Der Anschlag am Moskauer Flughafen wurde womöglich von einer Attentäterin verübt. Unter den 35 Opfern sind ein Deutscher und ein Österreicher.
Moskau/Hamburg. Die ersten Opfer des Terroranschlags auf dem internationalen Moskauer Flughafen Domodedowo sind identifiziert. Unter den 35 Toten des Bombenanschlags sind auch acht Ausländer, wie das russische Notfallministerium am Dienstag mitteilte. Dazu gehörten eine Person aus Deutschland und zwei Briten. Weiter handele es sich um Todesopfer aus Bulgarien, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und der Ukraine. Wahrscheinlich wurde auch ein Österreicher getötet. „Es gibt konkrete Hinweise, dass sich ein Österreicher unter den Todesopfern befindet“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Harald Stranzl, am Dienstag in Wien. Die Identifizierung sei aber noch nicht abgeschlossen. Eine weitere Österreicherin, die sich nach Angaben eines Arbeitskollegen am Flughafen aufgehalten haben könnte, sei nicht erreichbar. 110 Menschen wurden am Montag bei dem Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo verletzt. 33 Verletzte befinden sich dem Gesundheitsministerium zufolge in einem kritischen Gesundheitszustand. Zu der bekannte sich zunächst niemand. Der Verdacht fiel aber auf militante Tschetschenen, die auch schon früher Anschläge in Russland verübten.
Bei dem getöteten Deutschen soll es sich um einen 1976 geborenen Mann handeln. Nach inoffiziellen Angaben war er in Moskau bei einer deutschen Firma angestellt. Ein Chauffeur habe den Mann am Montag nach dem Anschlag leblos in der Ankunftshalle gesehen. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte in Berlin, es verdichteten sich Hinweise, wonach ein deutscher Staatsangehöriger getötet und eine weitere Deutsche verletzt worden sei. Die deutsche Botschaft in Moskau prüfe das mit Hochdruck. Nach russischen Medienberichten ist unter den Verletzten auch eine deutsche Frau, die im Krankenhaus behandelt wird.
Die Identifizierung der Leichen geht derweil weiter. Dies sei schwierig, weil viele Menschen von der Druckwelle der Bombe und durch umherfliegende Metallteile des Sprengsatzes zerrissen worden seien, sagten Ärzte. Zahlreiche Verletzte schweben weiter in Lebensgefahr. Das russische Zivilschutzministerium veröffentlichte die ersten Namen der Todesopfer auf seiner Internetseite. Die Moskauer Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ veröffentlichte eine Namensliste mit Geburtsjahr und Staatsangehörigkeit unter Berufung auf Ermittlerkreise.
In Domodedowo, wo der Flugbetrieb wieder weitgehend normal läuft, legten Passanten Nelken nieder, der Anschlagsort selbst ist mit Sperrbändern abgeriegelt. Einheiten der Sonderpolizei OMON liefen verstärkt Streife. Strenger als sonst mussten die ankommende Reisenden schon beim Betreten des Flughafengebäudes ihre Taschen zur Kontrolle auf Laufbänder legen und durchleuchten lassen.
Die Stimmung in der russischen Zehn-Millionen-Stadt ist aber insgesamt ruhig – eigentlich wie an jedem anderen Tag. Größere Kontrollen oder auffällige Einschränkungen waren nicht zu beobachten. Auch in der Metro, die im vergangenen Fürhjahr Ziel eines schweren Anschlags war, gab es keine schärferen Sicherheitsvorkehrungen als an anderen Tagen.
Kremlchef Dmitri Medwedew forderte in einem Zeitungsinterview die Bestrafung der Verantwortlichen für die Sicherheit auf dem Moskauer Flughafen. Es habe eklatante Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften gegeben, sagte er der Zeitung „Wedomosti“. Auch das Nationale Anti-Terror-Komitee hatte die Flughafenleitung kritisiert.
Präsident Medwedew wollte am Dienstag mit Vertretern des Inlandsgeheimdienstes FSB die Gefahrenlage im Land ausloten. Zuvor hatte er auf Bahnhöfen und Flughäfen sowie an weiteren Verkehrsknotenpunkten eine erhöhte Sicherheitsstufe angeordnet. Die Behörden vermuten nach eigenen Angaben, dass Terroristen aus dem russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus hinter dem Anschlag stecken. Medien zufolge hatte der FSB bereits seit einigen Tagen Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt in Moskau.
Am Dienstag wurde bekannt, dass der mutmaßliche Selbstmordanschlag möglicherweise von einer Attentäterin und einem Komplizen verübt wurde. Die Explosion habe sich in einem Moment ereignet, als eine Frau in Begleitung eines Mannes ihre Tasche geöffnet habe, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti unter Berufung auf Polizeikreise. Die Art des Anschlags entspreche der „üblichen“ Vorgehensweise von Attentätern „aus dem Nordkaukasus“.
In der Krisenregion, wo auch das frühere Kriegsgebiet Tschetschenien liegt, kämpfen Islamisten um Unabhängigkeit von Moskau. Sie hatten immer wieder gedroht, den Terror ins russische Kernland zu tragen. Zuletzt kamen bei einem Doppelanschlag auf die Moskauer Metro Ende März vorigen Jahres 40 Menschen ums Leben.
Russlands Präsident Dmitri Medwedew bezeichnete das Unglück als „Terrorakt“ und wies dem Flughafenbetreiber die Verantwortung dafür zu. Es müsse „eindeutig Sicherheitslücken“ gegeben haben, um „eine solch große Sprengstoffmenge“ in den Flughafen zu bringen, wurde Medwedew von der Nachrichtenagentur Interfax zitiert. Jeder, der in Domodedowo Entscheidungen getroffen habe, müsse sich seiner Verantwortung stellen.
Die Explosion am Montag um 16.32 Uhr Moskauer Zeit (14.32 Uhr MEZ) hatte die Ankunftshalle des internationalen Terminals getroffen. Augenzeugen berichteten von einem regelrechten Blutbad. „Ich war zehn Meter von der Explosion entfernt“, sagte Artem Schilenkow. „Auf einmal ist das Licht ausgegangen, schwarzer Rauch hat sich ausgebreitet. Es ist eine Panik ausgebrochen, alle hatten Angst vor einer zweiten Explosion.“ Seinen Angaben zufolge waren unter den Opfern viele Taxifahrer, die auf Kundschaft gewartet hatten.
Regierungen weltweit haben den Anschlag scharf verurteilt. US-Präsident Barack Obama nannte das Attentat vom Montag „abscheulich“, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem „feigen Anschlag“. Polizeikreisen zufolge handelte es sich um die Tat eines Selbstmordattentäters.
Obamas Sprecher Robert Gibbs sagte, die USA würden die russischen Behörden in jeder möglichen Form unterstützen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich „entsetzt“ über den „durch nichts zu rechtfertigenden“ Anschlag. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte, er verurteile diese „entsetzliche Tat zutiefst“. Der Terrorismus sei eine „gemeinsame Bedrohung, der wir uns vereint stellen müssen“.
Merkel sprach Russlands Staatschef Dmitri Medwedew ihr „tief empfundenes Mitgefühl“ und den Opfern ihre Anteilnahme aus. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy forderte eine rasche Bestrafung der Drahtzieher des Anschlags. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte eine internationale Reaktion gegen den Terrorismus. Kanadas Regierungschef Stephen Harper sagte, die Anwendung von Gewalt gegen unschuldige Menschen dürfe niemals tolieriert werden. Australiens Premierministerin Julia Gillard verurteilte den Anschlag als „brutale Attacke“.
Staatschef Medwedew hatte nach dem Anschlag die Einsetzung eines „speziellen Sicherheitssystems“ in allen Bahnhöfen und Flughäfen des Landes angeordnet. Die Polizei in Moskau wurde in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, die Sicherheitsvorkehrungen in der U-Bahn und an den anderen Flughäfen wurden verstärkt. Seine für Dienstag geplante Reise zum Weltwirtschaftsforum in Davos verschob Medwedew.
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), warnte vor einer Polarisierung der russischen Bevölkerung in Folge des Anschlags. Es drohten Gewalt und Diskriminierung gegenüber Nicht-Russen, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. (dpa/dapd/rtr/afp)