Auf Klimagipfel beschlossenes Waldschutzprogramm, Klimafonds und CO2-Ziele müssen noch konkretisiert werden. Finanzierung bleibt umstritten
Washington. Viel Lob für Cancún. Nur einer schießt quer. Die Zustimmung klingt so: "Wir haben in Cancún einen guten Schritt nach vorne gemacht", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und US-Präsident Barack Obama gratulierte seinem mexikanischen Amtskollegen Felipe Calderón, weil es bei der Uno-Weltklimakonferenz gelungen sei, "die Herausforderungen des Klimawandels anzugehen".
Und dann dies: Die Abschlusstexte stellten einen "hohlen und gefälschten Sieg dar, der ohne Konsens zustande kam, und seine Kosten werden in Menschenleben gezählt", gab Bolivien zu Protokoll. Das südamerikanische Land trägt den mühsam erarbeiteten Konsens nicht mit, weil ihm das Ziel, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, nicht weit genug ging.
Doch Bolivien blieb isoliert, die Delegierten aus den übrigen 193 Ländern wollten zumindest einen Minimalkonsens mit nach Hause nehmen. Und die souveräne Konferenzleiterin, Mexikos Außenministerin Patricia Espinosa, setzte sich über Bolivien hinweg und erklärte trotz eigentlich erforderlicher Einstimmigkeit die Papiere für angenommen.
Bei Lichte betrachtet besteht das Konferenzergebnis aus wohlklingenden Absichtserklärungen ohne rechtliche Verbindlichkeit und der Vertagung konkreter Beschlüsse auf die Konferenz 2011 in Durban. Das erklärt die gebremste Begeisterung von Grünen-Chefin Claudia Roth, in Cancún sei "das Schlimmste abgewehrt" worden.
Eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls von 1997 mit seinen völkerrechtlich bindenden Emissionsobergrenzen darf nunmehr zwar als Ziel angesehen werden. Aber es wurde nicht erreicht. China, das sich weiterhin als Entwicklungsland sieht, und die USA, die Kyoto nie ratifizierten, bleiben außen vor. Zuvor hatten Japan, Kanada und Russland sich einer weiteren Verpflichtungsrunde verweigert, weil Peking und Washington, die weltweit größten Treibhausgas-Emittenten, einen Beitritt ablehnten.
Immerhin stimmten in Cancún erstmals alle Teilnehmer dem Ziel einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu. Zwischen 2013, dem Jahr nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls, und 2015 soll zudem geprüft werden, ob Anstrengungen zu unternehmen seien, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen.
Auch der Grüne Klimafonds, in dem ab 2020 jährlich 75 Milliarden Euro für die vom Klimawandel besonders betroffenen Entwicklungsländer zur Verfügung stehen sollen, bedarf der Konkretisierung. Noch ist unklar, woher die Gelder kommen.
Das von der Konferenz beschlossene Waldschutzprogramm im Rahmen des REDD-Modells (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation; Minderung von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern) bedarf ebenso noch der Ausformulierung. Es soll das Abholzen insbesondere der tropischen Regenwälder verhindern, könnte aber missbraucht werden, um derartige Rodungsaktionen durch Baumpflanzungen an anderer Stelle zu legitimieren. Und schließlich fehlt auch bei diesem Grundsatzbeschluss die Einigung über die Finanzausstattung.
Immerhin bekennen sich die Unterzeichnerstaaten von Kyoto zu ihrem Ziel, bis 2020 ihre Kohlendioxid-Emissionen um 25 bis 40 Prozent unter den Stand von 1990 zu senken. Die USA bekräftigen Obamas Kopenhagener Zusage, bis 2020 ihren CO2-Ausstoß um 17 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. Und China will in diesem Umfang den Anteil der Emissionen am weiteren Wachstum seines Bruttoinlandsprodukts herunterschrauben.
Wendel Trio, bei Greenpeace für internationale Klimapolitik zuständig, brachte die Bilanz auf den Punkt: "Cancún hat vielleicht den Prozess gerettet", nämlich die Fortsetzung der Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen, "das Klima aber noch nicht". Die Fortsetzung dieses Prozesses war auch das zentrale Ziel Berlins. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der in der entscheidenden Woche die deutsche Delegation führte, lobte, Cancún habe "die Erwartungen erfüllt. Die Staatengemeinschaft hat sich als handlungsfähig erwiesen." Dadurch entstehe wieder Vertrauen in den Uno-Prozess. "Ich glaube, dass das heute ein sehr, sehr großer Erfolg ist für den Klimaschutz." Allerdings, so schränkte der CDU-Politiker ein, seien die Maßnahmen noch unzureichend.
Der Minister hatte zu diesem Zeitpunkt auch gewarnt, je weniger in "Cancún entschieden wird, desto dicker wird der Rucksack für Durban". Nun wartet für Südafrika tatsächlich tonnenschweres Marschgepäck auf die Delegationen, die dort im kommenden November und Dezember nach jenen Lösungen suchen, zu denen Cancún trotz viel guten Willens nicht in der Lage war. Ändern wird sich bis dahin kaum etwas an den unterschiedlichen Ausgangspositionen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern. Darum darf man annehmen, dass die jetzt erteilten Arbeitsaufträge auch in Durban nicht erledigt werden.