Manche werden im Bürgerkrieg getötet wie Libyens Gaddafi. Andere werden hingerichtet, zu Haft verurteilt oder genießen ihren Ruhestand im Exil.
Am 21. Januar 1793 steigt Louis Capet die hölzerne Treppen zu der Tötungsmaschine hinauf, die der Nationalkonvent erst ein knappes Jahr zuvor offiziell eingeführt hat. Atemlos verfolgt eine riesige Menschenmenge auf dem Place de la Revolution in Paris, dem heutigen Place de la Concorde, wie der Mann, der bis zu seiner Entmachtung als König Ludwig XVI. Frankreich beherrscht hat, nun ganz am Ende ist. Langsam legt er seinen Kopf auf die Guillotine, deren Messer wenig später hinabsaust und das Haupt vom Körper trennt.
Es gibt zwar Ausnahmen wie Napoleon Bonaparte, der gleich zweimal die Macht verlor und zweimal nur verbannt wurde. Doch die meisten entmachteten Herrscher erwartete in der Geschichte ein kurzer Prozess mit todsicherem Ausgang. Wenn Monarchen, Despoten und Diktatoren die Macht entglitt, waren ihre Tage meistens gezählt. Im Fall gestürzter Monarchen wurde mitunter sogar die gesamte Familie mit ausgelöscht, um dynastische Ansprüche von vornherein auszuschließen.
Prominentes Beispiel dieser grausamen Sippenhaft ist der letzte russische Zar: Seit dem Frühjahr 1918 ist die Familie in der russischen Provinzstadt Jekaterinenburg im beschlagnahmten Haus eines Ingenieurs interniert und völlig von der Außenwelt abgeschirmt. In der Nacht vom 16. zum 17. Juli befiehlt ein Offizier des bolschewistischen Geheimdienstes Tscheka, dass sich die Familienangehörigen im Keller versammeln sollen, es sei ein Gruppenbild geplant. Aber statt des Fotografen erscheint der KP-Funktionär Jakow Jurowski mit einem Trupp Bewaffneter. Knapp eröffnet er den Anwesenden, dass die Revolutionsregierung die Hinrichtung der gesamten Familie beschlossen habe. Nikolaus II. will noch nachfragen, da hebt Jurowski schon die Pistole und erschießt ihn, und die Soldaten eröffnen das Feuer auf die Familie. Insgesamt ermordet die Tscheka 18 Angehörige der Romanows, Männer, Frauen und auch Kinder.
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Aber die blutige Variante der Abrechnung tritt im 20. Jahrhundert eher in den Hintergrund. Häufig werden Herrscher nach Revolutionen weder erschossen noch aufs Schafott geschickt, sie verabschieden sich stattdessen in den Ruhestand. So verbringt Deutschlands Ex-Kaiser Wilhelm II. nach seiner Abdankung im November 1918 noch mehr als 20 Jahre ruhige Jahre im holländischen Doorn, dem heutigen Utrechtse Heuvelrug, wo er seinem Hobby frönt: dem Holzhacken.
Zwar urteilt der von den Alliierten 1945 eingesetzte Internationale Militärgerichthof in Nürnberg einige der nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher ab, Hitler selbst hat sich dem Tribunal jedoch durch Suizid entzogen. Und die Idee eines dauerhaften, völkerrechtlich legitimierten Internationalen Strafgerichtshof scheitert nach dem Zweiten Weltkrieg an den Realitäten des Systemkonflikts zwischen den USA und der Sowjetunion. In der bipolaren Welt des Kalten Kriegs gewöhnt man sich an Diktatoren im Ruhestand. Deren Risiko, nach einem Machtverlust mit dem Leben bezahlen zu müssen, hält sich in Grenzen; denn wenn die Welt in zwei Machtsphären geteilt ist, eröffnen sich für gestürzte Herrscher Rückzugsmöglichkeiten, unabhängig davon, ob sie zuvor Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.
Manchmal ist das recht unspektakulär wie 1973, als Griechenlands König Konstantin II. die Macht verliert und ins Exil nach Rom und später nach London geht. Viel dramatischer ist die Flucht von Schah Reza Pahlevi während der Iranischen Revolution. Als der in seinem Land verhasste Herrscher am 16. Januar 1979 auf dem Teheraner Flughafen in eine Fluchtmaschine steigt, sagt er: "Ich bin müde und brauche eine Pause." Er wird nie mehr zurückkehren, aber auch in den wechselnden Stationen seines Exils nicht zur Ruhe kommen.
Südamerikas Diktatoren beweisen oft ein feines Gespür fürs richtige Timing und einen effektvollen Abgang: Kubas bis auf die Knochen korrupter Despot Fulgencio Batista flieht am 1. Januar 1959, einen Tag, bevor Fidel Castros Rebellen in Havanna einmarschieren, in die Dominikanische Republik. Im Gepäck hat er 40 Millionen US-Dollar in bar, was ihm ein sorgenfreies Leben in Portugal und Spanien ermöglicht, bis er 1973 einem Herzinfarkt erliegt.
Sein dominikanischer Diktatorenkollege Rafael Leónidas Trujillo Molina hat weniger Glück: Er fällt am 30. Mai 1961 in Santo Domingo einem Attentat zum Opfer. Zwar gelingt es seinem Sohn Ramfis Trujillo noch, sich kurzzeitig an der Macht zu halten, doch nach wenigen Monaten muss der Clan das Land verlassen. Trujillo wird exhumiert und an Bord des heutigen Luxus-Kreuzfahrtseglers "Sea Cloud" nach Frankreich gebracht, wo er auf dem Pariser Prominentenfriedhof Père Lachaise ein protziges Grabmal erhält.
Auch Nicaraguas Gewaltherrscher Anastasio Somoza wird in einer Revolution gestürzt, kann aber bei seiner Flucht nach Miami am 17. Juli 1979 nicht nur die Familie und seine Mätresse, sondern auch die Staatskasse sowie die Särge seines Vaters und seines Bruders und sogar seinen Lieblingspapagei mitnehmen. Lange genießt der Diktator seinen Ruhestand allerdings nicht: Am 17. September 1980 lauern ihm in der paraguayischen Hauptstadt Asunción Angehörige der argentinischen "Revolutionären Volksarmee" auf und nehmen seinen weißen Mercedes S-Klasse unter Beschuss.
Einen langen und ruhigen Lebensabend genießt dagegen einer der schrecklichsten Diktatoren Afrikas: Idi Amin. Der ugandische Boxer und Offizier, der sich 1971 in Kampala an die Macht geputscht hat, herrscht acht Jahre lang mit unvorstellbarer Grausamkeit über das ostafrikanische Land. Zwischen 300 000 und 400 000 Menschen fallen dem Despoten zu Opfer. 1979 machen Truppen aus dem Nachbarland Tansania dem Spuk ein Ende, doch Idi Amin kann entkommen. Er flieht in Gaddafis Libyen, dann in den Irak und verbringt schließlich mehr als zwei Jahrzehnte in Saudi-Arabien. Die Saudis verbieten ihm zwar jede politische Betätigung, stellen ihm aber in Dschidda eine Luxusvilla zur Verfügung. Am 16. August 2003 stirbt er dort an Nierenversagen.
Mit dem Ende des Kalten Kriegs werden die Zeiten für arbeitslose Diktatoren zunehmend rauer. Rumäniens KP-Chef Nicolae Ceausescu, der sein Land in einen selbst für Ostblock-Verhältnisse beispiellosen Polizeistaat verwandelt hatte, muss am 21. Dezember 1989 fassungslos erleben, wie ihn 100 000 Menschen in Bukarest ausbuhen. Kurz darauf nehmen Offiziere ihn und seine machtgierige Gattin Elena gefangen und machen dem Herrscherpaar einen schnellen Prozess, der erwartungsgemäß mit Todesurteilen endet. Sie werden sofort erschossen.
Der damals ebenfalls schon entmachtete SED-Chef Honecker dürfte die Fernsehbilder vom Ende seines rumänischen Genossen mit Schauder verfolgt haben. Er sitzt schon auf gepackten Koffern in seinem Haus in der Politbüro-Siedlung Wandlitz, die er am 3. Januar 1990 verlassen muss. Honeckers letzte Lebensjahre sind reich an Demütigungen: Er wird verhaftet und angeklagt, kommt dann ausgerechnet bei einem evangelischen Pastorenehepaar unter, flieht später in die Sowjetunion, wird aber nach deren Ende von Russland an die Bundesrepublik ausgeliefert. Nach 169 Tagen Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit lässt die Staatsanwaltschaft die Haftbefehle gegen den todkranken Honecker aufheben. Unmittelbar darauf fliegt er zu seiner Tochter nach Santiago de Chile, die dort mit ihrem chilenischen Ehemann lebt. Honecker stirbt am 29. Mai 1994 in Santiago im Alter von 81 Jahren.
Zu dieser Zeit ist der irakische Diktator Saddam Hussein nach dem verlorenen zweiten Golfkrieg zwar geschwächt, kann seine Schreckensherrschaft aber fortsetzen. Seine Macht verliert er erst, nachdem Truppen unter Führung der Amerikaner am 20. März 2003 in den Irak einmarschieren. Der Diktator flieht, hält sich monatelang versteckt und wird am 13. Dezember 2003 in einem Erdloch etwa 15 Kilometer von seiner Heimatstadt Tikrit entfernt entdeckt. Vor einem Sondertribunal wirft ihm die Anklage Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Das Gericht verurteilt ihn zum Tod durch den Strang, am 30. Dezember 2006 wird das Urteil vollstreckt.
Das zumindest bleibt dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der als Hauptverantwortlicher für die unvorstellbaren Gräuel des Jugoslawienkriegs gilt, erspart. Er verliert seine Macht bei einem Volksaufstand im Oktober 2000. Fünf Monate später liefert ihn die neue serbische Regierung an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag aus. Er stirbt am 11. März 2006 an einem Herzinfarkt, noch bevor es zu einem Urteil kommt.
Ebenso wie der 1995 ins Leben gerufene Internationale Strafgerichtshof für den Völkermord in Ruanda markiert das Jugoslawien-Tribunal seit 1993 eine neue Etappe der juristischen Aufarbeitung von Verbrechen, die Machthaber gegen das eigenen Volk verübt haben. Aber während diese beiden Gerichte aufgrund eines Beschlusses des Uno-Sicherheitsrates gegründet wurden, entsteht der auch in Den Haag ansässige Internationale Gerichtshof auf der Grundlage eines internationalen Vertrags, des Rom-Statuts. Insgesamt 116 Staaten haben das Statut ratifiziert, damit verfügt das Gericht über ein hohes Maß an internationaler Legitimation. Die USA lehnen den Gerichtshof allerdings ab und befinden sch damit in Gesellschaft von Ländern wie China, Iran, Kuba, Nordkorea und Sudan. 2008 hat das Gericht Anklage gegen den sudanesischen Staatschef Umar Hasan Ahmad al-Baschir erhoben, wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bisher besteht freilich keine Chance, al-Baschir in Den Haag aburteilen zu können.
Im Prinzip könnten die 18 Richter, zu denen der deutsche Völkerrechtler Hans-Peter Kaul gehört, auch gegen die in diesem Jahr gestürzten arabischen Herrscher verhandeln. Aber die Chancen dafür stehen nicht gut: Tunesiens Ex-Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ist in letzter Minute nach Saudi-Arabien geflohen. Sollten ihn die Saudis irgendwann doch einmal ausliefern, würde er wohl in Tunis vor Gericht gestellt. Husni Mubarak, der den richtigen Zeitpunkt für seine Flucht verpasst hat, steht zurzeit in Kairo vor Gericht. Gaddafi, der monatelang untergetaucht war, ist tot. Zurzeit fordert der Chefankläger von Den Haag vom libyschen Übergangsrat die Auslieferung des untergetauchten Gaddafi-Sohns Saif al-Islam wegen Kriegsverbrechen; er galt als Nachfolger seines Vaters.
Ein sorgenfreier Ruhestand in einer Luxusvilla mit Seeblick wird nach Lage der Dinge also immer unwahrscheinlicher. Die Zeiten für arbeitslose Diktatoren haben sich rapide verschlechtert.