Es ist mehr als ein Server-Umzug. Wikileaks nutzt das scharfe Pressegesetz und die Internet-Piraten. Doch Experten zweifeln am Sinn der Aktion.
Stockholm. In einem Raum, der aussieht wie eine Mischung aus einer Garage und einer Bude im Studentenwohnheim, sitzen zwei junge Schweden und hacken auf Computer-Tastaturen ein. Um sie herum liegen Kabel, Cola-Dosen und eine leere Ketchup-Flasche. Es sieht nach vielem aus, aber nicht nach einem Ort, um den sich das US-Verteidigungsministerium Sorgen machen müsste .
Aber dieser kleine Raum in einem Vorort von Stockholm ist das Nervenzentrum der Enthüllungs-Website Wikileaks. Dessen Gründer Julian Assange hielt sich zuletzt häufiger in Schweden auf, wo Journalisten durch eines der stärksten Pressegesetze der Welt geschützt sind. Anwälten zufolge braucht die Website einen Rückzugsort, insbesondere nachdem sie sich den Zorn des Pentagons zugezogen hat, weil sie Geheimdokumente des US-Militärs zum Afghanistan-Krieg ins Internet stellte. Die Berichte zeichnen ein ernüchterndes Bild von der Lage am Hindukusch.
Von Schweden aus kann der aus Australien stammende Assange (39) damit seinem Ziel näher kommen, die Welt transparenter zu machen. Der US-Regierung dürfte es schwer fallen, gegen das schwedische Gesetz zur Meinungsfreiheit anzugehen, sagt Jonathan Coad von der Medienrechtskanzlei Swan Turton in London. „Ich denke nicht, dass es einen Mechanismus gibt, der es den USA gestattet, etwas dagegen zu tun.“
In Schweden ist etwa der Quellenschutz eine gesetzliche Pflicht für Journalisten. Wikileaks strebt daher eine entsprechende Veröffentlichungsgenehmigung in dem Land an, wie die in Island ansässige Sprecherin der Website, Kristinn Hraffnson, sagt. Diese brauchen Journalisten, um den Schutz in Anspruch zu nehmen. Assange wird zudem künftig Kolumnen für das Boulevardblatt „Aftonbladet“ schreiben.
Assange kann dabei auf eine breite Unterstützung in Schweden bauen. Die schwedische Piraten-Partei etwa, die sich für eine Reform des Urheberrechts einsetzt, stellt Wikileaks Server zur Verfügung. „Jeder, der Wikileaks attackieren will, muss nun eine politische Partei in Schweden attackieren“, sagt der Piraten-Chef Rick Falkvinge der Nachrichtenagentur Reuters. Dies mache es schwieriger, rechtlich gegen Wikileaks vorzugehen.
Anwälten zufolge darf sich Wikileaks in Schweden aber auch nicht allzu sicher fühlen. So könnte dem Dienst Ärger drohen, wenn er aufgefordert wird, Quellen offenzulegen oder Material zu übergeben. Per Eric Alvsing, Anwalt bei der schwedischen Kanzlei Vinge, betont zwar, die Identität eines Informanten sei durch die Verfassung geschützt. Aber wenn die nationale Sicherheit berührt werde, könne es Ausnahmen geben. „Unser Fazit ist: Auch wenn Wikileaks eine schwedische Veröffentlichungsgenehmigung bekommt, ist dies kein hundertprozentiger Schutz.“
Falls sich Wikileaks jemals vor einem schwedischen Gericht verantworten müsste, dann scheint die Strategie zu sein, alles, was dem Dienst zur Verfügung steht, in die Waagschale zu werfen, um seine Ziele voranzutreiben. „Wikileaks nutzt seine Macht sowie praktische und rechtliche Unverwundbarkeit – die es zu besitzen glaubt – um den Gang der Geschichte zu ändern“, sagt Coad. „Es ist außergewöhnlich – ein Kampf wie David gegen Goliath.“