Die wahre Macht in Ägypten liegt in den Händen der Armee
Hamburg. "Der Sturz von 30 Jahren Unterdrückung sollte mich mit Hoffnung erfüllen", schrieb die Korrespondentin Helia Ebrahami im Londoner "Daily Telegraph". "Doch als eine Perserin, die in einer frühen Phase der Revolution geboren wurde, lässt mich diese Aussicht starr vor Angst werden."
Ihre Besorgnis schlägt sich auch in einer Analyse des privaten amerikanischen Geheimdienstes Stratfor nieder. "Wie die iranische Revolution von 1979 zeigt, können Ideologie und Zusammensetzung der Demonstranten nur wenig gemeinsam haben mit jenen Kräften, die dann am Ende an die Macht gelangen." Die blutige Revolution des Hoffungsträgers Khomeini endete in einer noch weit intoleranteren Tyrannei.
Viele Ängste im Westen - und in Israel - richten sich auf ein Erstarken der Muslimbruderschaft in Ägypten. Diese bereits 1928 von Hassan al-Banna gegründete Bewegung gilt als Mutter aller islamistischen Organisationen im Nahen Osten. In ihrer Geschichte oszillierte die Bruderschaft zwischen militantem Widerstand und Kooperation. Ihr derzeitiger politischer Aggregatzustand kann als islamistisch-pragmatisch beschrieben werden. Ihr Wählerpotenzial liegt bei nur 30 Prozent. Vor allem in Washington und in Jerusalem dürften derzeit aber Szenarien für den wenig wahrscheinlichen Fall durchgespielt werden, dass es den Islamisten dennoch gelingen sollte, nach einem Sturz Mubaraks an die Macht zu gelangen.
Der ohnehin schwindende Einfluss der USA auf den Nahen Osten würde dann noch weiter zurückgehen; Israel wäre zwischen einem islamistisch regierten Ägypten und einem von der radikalislamischen Hisbollah beherrschten Libanon eingeklemmt. Und die bange Frage wäre, ob eine islamistische Regierung in Kairo sich weiter an den Friedensvertrag mit Israel gebunden fühlen würde. Doch die eigentliche Macht in Ägypten geht vom Militär aus, das seit der Revolution von 1952 noch jeden Staatschef stellte. Die ägyptische Armee mit ihren fast 450 000 Mann ist die stärkste Arabiens. Sie wird im Volk respektiert - im Gegensatz zur Polizei, die als korrupt und brutal gilt. Auch der seit Langem zweitmächtigste Mann im Lande, Omar Suleiman, kommt aus den Reihen des Militärs. Der Ex-Luftwaffenkommandeur ist Chef des Geheimdienstes und Mubaraks engster Vertrauter. Seine überraschende Ernennung zum Vizepräsidenten ist wohl der Versuch, das Regime zu stabilisieren.
Suleiman galt bislang als integrer "Mann im Schatten". Im Westen und in Israel wird er als willkommene Alternative zu Mubarak betrachtet - nicht aber auf den Straßen in Ägypten. Der General hat Mubarak einfach zu lange gedient, um im Volk beliebt zu sein. Dennoch könnte er der richtige Übergangsführer sein, um behutsame Reformen einzuleiten. Die zivile und vom Volk eher akzeptierte Lösung bestünde in Mohammed al-Baradei, dem früheren Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Der Friedensnobelpreisträger erklärte sich gestern zum Wortführer der Opposition. Er habe das Mandat zu Verhandlungen mit dem Militär und um eine Übergabe der Macht an eine Koalition der nationalen Einheit zu organisieren, sagte er vor Tausenden Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. "Der Wandel kommt in den nächsten Tagen", rief al-Baradei.
Dem Land mit seinen rund 84 Millionen Menschen kommt eine besondere Rolle in der Region zu. Ägypten hält zusammen mit dem ebenfalls sunnitischen Saudi-Arabien die Ambitionen des schiitischen Irans in Schach. Zugleich ist Ägypten ein innerarabischer Rivale Saudi-Arabiens, das als Hüter der heiligen Stätten in Mekka und Medina eine Führungsrolle beansprucht. Ägyptens Islam ist liberaler als der rigide Wahabismus der Saudis.