Athen/Brüssel. Erstaunliche Ergebnisse einer neuen Umfrage. Wagenknecht verunglimpft Finanzminister Schäuble. Der Live-Blog bei abendblatt.de.
Nach der Einigung mit den Staats- und Regierungschefs der Eurozone stößt der griechische Regierungschef Alexis Tsipras auf wachsenden Widerstand in seinem eigenen Land. Die Gewerkschaft der Staatsbediensteten rief aus Protest zu einem landesweiten Streik auf. Tsipras muss zudem mit scharfem Gegenwind im Regierungslager rechnen. Verfolgen Sie den Live-Blog bei abendblatt.de.
Ärger für CDU-Mann wegen unbedachter Äußerung
Und wieder ist ein bekannter Politiker über eine unbedachte Äußerung, verbreitet in den sozialen Netzen, gestolpert: Eine Äußerung von CDU-Vize Thomas Strobl zum griechischen Schuldendrama bringt ihm massiv Ärger. Strobl, der auch CDU-Landeschef in Baden-Württemberg ist, hatte am Montagmorgen kurz nach den ersten Meldungen über ein drittes Griechenland-Hilfspaket in die Fernsehkameras gesagt: „Der Grieche hat jetzt lange genug genervt. Jetzt hoffen wir, dass es eine gute Lösung gibt.“ SPD-Landeschef Nils Schmid schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Schämen Sie sich, Herr Strobl!“ Der SPD-Landtagsabgeordnete und gebürtige Grieche Nikolaos Sakellariou meinte in Facebook: „Mein Kandidat für das Unwort des Jahres 2015: „Der Grieche hat lange genug genervt.“ (Auch wenn es mehr als ein Unwort ist).“
"Europa braucht eine Regierung"
Nach dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande hat sich auch der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) für eine europäische Regierung starkgemacht. Schulz sagte dem "Stern": "Die zentralen, wichtigen europäischen Fragen dürfen nicht mehr von den nationalen Regierungschefs gelöst werden. Wir brauchen dafür Gemeinschaftsinstitutionen. Irgendwann brauchen wir eine europäische Regierung." Zu den Bereichen, die kein Mitgliedsland allein bewältigen könne, gehörten zum Beispiel Welthandel, Klima, Migration, Steuerflucht und Währungspolitik. Heute sei es so: "Das Gute ist national, das Schlechte ist europäisch. Die nationalen Interessen haben stets Vorrang. Das hätten Helmut Kohl und Francois Mitterrand nie zugelassen. Kohl hat das grundsätzliche Bekenntnis zu einer gemeinsamen europäischen Politik aus jeder Pore geschwitzt", sagte Schulz. Und er lobte die Kanzlerin: "Frau Merkel gehörte nie zu den Griechenland-Bashern. Ihr erklärtes Ziel war es immer, Griechenland im Euro zu halten."
Umfrage: Merkels Politik kommt parteiübergreifend an
Nach einer Forsa-Umfrage für den "Stern" und RTL glauben 55 Prozent der Bundesbürger, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Griechenland-Krise alles in allem richtig verhalten habe. 31 Prozent finden, sie hätte die Griechen zu einem Ausstieg aus dem Euro zwingen sollen. Vor allem die Anhänger der Grünen sind mit der Kanzlerin zufrieden: 75 Prozent bescheinigen ihr, im Einigungsprozess richtig verhandelt zu haben. 66 Prozent der Unionsanhänger sind mit Merkel zufrieden, 62 Prozent der SPD-Fans und sogar noch 53 Prozent der Linken-Anhänger. "Erstaunlich ist die Standfestigkeit, mit der sich die Bundesbürger zu Europa bekennen", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner.
So bürgt Deutschland für Griechenlands Schulden
Die Europartner und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben seit 2010 zwei Hilfspakete für Griechenland geschnürt. Der deutsche Steuerzahler müsste erst dann für Verluste einspringen, wenn Athen Hilfskredite nicht zurückzahlt. Die Rückzahlung an die Europäer beginnt ab dem Jahr 2020 und zieht sich über Jahrzehnte hin. Ende März hatte Griechenland nach Angaben der griechischen Schuldenagentur Schulden von 313 Milliarden Euro. Im Rahmen des ersten Hilfspakets von 2010 wurden 73 Milliarden Euro an Griechenland ausgezahlt. Davon hat die Euro-Zone etwa 52,9 Milliarden Euro beigesteuert. Der deutsche Anteil der europäischen bilateralen Kredite im Rahmen dieses ersten Programms beträgt rund 15,2 Milliarden Euro. Der IWF zahlte 20,1 Milliarden Euro. Im Rahmen des zweiten Hilfspakets erhielt Griechenland aus dem vorübergehenden Euro-Rettungsfonds EFSF 130,9 Milliarden und 11,8 Milliarden Euro vom IWF. Für Verluste des EFSF haftet Deutschland mit einem Anteil von aktuell 29,13 Prozent. Hinzu kommen Haftungsrisiken für Deutschland an Forderungen des Europäischen Zentralbanksystems sowie an IWF-Krediten. Insgesamt haftet Deutschland bisher für schätzungsweise 85 Milliarden Euro. Das ist aber eher eine theoretische Summe für den unwahrscheinlichen Fall, dass alle Gläubiger auf sämtliche Forderungen verzichten müssen. Das dritte Rettungspaket - die Rede ist von bis zu 86 Milliarden Euro - soll über den dauerhaften Rettungsschirm ESM bereitgestellt werden. Der ESM hat sowohl den temporären EFSF-Fonds als auch den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) abgelöst. Das maximale deutsche Haftungsrisiko beträgt 190 Milliarden Euro.
Konjunktur: Gute Lage, bedenkliche Prognose
Die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten haben sich unter anderem wegen der Griechenland-Krise eingetrübt. Der Indikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sei im Juli um 1,8 Punkte auf 29,7 Zähler gefallen, teilte das Institut mit. Dies ist der niedrigste Wert im laufenden Jahr. Die Lagebeurteilung hellte sich hingegen auf. Der entsprechende Indikator stieg laut ZEW um 1,0 Zähler auf 63,9 Punkte. „Weder die Schwierigkeiten im Umgang mit der griechischen Staatsschuldenkrise noch die Turbulenzen an den chinesischen Finanzmärkten scheinen die Experten stark zu beeindrucken“, kommentierte ZEW-Präsident Clemens Fuest.
Rechtspopulisten wollen weiterregieren
Die Rechtspopulisten in der Regierung des Linken Alexis Tsipras wollen die Koalition aufrechterhalten. Das erklärte der Chef der Partei der Unabhängigen Griechen (Anel), Panos Kammenos, im griechischen Fernsehen. Tsipras plant Medienberichten zufolge eine umfassende Kabinettsumbildung. Zu den Ressortchefs, die gehen sollen, zählen demnach Energieminister Panagiotis Lafazanis und der Minister für Soziales, Dimitris Stratoulis. Sie gelten als die Anführer des Linksflügels des Syriza-Bündnisses. Zahlreiche Abgeordnete dieses Flügels hatten bereits angekündigt, gegen weitere Sparmaßnahmen zu stimmen. Verteidigungsminister Kammenos ließ offen, wie seine Partei stimmen wird.
Schäuble als Taliban verunglimpft
Drastische Kritik: Die Vize-Vorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat bei Twitter die Griechenland-Politik der Bundesregierung scharf attackiert. Sie nannte Finanzminister Wolfgang Schäuble einen "Kürzungs-Taliban". Schäuble hatte für Aufsehen gesorgt, weil er einen zeitweiligen Ausstieg der Griechen aus dem Euro ins Spiel brachte.
Den Griechen helfen? Die Briten machen nicht mit
Großbritannien weigert sich strikt, sich an finanziellen Hilfsmaßnahmen für Griechenland zu beteiligen. „Unsere Kollegen in der Eurozone haben die Botschaft laut und deutlich erhalten, dass es nicht akzeptabel ist, dass britische Unterstützung für Rettungsmaßnahmen in der Eurozone wiederbelebt wird“, zitieren mehrere britische Zeitungen eine Quelle aus dem Finanzministerium. en Berichten zufolge will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Instrumente des alten Rettungschirmes wiederbeleben. Demnach würde der EU-Haushalt - und damit auch Geld des Nettozahlers Großbritannien - als Sicherheit herhalten müssen, falls Griechenland seine Kredite nicht zurückzahlt. London schätzt das Risiko als hoch ein.
Deutsche sind für Griechen-Hilfen, trauen Athen aber nicht
Wie die Blitzumfrage für den ARD-Deutschland-Trend ergab, begrüßt eine Mehrheit der Deutschen die Schuldenvereinbarung mit Griechenland. Eine weitere Unterstützung für Griechenland nannten 52 Prozent der Befragten richtig, 44 Prozent für falsch. Die von Griechenland verlangten Spar- und Reformauflagen fanden 57 Prozent angemessen und 22 Prozent nicht angemessen. Für 13 Prozent gehen sie zu weit. Auf die Frage, ob sie der griechischen Regierung vertrauten, die vereinbarten Reformen auch umzusetzen, antworteten 78 Prozent der Befragten mit "Nein", 18 Prozent mit "Ja".
Linke im Bundestag: Ein deutsches Diktat
Die Linken in Deutschland kritisieren die Verhandlungsführung der Bundesregierung beim Euro-Gipfel scharf. Der Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte im Fernsehsender Phoenix: "Dieses Ergebnis der Verhandlungen ist ein deutsches Diktat und nichts anderes als eine Erpressung." Der griechische Regierungschef Tsipras habe keine andere Möglichkeit gehabt, als dem Paket zuzustimmen, um einen Grexit zu verhindern. In Griechenland drohe bittere Armut.
Trägt die Opposition die Tsipras-Regierung mit?
Zahlreiche Abgeordenete des linken Flügels kündigten bereits an, gegen weitere Sparmaßnahmen zu stimmen. Am frühen Montagmorgen hatten sich die Euro-Länderchefs in Brüssel nach hartem, mehr als 17-stündigem Ringen auf Bedingungen für ein drittes Rettungspaket verständigt. Der Umfang der weiteren Hilfe für Athen könnte bis zu 86 Milliarden Euro umfassen.
Griechenland-Krise: So hilft die Eurogruppe
Damit Verhandlungen über das Rettungspaket überhaupt beginnen können, muss das griechische Parlament schon bis Mittwoch ein erstes Gesetzespaket verabschieden. Ziel sind unter anderem höhere Mehrwertsteuereinnahmen und die Einleitung einer Rentenreform. Bereits am Sonnabend bei der Abstimmung über seine Spar- und Reformvorschläge hatte Tsipras jedoch die Mehrheit in den eigenen Reihen verloren, vielmehr musste er sich auf die Zustimmung der Opposition stützen.
Tsipras plant offenbar Regierungsumbildung
Am Montagabend zog der dem Linksflügel zugerechnete stellvertretende Außenminister Nikos Chountis die Konsequenzen und trat zurück. Er räumte auch seinen Parlamentssitz, wie das griechische Fernsehen berichtete. Da auch weitere Minister Tsipras die Gefolgschaft verweigerten, plant der Regierungschef nach Medienberichten eine umfassende Kabinettsumbildung.
Zu den Ressortchefs, die gehen sollten, zählten Energieminister Panagiotis Lafazanis und der Minister für Soziales, Dimitris Stratoulis, hieß es in mehreren Medien. Sie gelten als die Anführer des Linksflügels des Syriza-Bündnisses und sollen eine große Gruppe von bis zu 40 Abgeordneten hinter sich haben. Syriza hat insgesamt 149 Sitze im Parlament in Athen.
Er habe in den Verhandlungen mit den Partnern im Ausland hart gekämpft, betonte Tsipras in Brüssel. Er werde nun im Inland ebenso hart kämpfen, damit die Gipfelbeschlüsse umgesetzt würden. „Griechenland braucht tiefgreifende Reformen.“
Durch den Brüsseler Kompromiss konnte Tsipras vorerst eine Staatspleite und ein drohendes Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro abwenden. Bis zur Lösung ist es aber noch ein weiter Weg. Erst wenn Athen alle Bedingungen erfüllt hat, wollen die Europartner in die Verhandlungen einsteigen.
Zahlungsrückstand an den IWF wächst
Das Hilfspaket kann laut Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem dann frühestens in einigen Wochen stehen: „Wahrscheinlich wird das eher vier Wochen dauern als zwei Wochen.“
Unterdessen wird Griechenlands Zahlungsrückstand beim Internationalen Währungsfonds immer größer. Wie IWF-Sprecher Gerry Rice in Washington mitteilte, traf eine am Montag fällige Rate in Höhe von 456 Millionen Euro nicht ein. Der IWF-Vorstand sei darüber informiert worden.
Bereits am 30. Juni hatte Griechenland eine anstehende IWF-Rate von knapp 1,6 Milliarden Euro nicht entrichtet. Das heißt, das Land ist jetzt mit Rückzahlungen im Umfang von rund zwei Milliarden Euro an den IWF im Verzug. Rice zufolge wird der IWF-Vorstand in den „kommenden Wochen“ über ein griechisches Ersuchen beraten, die Frist für eine Rückzahlung der Juni-Rate zu verlängern.
Sondersitzung im Bundestag am Freitag
In Deutschland ist die Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen nötig. Das Parlament wird an diesem Freitag in einer Sondersitzung darüber abstimmen - sofern Athen bis dahin alle Bedingungen erfüllt hat. Trotz massiver Bedenken in der Union rechnen die Spitzen der großen Koalition mit einer breiten Mehrheit. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfahl mit „voller Überzeugung“ ein Ja.
Die Euro-Finanzminister berieten am Montag über Wege, Griechenland für den Übergang mit einer Brückenfinanzierung von rund zwölf Milliarden Euro zu helfen. Damit könnte Athen seinen unmittelbaren Finanzbedarf decken und seine Banken wieder eröffnen. Am Dienstag setzen die Finanzstaatssekretäre der 19 Euroländer die Beratungen darüber in Brüssel fort. Mit raschen Ergebnissen wird nicht gerechnet.
Mindestens bis einschließlich Mittwoch bleiben die Banken in Griechenland geschlossen. Bis Donnerstag bleibt auch die Liquiditätshilfe der EZB einem Pressebericht zufolge auf dem derzeitigen Niveau eingefroren. Derzeit liegt die Höchstgrenze für diese Ela-Notkredite bei knapp 90 Milliarden Euro.