Heftige Proteste gegen Banalisierung von Vergewaltigungen und Macho-Gehabe der Regierung von Viktor Orban. Sogar die Google-Chefin schaltet sich ein.
Budapest. Es ist eisig kalt in der ungarischen Hauptstadt Budapest, als einige hundert Frauen sich zum „Marsch der Schlampen“ aufmachen. Doch sie werden von ihrer Wut warmgehalten. Anlass des empörten Aufmarsches Anfang Dezember ist ein Videoclip, mit dem Ungarns Polizei Frauen darauf hinweist, dass sie für Vergewaltigungen angeblich mitverantwortlich sind. Für Feministinnen ist dieser Missgriff nur ein kleiner Teil des Macho-Gehabes, das aus ihrer Sicht die Gesellschaft prägt und Ungarn hinter die modernen gesellschaftlichen Standards zurückfallen lässt.
In dem Spot sind drei Frauen in aufreizender Kleidung beim ausgelassenen Trinken und Tanzen in einem Nachtclub zu sehen. Später wird eine von ihnen mit verquollenem Gesicht vorgeführt – nachdem sie offenbar sexuell missbraucht wurde. „Sie können auch etwas dafür. Sie können etwas dagegen machen!“, heißt es am Ende des Filmchens – womit nahegelegt wird, dass das ohne die aufreizende Kleidung nicht passiert wäre.
„Dieses Video hat die Aussage, dass es deine eigene Schuld ist, wenn du vergewaltigt wirst“, schimpft die 31-jährige Buchhalterin Anna Gombos bei der Demonstration in Budapest. Dabei sei es in sechs von zehn Fällen so, dass der Vergewaltiger sein Opfer persönlich kenne. Auch die Philosophin Anna Rez ist außer sich über die Botschaft der Polizei. „Ob man eine Prostituierte vergewaltigt oder eine Nonne – das Verbrechen ist das gleiche!“, sagt die 29-Jährige. In Ungarn werden lediglich zehn Prozent aller Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht und für Frauenrechtlerinnen steht fest, dass das Verhalten der Polizei dazu beiträgt.
Die Klagen über das Aufblühen des Macho-Gehabes gehen aber weiter. Die Aktivistinnen sehen einen Zusammenhang dazu, dass Ministerpräsident Viktor Orbán seit 2010 die Geschicke Ungarns leitet. Im Kabinett des konservativen Regierungschefs findet sich keine Frau.
Europas Schlusslicht in der Frauenpolitik
Zudem bildet Ungarn mit gerade einmal zehn Prozent weiblichen Abgeordneten innerhalb der EU abgeschlagen das Schlusslicht in dieser Kategorie, im weltweiten Vergleich rangiert es auf dem 125. Platz. „Wie soll man von Demokratie sprechen, wenn die Hälfte der Bevölkerung gar nicht vertreten wird?“, fragt die Demonstrantin Krisztina Debreceni.
„Man kann nicht sagen, dass es in Ungarn machohafter zuginge als in der Slowakei oder in Polen“, befindet hingegen Andrea Peto, die an der Budapester Central European University (CEU) über Gender-Fragen doziert. Wenn es so wenige Abgeordnete gebe, dann liege das daran, dass es in Ungarn keine Frauenquote gíbt.
Regierung fordert und fördert mehr Geburten
Doch von einer solchen will Regierungssprecher Zoltan Kovacs auch nichts wissen: „Was zählt, sind Qualität und Kompetenz“, sagt Kovacs. „Wir werden nicht zulassen, dass jemand ins Parlament kommt, nur weil es sich um eine Frau handelt.“ Das einzige was zähle, sei die geleistete Arbeit. Kovacs listet eine Reihe von Maßnahmen auf, mit denen Frauen der Zugang zur Arbeitswelt erleichtert werden soll, etwa die Verlängerung des Mutterschutzes oder erleichterter Zugang zu Teilzeit-Arbeit.
Gleichzeitig jedoch hat die Regierung auch die Zahlungen an Frauen erhöht, die zur Kindererziehung ihre Arbeit aufgeben. „Demografisch betrachtet ist es notwendig, dass mehr Babys geboren werden“, sagt Kovacs. Orban hat fünf Kinder.
In der Wirtschaft formiert sich indes Widerstand gegen die Haltung der Regierung. „Die Forschung zeigt, dass Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil erfolgreicher sind“, sagt Edina Heal, Chefin von Google Ungarn. Sie ist Mitbegründerin der Initiative „We are open!“, in der sich seit 2013 rund 800 ungarische Unternehmen zusammengeschlossen haben, um ihre Vorstände für weibliche Mitglieder zu öffnen.