Für den Herausforderer geht es um Alles: Will Mitt Romney in der kommenden Woche zum US-Präsidenten gewählt werden, braucht er die Stimmen aus Florida.
Sarasota. Pat Patacsil steht auf einer Mini-Verkehrsinsel am Highway 41 in Sarasota. „Obama-Biden“ heißt es auf einem Plakat in seiner Hand. Ein zweites baumelt von seinem Handgelenk: Honk – hupt. Und das tun viele Autofahrer, die den 64-Jährigen an diesem heißen Nachmittag passieren. Sie hupen und signalisieren mit erhobenem Daumen: Ja, auch wir wollen Präsident Barack Obama und seinen Vize Joe Biden im Weißen Haus behalten.
Aber es gibt auch andere. Sie rufen Patacsil Schmähworte zu, ein 72-jähriger gebürtiger Ungar kommt gar wütend über die Straße gerannt. „Wann ist es passiert, dass du deinen Verstand verloren hast?“ fragt er und lässt sich dann aus über Obama, der auf dem Weg sei, die USA in den finstersten Sozialismus zu führen. „Und wie das ist, weiß ich von früher in Ungarn genug.“
Willkommen in Florida, wenige Tage vor der US-Wahl. Der Sonnenscheinstaat ist neben Ohio der wichtigste Swing State, den es am 6. November zu gewinnen gilt. Es winkt ein dicker Preis von 29 Stimmen im Electoral College, dem Wahlmännergremium, das am Ende den Präsidenten bestimmt.
Experten meinen, dass sich vor allem für Obamas republikanischen Herausforderer Mitt Romney hier das politische Schicksal entscheiden könnte. Während Obama in Florida nicht unbedingt gewinnen müsse (wenn es auch vieles leichter machen würde), „führen alle Wege zu einem republikanischen Sieg durch den Sonnenscheinstaat“, zitieren die „Naples News“ auf ihrer Webseite politische Analysten.
Umfragen verheißen einen Wahlkrimi. Beide Kandidaten liegen praktisch gleichauf. So wundert es auch nicht, dass beide Lager viel Geld in den Wahlkampf in Florida gepumpt haben, dem „Miami Herald„ zufolge 176 Millionen Dollar allein für TV-Spots. Vor allem die Konservativen haben immer wieder neue Streifen mit Weltuntergangsszenarien im Fall eines Obama-Sieges platziert. Und Romney und sein Vize-Kandidat Paul Ryan sind hier in Florida so oft aufgetreten wie in keinem anderen Staat außer Ohio. So eilte Romney am Mittwoch, sofort nach Ende der von Wirbelsturm „Sandy“ auferlegten Wahlkampfpause, gleich zu drei Auftritten gen Süden.
Historisch gesehen haben die Republikaner die besseren Karten. In der jüngeren Vergangenheit gelang es nur zwei Mal einem Demokraten, den Staat zu gewinnen: Bill Clinton 1996 und – mit dünner Mehrheit - Obama 2008. Und dann war da natürlich das Jahr 2000, in dem der Republikaner George W. Bush und der Demokrat Al Gore beide auf 48,8 Prozent kamen – und dann das höchste Gericht der USA nach heiß umstrittenen Neuauszählungen Bush am Ende den Preis zusprach.
Es war laut Analysen zu einem Gutteil das Votum der Latinos, das Obama 2008 zum Sieg in Florida verhalf. Aber ob es auch diesmal ausreicht, den Präsidenten über die Ziellinie zu bringen, ist offen. Latinos oder Hispanics machten laut US-Zensusbehörde 2011 stolze 22,9 Prozent der Bevölkerung aus. Rund 38 Prozent der registrierten Latino-Wähler in Florida identifizierten sich als Demokraten und weniger als ein Drittel als Republikaner, hieß es kürzlich in einem Meinungsartikel auf der Webseite nbc.latino.com. Aber Latino-Republikaner bildeten zusammen mit Latino-Unabhängigen die Mehrheit aller registrierten Latino-Wähler.
Wohin das Latino-Pendel am 6. November ausschlage, „in die Richtung geht der gesamte Staat“, glaubt Expertin Victoria DeFrancesco Soto von der Universität Texas. „Florida ist wirklich ’la madre’ der Battleground-Staaten“ – die Mutter aller „Wahlschlachtfeld“-Staaten.
Und so hat sich der Wahlkampf in Florida auch trotz des heißen Themas Gesundheitsreform weniger auf die Senioren konzentriert, die immerhin 17,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen – der höchste Anteil in einem Staat in den gesamten USA. Sie wählen traditionell eher konservativ, das wissen beide Kandidaten. Wo sich die Schlacht um Florida entscheiden dürfte, das ist die Mitte, der Interstate-4-Korridor, der die Tampa Bay am Golf von Mexiko mit Daytona Beach an der Ostküste verbindet. Gilt der Norden des Staates als Hochburg der Konservativen und der Süden mit seinem hohen Immigranten-Anteil als Festung der Demokraten, findet sich hier das wohl lukrativste Arsenal an unabhängigen Wählern auch aus der Latino-Gemeinschaft.
Vietnam-Veteran Patacsil steht seit dem vergangenem Samstag täglich auf der Verkehrsinsel, seitdem können die Menschen in Florida nämlich bereits wählen gehen. Die Beteiligung ist äußerst rege, zum Auftakt standen in Sarasota – südlich von Tampa am Golf von Mexiko gelegen – zeitweise rund 200 Menschen vor Wahllokalen Schlange. „Das ist mir die Sache wert“, sagt Rentner Bob Morris. „Dies ist die Wahl der Wahlen, die Wahl meines Lebens. Und ich bin 60 Jahre alt.“