Die Lage eskaliert: Gaddafis Getreue erobern Ölhäfen und beschießen mit Kampfjets Munitionslager. Der Despot lässt sich feiernd filmen.
Bengasi/Tripolis/Istanbul. Gruppen des libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi haben am Mittwoch offenbar eine Offensive im von der Protestbewegung kontrollierten Osten des Landes gestartet. Eine Ölanlage nahe der Stadt Brega sei kampflos besetzt worden, sagte ein Manager der Ölfirma Sirte, Ahmed Dscherksi. Zwei Kampfflugzeuge bombardierten ein Munitionsdepot nahe der ostlibyschen Stadt Adschdabija, berichteten Augenzeugen.
Einige NATO-Staaten bereiten nach Diplomatenangaben Krisenpläne für eine Flugverbotszone über Libyen vor. Modell für die Pläne sei die Flugverbotszone, die die NATO in den 90er Jahren über dem Balkan eingerichtet habe, hieß es am Mittwoch aus NATO- und EU-Quellen.
Unterdessen hat sich der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi von seinen Anhängern in Tripolis feiern lassen. Das staatliche Fernsehen übertrug Bilder von einer Feier zum „34. Jahrestag der Herrschaft des Volkes“, die in einem Festsaal der Hauptstadt stattfand. Gaddafi wirkte gelöst und zufrieden, während seine Anhänger „Gott, Muammar, Libyen und sonst nichts“ riefen.
Linie der Nordatlantik-Allianz ist bislang, dass nur bei einem klaren Mandat der Vereinten Nationen eine Flugverbotszone erwogen werden könnte. Danach sieht es derzeit nicht aus. Russland, das im Sicherheitsrat über ein Veto-Recht verfügt, hat den Schritt bereits abgelehnt. Der US-Senat forderte am Dienstag dagegen einstimmig die Einrichtung einer Flugverbotszone.
Adschdabija liegt 750 Kilometer östlich von Tripolis, Brega 200 Kilometer von der zweitgrößten Stadt Bengasi entfernt, dem Nervenzentrum der Aufständischen im Osten. In der Ölanlage arbeiten rund 4.000 Arbeiter.
Augenzeugen sagten, eine Rebelleneinheit sei auf dem Weg nach Brega, das 70 Kilometer südwestlich von Adschdabija liegt. Das Munitionsdepot dort seien gegen 10.00 Uhr bombardiert worden. „Ich kann die Jets jetzt angreifen sehen“, sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AP. Ein anderer berichtete, Rebellen seien auf dem Weg westlich der Stadt, um sich Gaddafis Truppen entgegen zu stellen. „Wir sind bereit, ihren Angriff zurückzuschlagen“, sagte er.
Zudem eroberten Truppen Gaddafis offenbar zwei Orte in der Umgebung der Hauptstadt von den Rebellen zurück. Die Explosion eines Tanklasters am Mittwoch in Tripolis löste Panik unter Anwohnern aus.
Ob es sich um einen Sabotageakt handelte, war zunächst nicht bekannt. Die Feuerwehr rückte mit vier Löschwagen aus, um die Flammen zu bekämpfen. Anwohner griffen ausländische Journalisten an, die am Ort der Explosion eintrafen. Sie trieben die Reporter in das Hotel zurück, in dem diese wohnen.
Gaddafi-Truppen hätten die strategische wichtige Stadt Gharjan im Nafussa-Gebirge bei Tripolis zurückerobert, berichtete ein Einwohner. Nach Angaben von Gefolgsleuten Gaddafis wurde auch der Ort Sabratha westlich der Hauptstadt wieder eingenommen, der in der vergangenen Woche abwechselnd von Kräften des Regimes und Aufständischen kontrolliert wurde.
Gharjan war am vergangenen Freitag von den Rebellen eingenommen worden, berichtete der Einwohner der Nachrichtenagentur AP. Nach der Rückeroberung hätten Gefolgsleute Gaddafis Offiziere festgenommen, die zu der Opposition übergelaufen seien. Es seien Suchlisten mit den Namen Oppositioneller erstellt worden. Die Fahndung habe sofort begonnen.
Angriffe auf die von der Protestbewegung gehaltenen Stadt Sawija seien am Dienstag erneut abgewehrt worden, berichteten Einwohner aus der 50 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt. Auch Versuche von Gaddafis Truppen, die Kontrolle über einen umkämpften Luftwaffenstützpunkt bei Misrata auszuweiten, seien gescheitert, hieß es von dort.
Die libyschen Ölexporte im von Rebellen kontrollierten Osten gehen nach Angaben aus Kreisen staatlicher Ölunternehmen normal weiter. Auf die staatlichen Konten gingen auch weiterhin die Überweisungen für die Lieferungen ein, erfuhr die Nachrichtenagentur AP in Kairo.
Ein ranghoher Repräsentant der libyschen Ölfirma Arabian Gulf Oil sagte am Mittwoch, vor dem östlichen Hafen Marsa al Harik warteten mehrere Tanker auf die Beladung. „Wir werden die Exporte nicht stoppen“, sagte er. „Das ist weder in unserem Interesse noch in dem des Weltmarkts.“
Zwei von US-Verteidigungsminister Robert Gates vor die libysche Küste beorderte amerikanische Kriegsschiffe erreichten unterdessen den Suezkanal. Gates sagte, die USA hielten sich alle Optionen offen, warnte aber vor den Folgen eines dritten Kampfeinsatzes neben Irak und Afghanistan. (dpa/dapd)