht wird als in Deutschland, obwohl dort nicht mehr ausgegeben wird als bei uns. Wir fragen, ob die Leistungen wirksam sind und welche man zusammenfassen kann.
Würden Sie auch bei Hartz IV sparen?
Beim individuellen Leistungsbezieher zu kürzen halte ich für falsch. Mein Weg: Durch Beschäftigungswachstum die Zahl der Bedürftigen reduzieren.
Sie haben davon gesprochen, die Finanzmärkte zu disziplinieren. Fängt die FDP in der Währungskrise an, Grundpositionen zu räumen?
Im Gegenteil. Liberale wissen, dass der Markt eine Ordnung braucht. Über ein Jahrzehnt hatten die Finanzmärkte keine klare Regulierung. Zur Marktwirtschaft gehören Transparenz und Haftung für Risiko. Beide haben gefehlt. Der Markt ist nicht von vornherein gut oder böse. Er kann nur so gut sein wie seine Regulierung.
Was folgt daraus?
Gefährliche Finanzprodukte müssen verboten werden.
Was ist für Sie gefährlich?
Zum Beispiel der Handel mit bestimmten Kreditausfallversicherungen. Auch gewisse Formen der Leerverkäufe müssen verboten werden. Solche Instrumente haben eher den Charakter einer Wette und bedrohen damit die Stabilität der Finanzmärkte. Zwei weitere Aspekte sind mir wichtig...
... die wären?
Wir sollten die Eigenkapitalvorschriften verschärfen. Produkte, die man selbst in den Markt gibt, sollte man zu einem bestimmten Anteil in der eigenen Bilanz halten müssen. Ich bin außerdem dafür, die Bonuszahlungen für die Investmentbanker und die Gewinne von Banken und Hedgefonds zu besteuern - so wie das der IWF mit seiner Financial Activities Tax auch vorschlägt. Diese kann - anders als die von der SPD geforderte Finanztransaktionssteuer - nicht an Sparer und Kleinanleger durchgereicht werden.
Die Gewerkschaften werfen der FDP vor, Schutzmacht der Spekulanten zu sein. Können Sie dieses Image mit solchen Vorschlägen abstreifen?
Wer nicht jeden Populismus mitmacht, der wird leicht Ziel von solchen Etiketten. Wir sehen, dass Märkte jeder Form der staatlichen Planung überlegen sind. Wir wissen, dass Regulierung erforderlich ist. In den vergangenen elf Jahren waren es SPD-Finanzminister, die sich gegen eine Regulierung der Finanzmärkte gesperrt haben. Gerade diese SPD, die sich jetzt als Schutzmacht der kleinen Leute aufspielen will, obwohl sie Mitverantwortung für die Lage hat, entzieht sich der Verantwortung.
In den Umfragen legen die Sozialdemokraten zu, Union und Liberale verlieren aber immer weiter. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?
Indem wir als Koalition handeln und nicht über Umfragen reden.
Geht das mit einer zögerlichen Kanzlerin? FDP-Politiker wie der baden-württembergische Fraktionsvorsitzende Rülke werfen Angela Merkel einen "dramatischen Mangel an politischer Führung" vor...
Das hat mit Kritik an der Bundeskanzlerin als Person gar nichts zu tun.
Wie bitte?
Gemeint ist wohl, dass Schwarz-Gelb jetzt gemeinsam besser arbeiten muss. Die Bundeskanzlerin genießt jedenfalls unser volles Vertrauen.