In Russland will sich die Kanzlerin in den Kampf um den Energiemarkt einschalten
Hamburg/Jekaterinburg. Die Lage ist ernst. Alexej Miller, der Chef des russischen Energiekonzerns Gazprom, weiß das. Trotz guter Konjunkturentwicklung brach der russische Gasexport im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel ein. Das liegt auch an der momentan nicht mehr so starken Nachfrage nach Gas in Europa. Und geht es nach der EU und der Bundesregierung, soll die Abhängigkeit von Russland mit dem Bau der Nabucco-Pipeline weiter sinken. Die Pipeline soll Gas aus Aserbaidschan, Nordirak und Turkmenistan über das Festland nach Europa transportieren. Vorbei an Russland. Für Miller ist Nabucco unliebsame Konkurrenz zu seinem South-Stream-Projekt. Die Leitung soll Gas aus Russland und dem Kaukasus durch das Schwarze Meer gen Westen bringen. Doch der Gazprom-Chef handelt. Im Kampf um den Energiemarkt bot Miller dem deutschen Energiekonzern RWE nun an, bei South-Stream einzusteigen.
Es ist ein weiterer schlauer Zug im Pipeline-Poker, an dessen Ende der Bankrott von Nabucco stehen könnte. Denn RWE gehört zu dem europäischen Konsortium, das die Nabucco-Leitung bauen will. Auch deshalb hat das europäische Pipeline-Projekt die Politik erreicht. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte es bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Jekaterinburg im Ural thematisieren. Es gehe darum, die Nabucco-Pipeline politisch zu flankieren, hieß es laut "Handelsblatt" in Regierungskreisen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte der Zeitung, dass breit gestreute Bezugsquellen die Voraussetzung für die Gasversorgungssicherheit in Europa seien. "Deshalb unterstützt die Bundesregierung das Projekt", so der Minister. Es ist das erste Mal, dass sich die Bundesregierung in der Öffentlichkeit deutlich für das Nabucco-Projekt ausspricht. Im März 2009 hatte man noch gegen einen finanziellen Zuschuss der EU für die Pipeline gestimmt.
Doch wie viel Einfluss Merkel und Brüderle tatsächlich im Streit um die Gasleitungen auf Gazprom und die russische Regierung ausüben können, ist unklar. "Die Energiefrage wird bei dem aktuellen Treffen keine so große Rolle spielen", sagt Jonas Grätz von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Abendblatt. "Merkel weiß, dass Präsident Medwedew wenig Macht auf diesem Gebiet hat. Im Gegensatz zu Premier Wladimir Putin, der enge Verbindungen zu Gazprom unterhält."
South Stream oder Nabucco - eines der Projekte wird wohl scheitern. Zumal Europa in Zukunft stärker auf andere Gasproduzenten zurückgreifen könne, sagt Grätz. "In Nordamerika boomt beispielsweise die Nutzung von Erdgas aus Schiefergestein. Auch in Europa gibt es Schiefergas-Vorkommen."