Kos/Berlin/Hamburg. Tragödie auf der Urlaubsinsel Kos: Flüchtlinge schlimmer behandelt als in Afrika. Auch in Hamburg Aktion am Elbstrand gegen EU-Politik.

Die Situation ist schon pervers: Auf der einen Seite Tausende Touristen, die ihren verdienten Sommerurlaub in der Ägäis genießen – auf der anderen Seite Menschen, die gerade Kriegen und Vertreibung und dem Tod durch Ertrinken im Mittelmeer entkommen sind. Auch sie liegen in einem Hotel. Das allerdings ist von allen guten Geistern verlassen. Auf der griechischen Insel Kos spielt sich nach Angaben der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Ärzte ohne Grenzen derzeit eine Tragödie ab. Flüchtlinge hausen in dem verlassenen Hotel Captain Elias, das quasi "fünffach überbelegt" ist, wie die Organisation sagte. Niemand kümmert sich um sie.

Entgegen der üblichen Praxis werden die Bootsflüchtlinge sich selbst überlassen. Weil niemand half, hat ein Team von Ärzte ohne Grenzen "das Hotel gesäubert, Toiletten und Duschen installiert und das stehende Wasser aus dem Swimmingpool abgelassen", wie es hieß. Kinder könnten in den Pool fallen und ertrinken.

Helfer fordern radikale Kehrtwende in Flüchtlingspolitik

Den Ärzten, die selbst mit Schiffen Flüchtlinge aus dem Meer fischen, reißt der Geduldsfaden mit der Politik. Zum EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel fordert die Organisation eine radikale Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik der europäischen Staaten. "Die EU muss endlich den Schutz von Menschenleben statt von Grenzen in den Mittelpunkt ihrer Politik rücken. Deutschland als einflussreicher EU-Staat muss darauf dringen, dass Flüchtlinge legal nach Europa fliehen können", sagte Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.

"Während Menschen auf der Flucht nach Europa gezwungen sind, das Mittelmeer auf überfüllten Booten zu überqueren und dabei ihr Leben zu riskieren, lassen die Staats- und Regierungschefs Zäune bauen und schließen Grenzen. Das ist beschämend."

Tausende Menschen aus dem Mittelmeer gefischt

Ärzte ohne Grenzen hat nach eigenen Angaben mit drei Rettungsschiffen im Mittelmeer seit Anfang Mai mehr als 4000 Menschen aus Seenot gerettet. Medizinische und psychologische Teams arbeiten an Häfen und auf Inseln in Italien und Griechenland sowie an den Grenzen zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Serbien und Ungarn.

"Ich habe schon in vielen Flüchtlingslagern gearbeitet, im Jemen, in Malawi und Angola. Aber hier auf Kos erlebe ich zum ersten Mal, dass Menschen komplett alleingelassen werden", sagte Stathis Kyroussis, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. "Die Behörden haben ein ehemaliges Hotel als Unterkunft ausgewählt, weil es weit vom Stadtzentrum entfernt ist. Sie haben die ankommenden Menschen einfach hineingepfercht – ohne jegliche Informationen, ohne Hilfe, ohne alles. Was wir dort Tag für Tag sehen, ist völlig inakzeptabel."

"Die Toten kommen" auch in Hamburg

Auch in Hamburg hat es eine Aktion am Elbstrand gegeben, die auf das Leid der Flüchtlinge aufmerksam macht. In Anlehnung an die Kunstaktion "Die Toten kommen" ("Zentrum für politische Schönheit") ging es um Protest gegen die EU-Flüchtlingspolitik.


Innerhalb der EU wächst der Streit um die Verteilung der Flüchtlinge. Italien und Griechenland haben bereits Notrufe an ihre EU-Partner abgesetzt. Nun beklagt auch Ungarn wieder eine Überlastung und fordert mehr Solidarität der Mitgliedstaaten. Die EU ignoriere Hinweise auf die stark genutzte Flüchtlingsroute über den Balkan, auf der Ungarn liegt, sagte Außenminister Peter Szijjarto am Donnerstag im Fernsehen. Stattdessen habe Brüssel sich zuletzt vor allem um die Situation an den Mittelmeerküsten gekümmert. Dies sei „inakzeptabel und unverständlich“.

Sehen Sie hier ein Multimediaprojekt von Ärzte ohne Grenzen

Szijjarto bekräftigte, dass sein Land keine EU-Regeln in der Flüchtlingsfrage suspendiert habe. Es sei aber ein Problem, das elf EU-Staaten insgesamt 15 000 illegale Einwanderer nach Ungarn abschieben wollten, obwohl diese nicht über Ungarn, sondern zuerst über Griechenland eingewandert seien. Dem Dubliner Abkommen zufolge ist dasjenige EU-Land für Asylanträge zuständig, in dem Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten.

Deutsche Marine rettet Bootsflüchtlinge

Seit Anfang Mai haben Schiffe der Deutschen Marine über 5000 Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Wie die „Kieler Nachrichten“ unter Berufung auf das Einsatzkommando in Potsdam berichten, hat die Marine allein seit dem vergangenen Wochenende 1710 Menschen vor der libyschen Küste gerettet.

Die Fregatte „Schleswig-Holstein“ rettete bereits am Wochenende bei drei Einsätzen 1083 Menschen. Am Dienstagabend meldete das in Kiel beheimatete Schiff „Werra“ bei seinem ersten Einsatz die Rettung von 627 Menschen. Die Besatzungsmitglieder hätten die Flüchtlinge mit Wasser und Nahrung versorgt und sie in provisorisch hergerichteten Unterkünften an Deck untergebracht. (dr/ryb/HA)