Armee startet nach Raketenangriffen aus Palästinensergebieten die Offensive “Säule der Verteidigung“. Luftwaffe tötet Hamasführer.
Tel Aviv/Gaza-Stadt. Die Zeichen in Nahost stehen auf Sturm: Israel hat gestern die im Gazastreifen herrschende radikal-islamische Hamas frontal angegriffen und ihren einflussreichen Militärchef Ahmed al-Dschabari gezielt getötet. Bei weiteren massiven Luftangriffen zum Auftakt einer neuen Offensive namens "Säule der Verteidigung" starben mindestens sechs Palästinenser, zehn wurden verletzt. Zugleich startete Israel eine Drohkampagne gegen die gemäßigte Palästinenserführung von Präsident Mahmud Abbas, um ihn vom Antrag auf Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit durch die Vereinten Nationen in zwei Wochen abzubringen. Israel könnte in diesem Fall jüdische Siedlungen im Westjordanland annektieren und die Friedensverträge mit den Palästinensern aufkündigen, hieß es.
Hamas-Militärchef al-Dschabari starb zusammen mit einem weiteren Mitglied der radikal-islamischen Organisation, als ihr Auto von einer Luft-Boden-Rakete getroffen wurde. Anschließend berichteten palästinensische Sicherheitskreise von mindestens 20 weiteren Luftangriffen auf Gaza-Stadt. Die israelische Armee bezeichnete al-Dschabari als "Terroristen Nummer eins" im Gazastreifen. Er sei auch an der Entführung des vor gut einem Jahr freigelassenen israelischen Soldaten Gilad Schalit beteiligt gewesen.
Ägypten zog in einer ersten Reaktion seinen Botschafter aus Israel ab und wies seinen Vertreter bei den Vereinten Nationen an, eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates einzufordern. Die Arabische Liga wird sich noch in dieser Woche in einer Sondersitzung mit den israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen befassen, hieß es in Diplomatenkreisen.
Der militärische Hamas-Arm im Gazastreifen nannte die Tötung von al-Dschabari eine "Kriegserklärung" und kündigte massive Rache an. Im Süden Israels gab es auch gestern wegen neuer Raketenangriffe aus dem Gebiet am Mittelmeer wieder Luftalarm. Die israelischen Streitkräfte gaben zudem bekannt, Bodentruppen stünden auch für einen Einmarsch in das Palästinensergebiet bereit, sollte der Befehl dazu gegeben werden.
Die Sprecherin der Streitkräfte, Avital Leibovich, betonte, es handele sich um den Beginn eines längeren Einsatzes gegen terroristische Gruppen im Gazastreifen. Vize-Ministerpräsident Silvan Schalom sagte, notfalls müsse man die Armee zu einer neuen Bodenoffensive in den Gazastreifen schicken. Beim letzten Einsatz dieser Art waren zur Jahreswende 2008/2009 etwa 1400 Palästinenser getötet und Tausende weitere verletzt worden.
Nach Angaben der Armee bombardierte die Luftwaffe neben Waffendepots der Hamas und anderer militanter Gruppen im Gazastreifen auch gezielt mutmaßliche Lagerstätten von weiterreichenden Raketen. Dabei soll es sich um aus dem Iran stammende Fajr-5-Raketen handeln. Sie können bis zu 75 Kilometer weit fliegen und damit auch den Großraum Tel Aviv erreichen. Bisher wurde Israel nur mit Raketen mit einer Reichweite von bis zu etwa 30 Kilometern angegriffen. Die neue Runde der Gewalt hatte am Sonnabend begonnen, als ein israelischer Jeep von einer Rakete aus dem Gazastreifen getroffen und vier Soldaten zum Teil schwer verletzt wurden. Bei israelischen Gegenschlägen starben sechs Palästinenser. Seitdem wurden aus dem Gazastreifen mehr als 120 Raketen und Granaten Richtung Israel abgeschossen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte schon am Dienstagabend mit einer härteren Gangart gedroht. "Wer glaubt, dass er die Routine der Einwohner des israelischen Südens zerstören kann und dafür keinen hohen Preis bezahlen muss, der irrt sich", sagte er bei einem Besuch in der Stadt Beerscheva. "Ich bin dafür verantwortlich, dass wir den richtigen Zeitpunkt wählen, um den höchsten Preis zu fordern, und so wird es sein."
Auch auf dem diplomatischen Parkett wird hart gerungen: Zwei Wochen vor dem angekündigten Antrag der Palästinenser auf Anerkennung ihrer Staatlichkeit durch die Vereinten Nationen drohte Israel mit weitreichenden Schritten. Man könne in diesem Fall die jüdischen Siedlungen im Westjordanland annektieren und die Friedensverträge mit den Palästinensern kündigen, sagte Umweltminister Gilad Erdan von der regierenden Likud-Partei. Außenminister Avigdor Lieberman sagte, eine Anerkennung Palästinas als Nicht-Mitgliedstaat am 29. November wäre ein "totaler Regelbruch, der weitreichende Folgen hätte".