Politische Elite unter Beschuss. Premierminister sieht sich in der Verantwortung, will das Verhältnis von Politik und Medien neu ordnen.
London. Der britische Premierminister David Cameron gerät im Abhörskandal um das Boulevardblatt „News of the World“ immer stärker unter Druck. Am Freitag wurde sein früherer Kommunikationschef Andy Coulson festgenommen. Das bestätigte die Polizei in London. Gegen Coulson lägen Vorwürfe vor, bei denen es um das Abhören von Telefonen und die Bestechung von Polizeibeamten gehe, hieß es. Coulson war 2003 bis 2007 Chefredakteur des Boulevardblatts.
Wegen des Abhörskandals hatte der Medienkonzern von Rupert Murdoch, zu dem die Zeitung gehört, am Donnerstag die Schließung von „News of the World“ bekannt gegeben. Nach 168 Jahren soll das Blatt am Sonntag zum letzten Mal erscheinen. Journalisten der Zeitung sollen über Jahre die Telefone von Prominenten, aber auch Angehörigen getöteter Soldaten und einem ermordeten jungen Mädchen abgehört haben.
Cameron räumte am Freitag in einer extra einberufenen Pressekonferenz ein, dass die Presseaufsicht in Großbritannien versagt habe. Er kündigte zwei umfassende öffentliche Untersuchungen an. Die eine soll sich mit dem Abhörskandal um „News of the World“ beschäftigen, die anderen mit der Aufsicht über die Presse. Die Leitung soll ein Richter übernehmen. Alle hätten es sich im Umgang mit der Presse „behaglich“ gemacht, sagte Cameron.
„Die Wahrheit ist, wir stecken da alle mit drin“, erklärte Cameron. Die Parteiführer seien zu sehr darauf aus gewesen, die Unterstützung der Zeitungen zu bekommen. Dadurch sei man auf einem Auge blind geworden. „Die Menschen an der Macht wussten, dass da etwas nicht in Ordnung ist, aber sie haben nicht schnell genug etwas dagegen getan.“
Cameron rief auch seine persönliche Freundin Rebekah Brooks, eine frühere Chefredakteurin des Blatts auf, von ihrem Posten als Chefin von News International, dem britischen Arm von Murdochs Konzern News Corp. zurückzutreten. Es gebe auch Fragen, die James Murdoch, der Sohn und designierte Nachfolger von Rupert Murdoch beantworten müsse, erklärte Cameron. „Alles, was passiert ist, wird untersucht.“
Auch für Murdoch steht in dem Skandal einiges auf dem Spiel. Er braucht von der britischen Regierung die Genehmigung für die vollständige Übernahme des Fernsehsenders British Sky Broadcasting (BSkyB), die zwölf Milliarden Pfund (13,4 Milliarden Euro) wert ist, weit mehr als die britischen Zeitungen des Medienkonzerns. Cameron deutete an, eine Entscheidung dazu werde vermutlich vertagt. Die Aktie von BSkyB gab bis zum Mittag weitere 4,6 Prozent nach – der Marktwert des Unternehmens ging damit um rund 600 Millionen Pfund (673 Millionen Euro) zurück.
Cameron entschuldigte sich bei der Pressekonferenz aber nicht, wie von der Opposition gefordert, dafür, dass er Coulson als Kommunikationschef einstellte. Dieser trat erst im Januar angesichts des öffentlichen Drucks durch die Ermittlungen über die Abhöraffäre von seinem Amt zurück. Schon 2007 waren zwei Beschäftigte von „News of the World“ wegen des Abhörens von Telefonen der königlichen Familie zu Haftstrafen verurteilt worden. Bereits damals wurde aber auch heftige Kritik an der Polizei laut. Sie sei entweder inkompetent oder bestochen, hieß es. (dapd)
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Achtung, Rupert Murdoch hört mit!
Der Mann, dessen Lächeln Bridget Jones und Millionen andere Frauen an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, hat keine gute Laune. Hugh Grant schürzt spöttisch die Lippen, als er einer Talkrunde des Senders BBC erklärt, wie Reporter der größten Sonntagszeitung "News of the World" tief in sein Privatleben eindrangen - indem sie sein Mobiltelefon abhörten. Hugh Grant war nicht der einzige Prominente, auch das Handy seiner Kollegin Sienna Miller "hackten" Journalisten mithilfe eines eigens engagierten Privatdetektivs, der Ex-Fußballstar Paul Gascoigne soll ebenfalls eines der Opfer sein. Prinz William war es bereits Ende 2005 geworden.
Diese Angriffe auf das Intimleben taten Politik und Bürger des Vereinigten Königreichs bisher mit einem Schulterzucken ab. Wer so viel Geld und ein solches Leben hat, der muss das gnadenlose Auge und Ohr des Volkes ertragen, lautet die Meinung der Briten. Doch nun hat der "hacking scandal" eine Dimension erreicht, die das von großer gegenseitiger Abhängigkeit geprägte Verhältnis zwischen Politik und Medien bis ins Mark erschüttert.
Wen die "Sun" im Wahlkampf unterstützt, der kann auf das Büro in Downing Street Nummer 10 hoffen.
Denn Glenn Mulcaire, besagter Privatermittler, besaß nicht nur Zugang zu den Daten zahlloser Promis, sondern auch von Angehörigen britischer Soldaten, die im Auslandseinsatz im Irak oder in Afghanistan getötet worden waren. Das berichtete die Zeitung "Daily Telegraph". Der neueste Vorwurf lautet mithin, dass Mitarbeiter von "News of the World" die privaten Gespräche von Ehefrauen, Eltern und Geschwistern Getöteter angezapft hatten, um aus dem unvorstellbaren Leid saftige Geschichten für die sensationsgierige Leserschaft aufzubereiten.
Die Sonntagszeitung "News of the World" gehört zur Mediengruppe News International, Eigentum des Moguls Rupert Murdoch, gebürtiger Australier mit amerikanischem Pass. Schon Margaret Thatcher, konservative Premierministerin von 1979 bis 1990, wusste, dass sie ohne das Murdoch-Imperium keine Politik machen konnte. Wen die "Sun" im Wahlkampf unterstützt, der kann auf das Büro in Downing Street Nummer zehn hoffen. Lange Jahre wurde Tony Blair diese Unterstützung zuteil. Einige Monate vor den Wahlen im Mai 2010 aber bekam der Tory David Cameron den Vorzug vor Gordon Brown Labour verlor die Macht.
Genau diese Verbindung aber bringt den Regierungschef jetzt in die Bredouille. Zum einen arbeitet Murdoch seit Jahren daran, seine Anteile am Sender BSkyB, zu dem der Nachrichtenkanal Sky News gehört, von 39 auf 100 Prozent zu erhöhen. Wegen seiner großen Medienmacht brauchte der Australier dafür das Plazet der Regierung, was er Anfang März auch provisorisch bekam. Nachdem die verwerflichen Praktiken der Murdoch-Leute nun ruchbar geworden sind, ist dieser Zuschlag für Cameron schwer zu verteidigen. Die "Financial Times" meldete, dass Kulturminister Jeremy Hunt die Entscheidung über die Komplettübernahme auf September vertagen will.
Die Beziehungen des jungen Premiers zu News International gehen aber noch viel weiter. Cameron hatte zu Beginn seiner Amtszeit den Ex-Chefredakteur von "News of the World", Andy Coulson, als seinen persönlichen Medienberater eingestellt. Coulson hatte die Verantwortung für das Blatt, als der Skandal um die angezapfte Mailbox von Prinz William ausbrach. Zumindest hat der Regierungschef nun angekündigt, eine Untersuchung der Vorwürfe einläuten zu wollen. Angesichts der Anschuldigungen gegen die Murdoch-Gruppe, die mit jedem Tag mehr bestürzen, wird er zur Eile drängen müssen. So war kurz vor der Enthüllung über die angezapften Telefone von Soldaten-Familien bekannt geworden, dass "News of the World" auch Zugang zum Handy eines getöteten Mädchens hatte. Die damals 13-jährige Milly D. war 2002 entführt, ihre Leiche ein halbes Jahr später gefunden worden. Die verzweifelten Angehörigen hinterließen Nachrichten auf ihrer Mailbox; da diese nicht voll wurde, war die Hoffnung groß, Milly sei noch am Leben. In Wirklichkeit löschten die Reporter die Mailbox, um mehr Material für ihre Artikel zu bekommen. Nicht nur Cameron wird diese Medienaffäre auf absehbare Zeit beschäftigen. Auch Hugh Grant lässt den "hacking scandal" nicht auf sich beruhen. Die Reporter von "News of the World" hätten "keine Skrupel, keine Moral, solange sich die Geschichten verkaufen und sie Profit machen können", warf er in der BBC-Sendung Paul McMullen vor, der heute einen Pub in Dover betreibt, aber einst für Murdoch arbeitete. Grant gab ihm noch einen Ratschlag: "Du bist kein Idiot, Paul, du solltest es mal mit richtigem Journalismus probieren."
Konsequenzen hat gestern Rupert Murdoch gezogen: Er will "News of the World" einstellen. Das Blatt werde am Sonntag letztmalig erscheinen.