Kundus. Regierung will radikalislamische Miliz wieder aus Kundus vertreiben. Forderungen nach Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes.
Einen Tag nach dem Fall von Kundus hat die afghanische Regierung eine Gegenoffensive zur Vertreibung der Taliban aus der Provinzhauptstadt begonnen. Regierungstruppen seien am Dienstagmorgen in die nordafghanische Stadt eingedrungen, sagte Polizeisprecher Sajed Sarwar Hussaini. „Wir haben das Polizei-Hauptquartier und das Provinz-Gefängnis zurückerobert.“ Zwei Jahre nach dem Bundeswehr-Abzug aus Kundus hatten die radikalislamischen Taliban die Stadt am Montag überrannt.
Die US-Armee griff in die Gefechte in der Stadt Kundus ein. „US-Streitkräfte haben einen Luftangriff in Kundus geflogen“, sagte ein US-Militärsprecher am Dienstag in Kabul. Kundus ist die erste Provinzhauptstadt, die seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 von den Aufständischen erobert wurde.
Unklar ist, wieviele Menschen bei den Gefechten getötet wurden. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Kabul sagte, 16 Leichen seien in Krankenhäuser gebracht worden. 172 Menschen seien verletzt worden. „Wir wissen nicht, ob das Zivilisten oder Taliban sind.“
Taliban propagieren Absichten in Frieden
Ein Taliban-Kommandeur namens Mullah Usman in Kundus sagte, die Aufständischen durchsuchten Häuser nach Regierungsmitarbeitern und regierungsfreundlichen Milizionären. „Wir sammeln außerdem Waffen und Munition von den Bewohnern der Stadt ein und aus den Regierungsgebäuden und Polizeiposten, die wir eingenommen haben.“
Die Extremisten hatten am Montagmorgen aus mehreren Richtungen mit dem Sturm auf die Stadt begonnen und sie bis zum Abend eingenommen. Aus dem Provinz-Gefängnis befreiten sie nach Regierungsangaben mehr als 600 Häftlinge, darunter 144 Taliban-Kämpfer. Nur noch die Gegend um den Flughafen war unter Kontrolle der Sicherheitskräfte.
Taliban-Chef Mullah Achtar Mohammad Mansur versicherte, die Aufständischen würden „Leben, Besitz und Ehre der respektierten Bürger der Stadt Kundus schützen.“ In einer Mitteilung Mansurs zur „Befreiung“ der Stadt hieß es, die Menschen dort könnten ihr Leben „in absoluter Sicherheit“ weiterführen.
„Die Mudschaheddin denken nicht an Rache, sondern sind mit einer Botschaft des Friedens gekommen“, teilte Mansur mit. Er rief Mitarbeiter der „Invasoren und ihres Handlanger-Regimes“ dazu auf, überzulaufen, um ihr Leben und ihren Besitz zu schützen.
Ein afghanischer Mitarbeiter eines Hilfswerks in Kundus, der anonym bleiben wollte, sagte am Dienstag, die Taliban hätten Fahrzeuge der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und anderer internationaler Hilfsorganisationen in ihre Gewalt gebracht. Die staatliche GIZ verfügt in Afghanistan über zahlreiche Fahrzeuge, von denen viele gepanzert sind. Die GIZ hatte ihre internationalen Mitarbeiter bereits vor dem Fall von Kundus abgezogen.
Debatte über Bundeswehrabzug
Die Eroberung von Kundus durch die Taliban löste eine Debatte um den geplanten Abzug der Bundeswehr aus Nordafghanistan aus. Der SPD-Politiker Rainer Arnold forderte eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in dem Bürgerkriegsland.
Die rund 700 deutschen Soldaten im Norden Afghanistans sollten ein weiteres Jahr bis Ende 2016 in voller Stärke dort bleiben, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion der Deutschen Presse-Agentur. „Angesichts der Situation in Afghanistan wäre es falsch, die Afghanen völlig alleine zu lassen.“
Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte am Wochenende vor einem zu frühen Truppenabzug aus Afghanistan gewarnt. Die Bundeswehr hatte sich vor zwei Jahren aus der Unruheprovinz Kundus zurückgezogen, ist aber noch im 150 Kilometer entfernten Masar-i-Scharif stationiert - allerdings nur zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee. Der Kampfeinsatz der Nato war Ende Ende 2014 nach 13 Jahren ausgelaufen.
Bisher ist geplant, im Laufe des Jahres 2016 alle Nato Truppen aus der Fläche nach Kabul zurückzuziehen. Arnold meint, dass das zu früh ist. „Eines kann es nicht geben: Dass wir zuschauen, wie die Taliban das Land überrennen“, sagte er.