In den Städten Port Said, Suez und Ismailia gilt nach den Krawallen mit Dutzenden von Toten für die nächsten 30 Tage der Ausnahmezustand.
Istanbul/Kairo/Port Said. Die Krise in Ägypten verschärft sich weiter: Präsident Mohammed Mursi hat nach den Krawallen mit Dutzenden von Toten für 30 Tage den Ausnahmezustand für mehrere ägyptische Städte angeordnet. In Port Said, Suez und Ismailia gilt von Montag an auch eine Ausgangssperre zwischen 9 Uhr abends und 6 Uhr morgens, wie das islamistische Staatsoberhaupt am Sonntagabend in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede verkündete. „Wenn die Nation in Gefahr ist, muss ich harte Maßnahmen ergreifen“, sagte Mursi. Zudem wolle er mit führenden Politikern zu Wochenbeginn den Dialog suchen.
Bei Ausschreitungen in Port Said hat es am Sonntag nach Berichten staatlicher ägyptischer Medien erneut mindestens sieben Tote gegeben. Mehr als 400 Menschen seien verletzt worden, hieß es. Die Krawalle waren am Mittag während eines Trauermarsches für die Todesopfer vom Vortag ausgebrochen, an dem Tausende Menschen teilnahmen. Offenbar hatten Bewaffnete das Feuer auf zwei Polizeiwachen und das größte Gefängnis der Stadt eröffnet. Am Sonnabend waren in der Hafenstadt 31 Menschen bei Zusammenstößen zwischen protestierenden Bürgern und Sicherheitskräften ums Leben gekommen, nachdem ein Gericht Todesurteile wegen der Ausschreitungen bei einem Fußballspiel vor fast einem Jahr verhängt hatte. Auch in Kairo kam es am Sonntag zu weiteren Zusammenstößen, die jedoch nicht die Ausmaße der Vortage erreichten.
Trauergäste in Port Said skandierten Parolen gegen Präsident Mohammed Mursi: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mursi ist Gottes Feind“. Soldaten mit Panzerfahrzeugen bewachten Amtsgebäude. In Kairo setzte die Polizei Tränengas ein, Demonstranten warfen Steine.
Die Männer aus Port Said wurden in Zusammenhang mit der Stadiontragödie vor einem Jahr schuldig gesprochen, als bei einem Spiel des Clubs Al Masri gegen den Kairoer Verein Al Ahli mindestens 74 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Fans aus Port Said machen gedungene Schläger des Mubarak-Regierung dafür verantwortlich.
Eskorte durch den Suezkanal
Nach dem Urteil protestierten aufgebrachte Angehörige und andere Demonstranten vor einem Gefängnis der Hafenstadt am Suezkanal und forderten die Freilassung der Häftlinge. Dabei wurden zwei Polizisten erschossen. Sicherheitskräfte setzten ihrerseits scharfe Munition ein. Demonstranten stürmten das Büro des Gouverneurs, Polizeiwachen, ein Elektrizitätswerk und ein Gerichtsgebäude. Nach Angaben von Einwohnern und Behördenvertretern zog sich die Polizei in ihre Wachen und Kasernen zurück, als die Lage außer Kontrolle geriet.
Mursi entsandte Soldaten nach Port Said und Suez, die vor wichtigen Amtsgebäuden, den Elektrizitäts- und Wasserwerken Posten bezogen. Die Büros der Suez-Kanal-Gesellschaft wurden von Marinesoldaten bewacht. Ein Unternehmenssprecher sagte, die Marine eskortiere Handelsschiffe durch die Wasserstraße und Militärhubschrauber wachten aus der Luft über die Sicherheit der Schifffahrt.
Präsident Mursi, der seit Ende Juni 2012 im Amt ist, traf sich unterdessen erstmals mit dem Nationalen Verteidigungsrat. Eine geplante Reise nach Äthiopien sagte er ab. Die größte Oppositionsgruppe, die Nationale Heilsfront, machte Mursi für die „übermäßige Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten“ verantwortlich. Sie drohte, die bevorstehenden Parlamentswahlen zu boykottieren, sollte Mursi nicht ihre Forderungen wie eine Änderung bestimmter Artikel der islamistisch gefärbten Verfassung erfüllen.
Außenminister Guido Westerwelle reagierte derweil besorgt auf die neue Gewaltwelle. Deutschland sei bereit, den Transformationsprozess in Ägypten tatkräftig zu unterstützen, sagte er. „Der Besuch von Präsident Mursi in Berlin in wenigen Tagen ist eine sehr gute Gelegenheit, darüber intensiv zu beraten.“ Mursi wird am Mittwoch zu einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet.