In der Talk-Sendung von Jay Leno bereitete US-Präsident Barack Obama eine diplomatische Ohrfeige für Wladimir Putin vor: Wegen des Verhaltens im Fall Snowden will Obama den Kreml-Chef nicht beim G20-Gipfel treffen.
New York. Wer nicht wusste, dass Obama in der „Tonight Show“ des legendären US-Talkers Jay Leno auftrat, hätte glauben können, dass der amerikanische Präsident auf einer seiner gut inszenierten Wahlkampf-Veranstaltungen für Stimmen warb. Eine Band spielte zur Begrüßung den Marsch „Hail to the Chief“, das Publikum sprang von den Sitzen, jubelte, grölte und winkte, während der diese Woche 52 Jahre alt gewordene Obama lässig ins Late-Night-Studio im kalifornischen Burbank schlenderte.
„Großartig, wieder hier zu sein“, strahlte der Präsident, als er von seinem nicht weniger grinsenden Gastgeber Jay Leno mit Handschlag, Schulterklopfen und Umarmung begrüßt wurde. Die beiden kennen sich gut. Obamas Auftritt in der Unterhaltungsshow ist bereits sein sechster. Viermal davon trat er als Präsident auf. Und auch First Lady Michelle Obama durfte schon mehrfach im Plauderton bei Leno für ihre verschiedenen Projekte werben.
Die Obamas sind ganz offensichtlich gern hier. Sie wissen, dass sie keine kritischen Fragen zu befürchten haben. Selbst wenn die Themen kaum ernster sein könnten. Doch bei Leno wird vieles zu einem Witz oder zumindest so weit heruntergespielt, dass man das Gefühl bekommen könnte, der Präsident habe sowieso alles im Griff. Motto: Macht euch mal keine Sorgen, ich kümmere mich darum.
Auch am Dienstag war das nicht anders, als die Show um 23.35 Uhr auf dem US-Sender NBC ausgestrahlt wurde. Terror- und Reisewarnungen, die NSA-Schnüffelaffäre, Edward Snowden und die erkaltete Beziehung zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – zum ersten Mal äußerte sich Obama ausführlich zu diesen Themen und machte alles, ergänzt mit ein paar lustigen Anekdoten aus seinem Leben als mächtigster Mann der Welt, zu einer großen Show.
Einen markigen Akzent hatte der Auftritt allerdings. Der unterhaltsam choreografierte Besuch von Obama sollte am nächsten Tag mit einer Eilmeldung weltpolitische Bedeutung bekommen. Bei Leno versicherte Obama, Anfang September nach St. Petersburg zum G20-Gipfel zu reisen – „für die USA ist es wichtig dabei zu sein“, doch anschließend wetterte er so scharf gegen Moskaus Asyl für Snowden, dass die Nachricht anderntags nicht mehr überraschte: Obama werde sein für den Gipfel geplantes Treffen mit Putin wegen Snowden absagen, verlautete aus Regierungskreisen in Washington.
Snowden ist schuld an Obama-Absage
Der NSA-Informant, der den Schnüffelskandal ins Rollen gebracht und gerade in Russland vorläufiges Asyl bekommen hatte, ist jetzt schuld an der G20-Absage von Obama. Er soll eine Stripperin als Freundin gehabt haben, fragte Leno oberflächlich interessiert. Ob Obama davon gehört habe und ob er Snowden als Whistleblower bezeichnen würde? „Wir wissen nicht genau, was er getan hat“, gab sich Obama, der nach dem Aufdecken des Abhörprogramms im Weißen Haus nicht amüsiert gewesen sein soll, auffällig ruhig. „Für mich ist es wichtig, hier keine Vorverurteilung abzugeben.“
Weiter ging es mit dem unterkühlten Verhältnis zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der Snowden Asyl gewährt hatte. Er sei enttäuscht, dass Moskau so entschieden habe, sagte Obama. „Obwohl wir kein Auslieferungsabkommen mit Russland haben, hätten wir bei einem solchen Fall eines mutmaßlichen Gesetzesbrechers versucht, mit Russland zusammenzuarbeiten.“ Obama, der nach Putins Asylbescheid für Snowden im Weißen Haus getobt haben soll, sprach von „grundlegenden Herausforderungen“ im Verhältnis mit Russland. „Zeitweise sind sie in die Mentalität des Kalten Krieges zurückgefallen“, behauptete Obama. Eine Bemerkung, die Putin kaum als Friedensangebot sehen wird. Er, Obama, habe dem russischen Präsidenten klargemacht, dass „der Kalte Krieg Vergangenheit ist und man über die Zukunft nachdenken muss“.
Am nächsten Tag dann ließ der Präsident seine lockeren Frotzeleien mit klaren amtlichen Worten untermauern. Zwar hätten beide Staaten zusammen einiges erreicht, erklärte das US-Präsidialamt am Mittwoch. Bei anderen Themen wie Raketenabwehr, Abrüstung, Handelsbeziehungen, Fragen der globalen Sicherheit und der Menschenrechte mangele es aber an Fortschritt. „Ein Faktor bei der Bewertung unserer gegenwärtigen bilateralen Beziehungen war auch die enttäuschende Entscheidung Russlands, Edward Snowden vorläufiges Asyl zu gewähren“, hieß es.
Juri Uschakow, der außenpolitische Berater Putins, erklärte: „Wir sind enttäuscht durch die Entscheidung der US-Administration, den für Anfang September geplanten Besuch des Präsidenten Obama nach Moskau abzusagen. Es ist klar, dass diese Entscheidung mit der Situation um den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Snowden verbunden ist – diese Situation haben nicht wir geschaffen.“ Die in Washington getroffene Entscheidung zeige, dass die USA nicht bereit seien, die Beziehungen zu Russland auf Augenhöhe aufzubauen. „Der US-Präsident hatte und hat unsere Einladung, Russland zu besuchen“, sagte Uschakow. Aber natürlich ist es nicht überall so nett wie bei Jay Leno.
Dort war Obama ansonsten ganz in seinem Element. Der Kümmerer-in-Chief plauderte, beruhigte und wurde – wenn es denn sein musste – zwischendurch auch mal ganz Ernst: Nein, die Schließung der US-Botschaften in 22 Staaten wegen einer Terrorwarnung sei keine „Überreaktion“ gewesen, versicherte Obama. Er müsse als Präsident „der amerikanischen Öffentlichkeit deutlich machen, dass es ernste Risiken gibt.“
Die süffisanteste Äußerung an diesem Abend schloss Leno an seine Frage an, ob die Terrorwarnungen durch Spione der NSA aufgedeckt wurden: Obama habe ja Einblick in Lenos E-Mails und Telefonate. Ein Stichwort, das sein Gast gerne aufnahm. „Wir haben kein Spähprogramm im Inland“, versicherte Obama trotz anderslautender Enthüllungen Snowdens. Man habe nur „einige Mechanismen“, mit denen man „eine E-Mail-Adresse oder eine Telefonnummer zurückverfolgen könne“, die mit einer terroristischen Bedrohung zu tun habe. Leno konnte nach solchen beruhigenden Aussagen zu einem angeblich harmlosen Spionageprogramm nur mit dem Kopf nicken und „richtig“ sagen. Kritische Nachfragen gab es nicht und durften die Zuschauer eigentlich auch nicht erwarten. Bei Leno wird geklönt, nicht gegrillt.