Elke Wisch aus Stade kämpft für Unicef gegen die Hungersnot in Ostafrika an und fragt sich täglich, wie viele Menschen sie retten kann.
Hamburg. Zahlen, seit Wochen schon geht es im Leben von Elke Wisch vor allem um Zahlen. Wie viele Flüchtlinge kommen in den Lagern im Osten Afrikas gerade an? Wie viele passen noch hinein? Wie lange reichen die Geldmittel, um die Hungernden weiter zu versorgen? Doch im Grunde geht es der stellvertretenden Leiterin des Unicef-Büros für Ost- und Südafrika immer wieder um die eine Frage: Wie viele Menschen können wir retten?
Doch manchmal verlieren für Wisch die Zahlen ihre Bedeutung - dann, wenn sie die riesigen kenianischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Somalia oder Äthiopien besucht. Dann bekommt das Elend plötzlich ein Gesicht, einen Namen, ein Schicksal. So wie im Fall der Mutter, die es erst kurz zuvor ins Camp geschafft hatte, als Wisch auf sie traf. "Die Frau war völlig erschöpft, sie hatte ein Kind auf dem Rücken, eins an der Hand und sie war schwanger", erinnert sich die Deutsche. "Und obwohl sie es mit ihren Kindern allein ins Lager geschafft hat, fühlte sie sich schuldig." Die Frau machte sich Vorwürfe, dass sie nicht ihre ganze Familie retten konnte. Ihr viertes Kind war auf dem Weg zum Camp gestorben.
Ein offizielles Unicef-Bild von Wisch zeigt eine dunkelhaarige Frau mit strengen Gesichtszügen, über die sich ein leicht spöttisches Lächeln zieht. Wisch ist in Stade geboren, doch längst ist ihr die Welt zum Zuhause geworden. Man muss vielleicht präzisieren: die andere Seite der Welt, dort, wo Wohlstand und Freiheit wie Worte aus einer fremden Sprache klingen. Es begann, nachdem die Norddeutsche ihr Politikstudium in München und das Entwicklungspolitik-Studium in Harvard absolviert hatte und noch ein Praktikum für Unicef machte, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. "Ich hatte schon immer Kindern helfen wollen", erklärt sie ihre Entscheidung heute. Als Praktikumsort hatte sie vor 16 Jahren ausgerechnet das von einem Bürgerkrieg und Völkermord verwüstete Ruanda gewählt. Das Leid dort schreckte sie nicht, es trieb sie eher noch mehr an. Danach zog es Wisch in die Länder, aus denen Menschen meist lieber flüchteten: Liberia, Afghanistan, Birma, Uganda, seit zweieinhalb Jahren nun Ostafrika. Denn dort, wo Menschen um ihr tägliches Überleben fürchten müssen, werden Kinder schnell zu Opfern. Man könnte sagen: Wisch kämpfte schon immer irgendwie darum, dass es auch das vierte Kind schafft.
Die Deutsche sagt, sie wisse, wie eine solche Hungerkatastrophe aus der Ferne aussehe, wenn der Fernsehzuschauer mal wieder mit Bildern des Leids überschwemmt werde. "Dann denkt man schnell: 'Schon wieder so eine Hungersnot.' Aber man muss im Kopf behalten, dass es um echte menschliche Schicksale geht. Die Menschen da sind Eltern, die ihre Kinder über alles lieben und alles für sie tun würden." Doch ohne jedes Vermögen, hungernd, bleibe ihnen dazu keine Möglichkeit. Die "Würdelosigkeit der Armut" nennt Wisch das mitfühlend.
Doch die Hungersnot ist noch lange nicht vorbei. Momentan kommen täglich 1500 Menschen in Auffanglagern an. Die Zahl der Notleidenden könnte demnächst noch mal emporschnellen, wenn man Zugang zu einigen Gebieten in Somalia erhält, die bislang von Milizen abgesperrt werden. Außerdem könnten die Flüchtlinge, von Flucht und Hunger geschwächt, nun leicht Opfer von Krankheiten werden. Wer beinahe verhungert wäre, stirbt schnell an sonst so banalen Dingen wie Durchfall oder Masern. Hinzu kommt, dass in Ostafrika nun Winter ist. Zwar sind die Temperaturen nicht eisig. Doch während Wisch aus ihrem Büro mit dem Abendblatt telefoniert, trägt sie nach eigener Aussage einen Rollkragenpullover. Für die Flüchtlinge in ihren Zelten dürften sich zehn Grad Celsius noch kälter anfühlen.
Die Herausforderungen für Helfer von Unicef, Flüchtlingshilfswerk UNHCR, Ärzte ohne Grenzen und all den anderen reißen nicht ab. Sie kümmern sich um Unterernährte, Frischwasser, Latrinen, Unterkünfte, medizinische Versorgung. Bald kommt die Regenzeit, doch fruchtbar wird das von der Sonne hartgebackene Land dadurch nicht werden. Stattdessen drohen die Versorgungswege zu verschlammen und könnte sich Malaria ausbreiten. Die Hilfsorganisationen müssen nun auch noch Impfungen gegen mögliche Epidemien organisieren und Moskitonetze gegen die Ausbreitung der Malaria verteilen.
Angesichts der Dauerbelastungen sind Anfang der Woche in einer Klinik in einem Flüchtlingslager im kenianischen Daadaab die Mitarbeiter in einen Streik getreten, der aber gestern beigelegt werden konnte. Die Streikenden hatten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gefordert, erklärte ein Sprecher von Ärzte ohne Grenzen. Patienten sollen nicht zu Schaden gekommen sein. Zu aller Belastung kommt, dass die Arbeit für die Helfer oft gefährlich ist, insbesondere in Somalia. So wurden gerade in Mogadischu das SOS-Kinderdorf und eine Klinik beschossen. Kinder und Mitarbeiter konnten unverletzt in Sicherheit gebracht werden. Die Region bleibe vorerst auf Hilfe angewiesen, ist Elke Wisch sicher. Nach der ersten Akuthilfe komme es darauf an, 2012 eine ähnliche Not zu verhindern. "Spenden bleiben deswegen wirklich wichtig", appelliert die Deutsche. Das Geld bedeutet auch: Solange es Not gibt, können Menschen wie Wisch weiter dagegen kämpfen.
Spenden an Unicef Deutschland: Konto 300 000, BLZ 370 205 00 Bank für Sozialwirtschaft Köln, Stichwort: Ostafrika