Nach langer Blockade scheinen die USA der Zahlungsunfähigkeit zu entrinnen. Aber noch sind parlamentarische Abstimmungen zu überstehen
Washington. Es ist wie eine Achterbahnfahrt für alle Beteiligten. Am Wochenende zeigten die Republikaner erstmals im dramatischen Tauziehen um das US-Schuldenlimit plötzlich Optimismus. "Unser Land wird nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte zahlungsunfähig werden", sagte Senatsfraktionschef Mitch McConnell am Sonnabend wie aus heiterem Himmel - hatten doch die Konservativen im Abgeordnetenhaus gerade einen demokratischen Kompromissplan abgeschmettert und damit die Blockade im Kongress fortgesetzt.
Auch die Demokraten schienen völlig überrascht von diesem Stimmungswandel. "Wir sind einem Deal nicht näher", widersprach ihr Spitzenmann im Kongress, Harry Reid, eine ganze Weile lang, bis dann auch er zuversichtlichere Töne anschlug. Davor, so schilderten Insider, hatte sich auf den Gängen des ehrwürdigen Kongressgebäudes nahezu Panik ausgebreitet. Fast fünf vor zwölf, kein Ende der Blockade in Sicht, einer Staatspleite immer näher: Da rutschte auch den größten Optimisten allmählich das Herz in die Hose. Und vorbeugend war auch das "Blamegame" (gegenseitiges Beschuldigen) in vollem Gange, machten sich beide Seiten für ein Scheitern verantwortlich, gab es Tumult und Buhrufe im Abgeordnetenhaus bei der Debatte über Reids Lösungsplan. Die Republikaner hätten sich für die "dunkle Seite" entschieden, schoss die Demokratin Nancy Pelosi einen Giftpfeil ab.
Dann plötzlich der Silberstreif am Horizont - offensichtlich nach direkten Gesprächen zwischen McConnell und Obama. Dabei, so hieß es, kam man sich näher in der Hauptstreitfrage, der Anhebung des Schuldenlimits. In Sachen Sparmaßnahmen waren die Unterschiede zwischen beiden Seiten ohnehin bereits erstaunlich klein, nur war das im Schlachtengetöse um Parteiinteressen und -ideologien weitgehend untergegangen.
Nach all dem Gezerre hüteten sich beide Seiten am Sonntagvormittag noch davor, einen Durchbruch zu verkündeten. "Wir sind einem Deal sehr nahe", sagte McConnell. Von den Demokraten hörte man zunächst gar nichts bis auf den Kommentar eines Senators: "Es sieht aus, als könnte heute ein großer Tag werden." Aber viele Medienkommentatoren wandten ihr Augenmerk bereits der Frage zu, wie es nach einer Einigung im Senat weitergehen könnte. Denn eines war klar: Die Zeit ist extrem knapp für die Reihe von Kongressprozeduren, die bis zu einem Happy End nötig sind.
Vor allem wurde gerätselt, wie es im Abgeordnetenhaus weitergehen wird. Es ist - auf beiden Seiten des Parteispektrums - traditionell aufmüpfiger, radikaler als der Senat, der eher zu Kompromissen neigt. Dutzende Parlamentarier insbesondere bei der Tea Party lehnen jede Anhebung des Schuldenlimits ab und haben klargemacht, dass kein Kompromiss, der einen solchen Schritt in welcher Form auch immer enthält, mit ihnen zu machen ist. Daher blicken nun alle schon wieder auf Republikaner-Chef John Boehner, der angesichts der Rebellion im eigenen Lager gerade mal mit Ach und Krach und mit Zugeständnissen an die Puristen einen eigenen Plan in seiner eigenen Kammer durchbringen konnte.
"Boehner muss seine Leute davon überzeugen, dass das eine gute Vereinbarung ist", kommentierte Eleanor Clift vom Magazin "Newsweek". Das werde nicht leicht. Aber es könnte leichter sein als bei seiner ersten Kraftprobe mit den Tea-Party-Mitgliedern. Diesmal geht es darum, dass die Demokraten im Abgeordnetenhaus gut 20 gemäßigte Republikaner auf ihre Seite bringen - das würde reichen.
Ist das Ganze noch rechtzeitig bis morgen zu schaffen? Möglich wäre es, wenn sich das Abgeordnetenhaus nicht zu lange sperrt, sagen Experten. Sie weisen auch darauf hin, dass das Finanzministerium vielleicht noch ein, zwei Tage über die Frist hinaus operieren könne - wichtig sei aber das Signal, dass eine Anhebung der Schuldengrenze nunmehr sicher sei.
Und ist das geschafft, wer sind die Gewinner, wer sind die Verlierer? Demokraten und Republikaner hüteten sich bisher wohlweislich, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Zu fragil waren die Fortschritte zunächst noch. Experten vermuteten aber, dass bei den Demokraten nicht eitel Sonnenschein herrscht. Sie haben schon seit Längerem befürchtet, dass Obama am Ende kräftig auf die Republikaner zugehen werde, um die große Katastrophe abzuwenden. So galten Einschnitte ins soziale Netz, die für viele Demokraten ein rotes Tuch sind, gestern schon praktisch als sicher. Umgekehrt schien von Steuererhöhungen, die die Republikaner strikt ablehnen, keine Rede.
Parallel zu den Verhandlungen hat sich das Finanzministerium vorsichtshalber weiter auf den Fall des Scheiterns vorbereitet. Oberste Linie: Schulden und Zinsen sollen auf alle Fälle bezahlt werden. Nach einem Bericht der "Washington Post" könnten auch die zum Monatsbeginn anfallenden Sozialhilfe-Leistungen noch gezahlt werden.
Und Barack Obama hat nicht immer eine glückliche Figur im Finanzstreit gemacht. Erst wollte er in direkten Verhandlungen mit Kongressführern einen Deal erzwingen - und scheiterte. Dann stand er plötzlich abseits. Die Musik spielte im Parlament. Erst am Wochenende griff er wieder beherzt in den Streit ein. Vom Ausgang der Krise hängen schließlich auch seine Chancen für eine Wiederwahl ab. Nach jüngsten Zahlen hoffen nur noch 41 Prozent der Amerikaner auf seine Wiederwahl im November nächsten Jahres. Noch im Mai, nach dem Tod Osama Bin Ladens, waren immerhin 48 Prozent für Obama.