Griechenlands linksradikale Syriza will keine Schulden zurückzahlen und rechnet fest mit der Nachgiebigkeit Berlins
Athen. Es dauerte nur wenige Stunden, da stand nach dem spektakulären Wahlsieg in Griechenland schon der Koalitionspartner für Syriza fest: Es handelt sich um die nationalkonservativen „Unabhängigen Griechen“ (Anel), die knapp den Einzug ins Parlament schafften und dort 13 Abgeordnete stellen werden. Syriza erhält mit dem in Griechenland üblichen 50-Mandate-Bonus für den Wahlsieger 149 Sitze. 151 sind für eine Regierungsmehrheit erforderlich; die Koalition hätte also – wenn es nun dabei bleibt – 162.
Tsipras, ein bekennender Atheist, bricht mit der Tradition und leistete seinen Amtsschwur nicht vor dem Erzbischof der orthodoxen Kirche, sondern begnügt sich mit einer zivilen Zeremonie. Anschließend hat es der Wahlsieger sehr eilig: Seine Partei will schon innerhalb der nächsten 15 Tage einen Vier-Punkte-Plan vorlegen, um die aus Sicht vieler Griechen von Deutschland verordnete Sparpolitik zu kippen, heißt es. Auch eine wichtige Personalie steht schon fest: Der Ökonom Giannis Varoufakis wird neuer griechischer Finanzminister.
Die schnelle Einigung auf eine Koalition mit den „Unabhängigen Griechen“ nach sehr kurzen Gesprächen hat viele Griechen kalt erwischt. Dabei war dieses Manöver durchaus abzusehen. Die junge Partei – wie Syriza ein Profiteur der Wirtschaftskrise – hatte bereits bei den vergangenen Lokalwahlen eine Zusammenarbeit mit Syriza in Betracht gezogen sowie für ein Bündnis aller Parteien plädiert, die sich gegen die vertraglich vereinbarten EU-Sparauflagen wenden. Offensichtlich hatten sich beide Parteien schon im Vorfeld der Parlamentswahl verständigt – anders ist die schnelle Einigung kaum zu interpretieren.
Inhaltlich gibt es viele Schnittpunkte zwischen beiden Parteien – genau wie das auch bei anderen sehr linken und rechten Parteien in Europa der Fall ist. Beide Lager setzen auf mehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, auf weniger freien Markt und auf Geldhilfen aus Deutschland. Der neue Finanzminister hatte schon vor der Wahl in einem Interview mit der französischen Zeitung „La Tribune“ angekündigt, wohin die Reise geht: „Was immer die Deutschen sagen, am Ende werden sie zahlen.“ Tsipras hatte schon vor der Wahl und seiner angekündigten Koalition mit den Rechtskonservativen einen „offenen Brief an die Deutschen“ verfasst und sie darin ermahnt, ihre Vorurteile gegen die Linksradikalen abzulegen. Diese führten nur zu „Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit und Gewalt“. Tsipras hat zunächst eine gewichtige Aufgabe. Er muss die Europäer dazu bringen, die griechische Zins- und Schuldenlast weiter zu verringern. Dabei dürfte ihm kaum helfen, dass er eben erst die Politik von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „unglaublich dumm“ nannte. Auch dürfte es schwierig werden, eine gemeinsame Linie mit Bundesfinanzminister Schäuble zu finden. Der hatte die Bürger Griechenlands gewarnt, sich für Syriza zu entscheiden, wenn sie den Euro behalten wollten. Tsipras kündigte nun seinerseits an, er werde Schäuble „zwingen“, die griechischen Vorschläge zu akzeptieren.
Eine Lösung ohne Gesichtsverlust für beide Kontrahenten liegt in weiter Ferne. Dem Verlierer ist der Spott seiner Landsleute sicher. EU-Kommissar Günter Oettinger kündigte bereits an, Brüssel werde Griechenland zwar „wieder günstige Konditionen bieten“, aber die geltenden Parameter für Gelder aus dem „Rettungspaket“ der Geldgeber „nicht verändern“. Die Verpflichtungen gelten weiter“, betonte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Griechenland braucht schon in wenigen Monaten wieder Milliarden Euro aus dem „Hilfspaket“. Tsipras hat die von Oettinger erwähnten „geltenden“ Konditionen jedoch als „gegen den gesunden Menschenverstand“ und „Leugnung mathematischer Tatsachen“ bezeichnet.
Innenpolitisch dürfte sich Griechenland radikalisieren. Syriza und Anel haben beide wiederholt angekündigt, die herkömmlichen politischen Eliten und die „Reichen“ – die sie meist nur schlicht „Diebe“ nennen – hart rannehmen zu wollen. Denkbar sind exorbitante Strafsteuern für Vermögende, sogar eine „Verstaatlichung“ von „verschwiegenem“ Eigentum und spektakuläre Korruptionsprozesse gegen bisher „unberührbare“ Politiker sind denkbar. Syriza hatte in der Vergangenheit angekündigt, Unternehmen zu verstaatlichen, staatliche Arbeitsplätze zu schaffen und Sozialleistungen drastisch auszuweiten. Die Partei verspricht dabei einen „ausgeglichenen Primärhaushalt“. Der ist aber schon jetzt mehr als nur ausgeglichen – er weist sogar einen Überschuss auf. Allerdings nur dann, wenn man die Bedienung der Staatsschulden nicht berücksichtigt.
All das geht nur, wenn er auf die Rückzahlung der Schulden verzichten kann. Das bedeutet, dass die Geldgeberländer nach den Wünschen von Syriza auf sehr lange Zeit hinaus auf Rückzahlung der griechischen Schulden oder Zinsen verzichten sollen. Darum wird es in den Verhandlungen mit den Europäern gehen. Noch vor dem Sommer muss dieses Problem entschieden sein. In wenigen Monaten nämlich werden Kreditrückzahlungen fällig, die Griechenland aus eigenen Mitteln nicht stemmen kann. Wenn die Europäer nicht zahlen, kann das Land aus der Eurozone fallen. Aber, wie Varoufakis sagte: Man verlässt sich darauf, dass die „Deutschen am Ende immer zahlen“.