Großverleger bei der Anhörung zur Abhöraffäre im Unterhaus von Zuschauer attackiert
London. In der Abhör- und Korruptionsaffäre um seine britische Zeitungsgruppe hat sich Großverleger Rupert Murdoch vor dem Medienausschuss des britischen Unterhauses entschuldigt. "Ich will nur einen Satz sagen: Das ist der Tag der größten Demut in meinem Leben", sagte der 80-jährige Chef des Medienkonzerns News Corp zu Beginn seines Auftritts. Mit versteinertem Gesicht antwortete er mit knappen Worten auf Fragen der Abgeordneten - teils nur mit "Ja" oder "Nein". Auch sein Sohn James entschuldigte sich für die Lauschangriffe auf Politiker und Verbrechensopfer sowie Schmiergeldzahlungen an Polizisten.
Er sei "schockiert, entsetzt und beschämt" gewesen, als er von den Praktiken von Journalisten seines Boulevardblatts "News of the World" erfahren habe, sagte Rupert Murdoch. Er bestritt jede Mitwisserschaft. Die Schuld trügen jene, "denen ich vertraut habe, und möglicherweise die Leute, denen sie vertraut haben".
Die Anhörung musste nach zweieinhalb Stunden kurzfristig unterbrochen werden: Ein Zuschauer hatte den Verleger mit einer weißen Substanz - vermutlich Rasierschaum - beworfen. Fernsehbilder zeigten, wie Murdochs Frau Wendi zurückschlug. Auch sein Sohn James sprang von seinem Sitz auf, um dem Vater zu Hilfe zu kommen.
Lesen Sie dazu auch den ausführlichen Bericht:
Es war ein sichtlich angeschlagener Rupert Murdoch, Chef des zweitgrößten Medienimperiums der Welt, der neben seinem jüngsten Sohn und vermeintlichen Erben James vor dem Ausschuss für Kultur, Medien und Sport des britischen Unterhauses erschien. Er sollte Auskunft geben über seinen Konzern und die Abhöraffäre bei der zu seinem britischen Portfolio gehörenden Boulevard-Zeitung "News of the World" (NoW). Während James Murdoch als Einleitung eine tiefe Verbeugung des Bedauerns vor den Opfern der Lauschangriffe anbrachte und sich namens des Unternehmens entschuldigte, unterbrach ihn sein Vater, der Patriarch, mit dem Satz: "Das ist der Tag der größten Demut in meinem Leben."
Erste Fragen an den Sohn erlaubten diesem zu gestehen, dass die früheren Aussagen von leitenden Figuren von "News International", dem britischen Arm des Murdoch-Unternehmens, vor dem gleichen Untersuchungsausschuss vor zwei Jahren auf unvollständigen Informationen beruhten und nicht ein bewusster Täuschungsversuch gegenüber den Parlamentariern waren. Als Anfang 2011 neue Fakten auftauchten und Scotland Yard die Ermittlungen gegen die "NoW" erneut aufnahm, nachdem sie 2007 mit einer ersten Verurteilung zweier Redakteure beendet worden waren, begann "News International" in der Darstellung von James Murdoch sofort auf breitester Front, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und weitere belastende Dokumente auszuhändigen.
Sein Vater musste sich hingegen bohrende Nachfragen nach der Unternehmenskultur in seinem Hause gefallen lassen, die solche Illegalitäten wie die Abhörpraktiken bei der "NoW" überhaupt möglich gemacht hatte. Mehrere Fragen, ob er von den Missständen gewusst habe, beantwortete er mit einem klaren Nein. Das unterstützte er mit dem Hinweis, er stehe einem globalen Konzern mit Abertausenden unbescholtenen Angestellten vor und könne nicht über alle Vorgänge in einem so großen Unternehmen Bescheid wissen. Sein Sohn und Stellvertreter James aber habe ihn schließlich in Kenntnis gesetzt, worauf die Entscheidung, die "NoW" zu schließen, gefallen sei. "Wir haben uns der Praktiken der Zeitung geschämt", so Murdoch senior.
Die rund drei Stunden dauernde Anhörung wurde kurzzeitig durch einen Zwischenfall unterbrochen. Ein Mann warf eine weiße Substanz auf Rupert Murdoch. Murdochs Frau Wendi und sein Sohn James kamen ihm zu Hilfe. Der 80-Jährige wurde nicht verletzt, musste die Sitzung lediglich ohne Sakko zu Ende bringen.
Zehn Verhaftungen säumen inzwischen den Pfad der polizeilichen Ermittlungen gegen die "NoW", aber auch der Rücktritt des obersten Polizeichefs von London, Sir Paul Stephenson, und eines seiner Stellvertreter, John Yates. Beiden werden Versäumnisse in der Behandlung der Abhöraffäre vorgeworfen sowie zu enge Beziehungen zum Murdoch-Konzern. Am Montag wurde das Thema zusätzlich überschattet durch den Tod des früheren "NoW"-Redakteurs Sean Hoare, dessen Leiche in seiner Wohnung nahe London gefunden wurde. Die Obduktion ergab nach Angaben der Polizei keine Hinweise auf ein Fremdverschulden.
Hoare hatte noch bis vor wenigen Tagen und in einem früheren Gespräch mit der "New York Times" behauptet, Rebekah Brooks' Nachfolger an der Spitze der "NoW", Andy Coulson, habe nicht nur über die Abhörpraktiken einzelner "NoW"-Redakteure gewusst, sondern diese auch angeordnet oder zumindest gutgeheißen. Coulson hat das abgestritten. Hoares Zeugnis wäre eminent wichtig gewesen zur Ermittlung der Vorwürfe gegen Coulson, der nach seinem Rücktritt von der "NoW" unter Beteuerungen, er habe von nichts gewusst, Unterschlupf bei David Cameron fand. Der hatte ihn, noch als Oppositionsführer, zu seinem Kommunikationsdirektor gemacht und ihn nach seiner Wahl zum Premierminister in die Downing Street mitgenommen. Erst im Januar dieses Jahres, als Scotland Yard neue Ermittlungen in der Abhöraffäre einleitete, trat Coulson von diesem Posten zurück. Er wurde kurzzeitig verhaftet und gegen Kaution freigesetzt.
Aus den Befragungen von Sir Paul Stephenson und John Yates, mit der die Anhörungen in Westminster begannen, wurde sofort deutlich, dass im Mittelpunkt der Affäre längst nicht mehr der Murdoch-Konzern mit seinen Verfehlungen steht, sondern das gefährdete Ansehen der Politik und der Polizei. Und das, während Scotland Yard zurzeit alle Anstrengungen darauf verwendet, sich für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr zu rüsten. Jetzt kommt die auf Monate angesetzte Untersuchungskommission der Regierung durch Lord Justice Leveson dazwischen, was zu einer beständigen Beunruhigung führen muss.
Stephenson gab als Grund seines Rücktritts an, er habe sich nie ausmalen können, mit seiner Person zum Thema des Gesprächs über die Polizei zu werden. Im Übrigen verlange der Olympia-Fahrplan, dass rasch gehandelt und bald ein Nachfolger für ihn gefunden werden könne. Weder er noch Yates bekannten sich schuldig, dem ehemaligen Coulson-Stellvertreter in der Chefredaktion der "NoW", Neil Wallis, einen Posten als Medienberater bei der Polizei beschafft zu haben.
Es hätten keine Indizien vorgelegen, die zeigten, dass Wallis in den Abhörskandal verwickelt gewesen sei. Vorige Woche wurde dann auch Wallis von der Polizei verhört. Von dem Verdacht gegen Wallis setzte Sir Paul die Downing Street aber nicht in Kenntnis, um Premierminister Cameron nicht durch solche operativen Vorgänge "zu kompromittieren", wie der zurückgetretene Polizeichef erklärte.