Im Nahen Osten droht ein neuer Krieg. Israel tötete den Militärchef der Hamas, bombardierte zahlreiche Ziele. Islamisten sinnen auf Rache.
Gaza/Hamburg. Im Gazastreifen droht ein neuer Krieg: Mit der Operation „Wolkensäule” startete Israel am Mittwoch den miltärischen Frontalangriff auf die radikal-islamische Hamas. Den Beginn der groß angelegten Offensive, dessen Name der Bibel und der Tora entlehnt ist - Gott soll den Israeliten während ihres Auszugs aus Ägypten mit Hilfe einer Wolkensäule den Weg durch die Wüste Sinai gewiesen haben -, markiert der Tod des Militärführers der Hamas, Ahmed al-Dschabari. Er war in seinem Auto unterwegs, als eine Rakete ihn und seine Begleiter tötete. Nach palästinensischen Angaben kamen neun Menschen ums Leben, darunter ein siebenjähriges Mädchen. Die Kämpfe dürften sich noch Tage hinziehen, sagte ein Militärsprecher in Jerusalem und schloss eine Bodenoffensive nicht aus.
Die Sprecherin der israelischen Streitkräfte, Avital Leibovich, betätigte, dass es einen gezielten Angriff auf Al-Dschabari, den Kommandeur der Al-Kassam-Brigaden der Hamas, gegeben habe. Es sei der Beginn eines Einsatzes gegen terroristische Organisationen im Gazastreifen, sagte die Sprecherin. Die gezielte Tötung des militärischen Arms der Hamas ist eine blutige Warnung an die radikal-islamische Organisation. Wenn die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel nicht enden, wird es für die Hamas extrem ungemütlich, lautet die unmissverständliche Botschaft. „Wenn wir nicht in Ruhe leben können, dann sollen sie auch nicht in Ruhe leben können. Wenn unser Leben die Hölle ist, wird ihr Leben es auch sein“, sagte Israels Innenminister Eli Jischai.
Die Militärorganisation der Islamisten erklärte, mit der Tötung von Ahmed al-Dschabari habe der jüdische Staat das „Tor zur Hölle“ aufgestoßen. Von den Lautsprechern auf den Minaretten der Moscheen im Gazastreifen ertönte die Botschaft: „Die Antwort kommt bald.” Nachdem sich am Dienstagabend noch eine Entspannung angedeutet hatte, griff Israel mehrere Ziele in dem Küstenabschnitt an, darunter Polizeireviere der Hamas. In dem seit fünf Tagen andauernden Konflikt sind mehr als 100 Raketen auf Israel niedergegangen. Israels Inlandsgeheimdienst bestätigte den Angriff auf al-Dschabari und rechtfertigte ihn mit „jahrzehntelangen terroristischen Aktivitäten“. Das Militär erklärte, mit der Operation sollte die Kommandokette der Hamas-Führung schwer beschädigt werden. In Jerusalem sagte ein Regierungsvertreter, der Tod des Top-Kommandanten markiere nicht das Ende der israelischen Angriffe, weitere würden folgen.
Im Gaza-Streifen wurde im Rundfunk der Hamas der Ruf nach Rache laut. Auch kleinere Milizen kündigten Vergeltung an. „Israel hat Gaza den Krieg erklärt und wird die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen müssen“, erklärte die Gruppe Islamischer Dschihad. Im Süden Israels in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen herrschte sofort wieder der Ausnahmezustand. Die ohnehin schon seit langem leidgeprüften Bewohner saßen in Schutzräumen, Schulen und Behörden schlossen, Krankenhäuser und Rettungsdienst waren in höchster Alarmbereitschaft. In zahlreichen Orten gab es Luftalarm. Auch im Gazastreifen gingen die Menschen in Deckung und machten sich auf das Schlimmste gefasst.
Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen seit 2007. Anders als die im Westjordanland regierende palästinensische Autonomiebehörde erkennen die Islamisten das Existenzrecht Israels nicht an. 2008/2009 kam es zu einem dreiwöchigen Krieg mit Israel, bei dem 1400 Palästinenser und 13 Israelis ums Leben kamen. Die Hamas fühlt sich durch den Führungswechsel im Nachbarland Ägypten ermutigt, wo eine Regierung mit Wurzeln in der Muslimbruderschaft die Macht übernommen hat.
Noch am Vortag hatten beide Seiten über den Mittler Ägypten die Bereitschaft zu einer Feuerpause signalisiert. Aus Verhandlungskreisen hatte es geheißen, weder die Palästinenser noch die Israelis wollten den Konflikt zu einem Krieg eskalieren lassen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte allerdings gewarnt, wer denke, er könne Israelis gefährden, ohne dafür einen sehr hohen Preis zu zahlen, mache einen Fehler.
Ausgelöst wurden die Auseinandersetzungen durch den Beschuss einer israelischen Patrouille durch radikale Islamisten. Israel griff daraufhin Ziele im Gazastreifen an und tötete mehrere Palästinenser. Die Hamas feuerte Raketen und versetzte Israelis im Süden in Angst und Schrecken.
Israels Grenze zu Syrien bedroht
Auch Syriens Rebellen rücken im Kampf gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad immer näher an die israelische Grenze heran. Aktivisten der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldeten am Mittwoch, dass die Regimegegner Dörfer in dem demilitarisierten Gebiet auf den Golan-Höhen eingenommen hätten. Auch Israels Verteidigungsminister Ehud Barak bestätigte: „Fast alle Ortschaften, vom Fuße des Höhenzuges bis hin zur Spitze, sind schon in der Hand der syrischen Rebellen.“ Die Schlagkraft der syrischen Regierungstruppen lasse immer weiter nach. Auch an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei dauern die Kämpfe weiter an.
Der syrische Aktivist Rami Abdel Rahman sagte zur Lage auf den Golan-Höhen: „Regierungstruppen sind nun bemüht, die Dörfer zurückzuerobern. Deswegen beschießen sie das Gebiet heftig mit Granaten.“ Der von Israel 1967 eroberte Golan war zuletzt wiederholt von Geschossen aus Syrien getroffen worden. Vor gut einer Woche waren syrische Kampfpanzer vorübergehend in die Pufferzone eingedrungen, um dort syrische Rebellen zu bekämpfen.
Die Lage spitzte sich zwischenzeitlich dramatisch zu. Die israelische Armee auf den Golan-Höhen feuerte gezielt auf Kampfverbände in Syrien. Das israelische Militär legte zudem Beschwerde bei der Uno-Beobachtertruppe ein, die die Pufferzone zwischen beiden Ländern kontrolliert.
An der türkischen Grenze dauerten die Kämpfe ebenfalls an. Aktivisten berichteten von mindestens sechs Luftschlägen in der Gegend um den syrischen Grenzort Ras al-Ain. Damit hat die syrische Luftwaffe die Region den dritten Tag in Folge unter Beschuss genommen. Syrische Rebellen hatten die Ortschaft in den vergangenen Tagen weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht.
Der türkische Verteidigungsminister Ismet Yilmaz warnte das Regime in Syrien angesichts der schweren Kämpfe vor einer Verletzung des Luftraums. „Auf syrische Flugzeuge oder Hubschrauber, die unseren Luftraum verletzen, werden wir die nötige Antwort geben“, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den Minister. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan habe dafür Einsatzregeln erlassen. Diese sehen auch vor, dass die Kommandeure des Einsatzes an der Grenze freie Hand haben, stellte Yilmaz klar.