Ägyptens Reformbewegung nimmt sich jetzt den verhassten Geheimdienst vor. Es soll verhindert werden, dass Akten vernichtet werden.
Kairo. Drei Wochen nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak ist der Kampf um hochbrisante Akten der Staatssicherheit entbrannt.
Mehrere hundert Demonstranten stürmten in der Nacht zum Sonnabend das Hauptquartier des Geheimdienstes in der Hafenstadt Alexandria. In der Hauptstadt Kairo versammelten sich am Sonnabend aufgebrachte Menschen vor einer Geheimdienstzentrale im Bezirk Scheich Sajid. Dort waren vorher schwarze Rauchwolken aufgestiegen, was die Protestierenden als Anzeichen für die Vernichtung von Akten deuteten.
Vor einem Strafgericht in Kairo begann am selben Tag ein Korruptionsprozess gegen den früheren Innenminister Habib al-Adli. Vor dem Geheimdienstsitz in Alexandria lieferten sich die Demonstranten Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften, die Tränengas und scharfe Munition einsetzten. Die Angreifer gingen mit Molotow-Cocktails vor, berichtete das Internet-Portal „almasryalyoum“. Mindestens ein Demonstrant wurde von einem Geschoss in die Brust getroffen und ins Krankenhaus gebracht. Die Aktion richtete sich gegen angebliche Versuche der Staatssicherheitsbehörde, belastende Akten aus der Mubarak-Ära zu vernichten, sagten Teilnehmer des Sturms in Alexandria.
Einer Gruppe von Demonstranten gelang es, in das Gebäude einzudringen und Akten zu sichern. Diese wurden der Armee übergeben. Zugleich sahen sie auch die Überreste von bereits zuvor mit dem Reißwolf vernichteten Dokumenten. Die Armee brachte die im Gebäude verbarrikadierten Offiziere und Mitarbeiter des Staatsicherheitsamtes in Sicherheit, berichteten ägyptische Medien am Sonnabend.
In Kairo begann am Sonnabend der erste Prozess gegen einen führenden Politiker der Mubarak-Ära. Allerdings vertagte der Richter den Prozess gegen den früheren Innenminister Habib al-Adli nach einer kurzen Anhörung auf den 2. April. Die Staatsanwaltschaft wirft Al-Adli Geldwäsche und Betrug vor. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten rund 150 Menschen. Sie verlangten, dass Al-Adli auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und zum Tode verurteilt wird.
Der langjährige Ex-Innenminister ist in den Augen vieler für ein Polizeikorps verantwortlich, in dem die Korruption grassiert und das bei der Unterdrückung oppositioneller Strömungen systematisch gefoltert hat. Er soll auch die Befehle erteilt haben, als die Sicherheitskräfte in den ersten Tagen der Proteste gegen Mubarak Ende Januar mit äußerster Brutalität und Waffengewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorgegangen waren. 350 Menschen waren dabei nach offiziellen Angaben getötet worden.
Al-Adli wurde 1997 zum Innenminister ernannt. Am 31. Januar hatte ihn der inzwischen entmachtete Präsident Husni Mubarak abgesetzt und durch den bisherigen Chef der Gefängnisverwaltung, Mahmud Wagdi, ersetzt. Mitte Februar wurde er verhaftet. Die Auflösung des Geheimdienstes und die Aufarbeitung der Rolle der Staatssicherheit während der Proteste in Ägypten ist eine der letzten noch offenen Forderungen der Reformbewegung.
Am Vortag hatten Tausende von Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo den neuen Regierungschef Essam Scharaf daran erinnert. Der Geheimdienst hatte in Ägypten in den Jahrzehnten seit der Revolution von 1952 hauptsächlich der Unterdrückung der Bevölkerung gedient. Er betrieb – nach dem Vorbild der ehemals kommunistischen Ostblock-Staaten – ein Netz von Agenten und Spitzeln, das in alle Bereiche der Gesellschaft reichte. Geheimdienstgefängnisse waren außerdem Orte schrecklicher Folterungen. (dpa)