Amerika hat zu lange auf Despoten gesetzt.
Jahrzehntelang hat die amerikanische Nahostpolitik einen verhängnisvollen Kurs gefahren: Sie stützte noch die schattigsten Despoten mit Wirtschafts- und Militärhilfe, übersah deren systematische Menschenrechtsverstöße, Misswirtschaft, Selbstbereicherung und Korruption. Aus geostrategischen Gründen schien das geboten - in Afghanistan, Pakistan, Saudi-Arabien. Jetzt schreiben ägyptische Demonstranten auf ihre Transparente: "USA, wir hassen eure Heuchelei." Es sieht so aus, als kassiere Washington die Quittung für seinen Doppelkurs.
Das wirkte ja auch ausgesprochen peinlich: Am Freitag redete US-Außenministerin Hillary Clinton hastig von den Rechten des ägyptischen Volkes, während sie am Dienstag nach Ausbruch der Unruhen noch befunden hatte, Ägyptens Lage sei "stabil". Auf diese Stabilität in Person des Verbündeten Mubarak hat Washington viele Rücksichten genommen. Er garantierte die logistische Versorgung der US-Truppen im Irak durch den Suezkanal; er schien der Schlüssel zur Lösung des israelisch-arabischen Konflikts zu sein. Dafür wurde sein Regime belohnt. Ägypten ist nach Afghanistan, Pakistan und Israel der viertgrößte Empfänger amerikanischer Hilfsgelder, bekommt 1,5 Milliarden US-Dollar, davon 1,3 Milliarden für das Militär. Die USA liefern Panzer, Helikopter, Waffen und bilden ägyptische Offiziere weiter. Alles, damit die Muslimbrüder nicht an die Macht kommen und den Friedensvertrag mit Israel von 1979 kippen.
Dabei waren die USA über Mubaraks eisernes Regime sogar sehr gut informiert, wie die "Cairo Cables" enthüllen, die WikiLeaks in diesen Tagen ins Netz stellte. Wie die US-Botschaft Kairo in ihren Depeschen immer wieder berichtete, wurden nicht nur Muslimbrüder, sondern auch friedliche Blogger und säkulare Intellektuelle vom Netz genommen, festgenommen, gefoltert. Aber auch die Administration Obamas hat Mubarak dafür nicht offiziell verwarnt, sondern in privaten Gesprächen höchstens milde getadelt. Dafür ernten die USA jetzt Verachtung in der gesamten Opposition.
Ob ausgerechnet Mubaraks Geheimdienstchef Suleiman das Regime retten kann, wird sich zeigen. Ob sie wollen oder nicht: Die USA müssen ihre Bündnis-Prioritäten überdenken. Die junge Bevölkerung im Nahen und Mittleren Osten, die die aktuellen Aufstände trägt, will Jobs, Bürgerrechte, Informationsfreiheit. Sie will, dass ihre Nationen mehr sind als nur Zinnsoldaten in einem amerikanischen Strategie-Spiel.