Ein Pilot setzte sich mit seinem Kampfjet nach Jordanien ab. Auch mehrere ranghohe Offiziere sollen nach Angaben von Rebellen desertiert sein.
Damaskus/Istanbul. Das syrische Regime zerfällt langsam, aber stetig. Während sich ein Pilot mit seinem Kampfjet nach Jordanien absetzte, begingen vier hochrangige Offiziere aus der Provinz Aleppo Fahnenflucht. Die vier Brüder stellten in der Nacht zum Freitag eine Videobotschaft ins Netz, in der sie sich von der Armee lossagen. Das Verteidigungsministerium erklärte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, man werde von Jordanien die Auslieferung des Piloten fordern, der am Donnerstag mit seiner MIG-21 in Jordanien gelandet war.
Wie groß die Loyalität der einzelnen Minister und Berater von Präsident Baschar al-Assad noch ist, lässt sich schwer abschätzen. Denn nach Angaben ehemaliger Funktionäre, die sich schon vor Monaten abgesetzt hatten, sind Auslandsreisen von Top-Funktionären und ihren Familien nur noch mit Sondergenehmigung von ganz oben gestattet.
Das oppositionelle Nachrichtenportal „all4syria“ hatte diese Woche sogar behauptet, Präsidentenberaterin Buthaina Schaaban sei, weil sie als zuverlässiger gelte, anstelle von Außenminister Walid al-Muallim und Vizepräsident Faruk al-Scharaa zu Gesprächen nach Moskau geschickt worden. Allerdings sickerte jetzt durch, dass Schaaban zu dem Sondergesandten Kofi Annan während seines Besuches in Syrien gesagt haben soll: „Ich habe immer davon geträumt, für die Vereinten Nationen zu arbeiten“. Jetzt rätseln Beobachter, ob diese Bemerkung vielleicht ein Wink war, der bedeuten sollte, dass Schaaban an einer persönlichen Exit-Strategie arbeitet.
Mehrere ranghohe Offiziere der syrischen Streitkräfte haben sich nach Angaben von Aktivisten von der Regierung unter Präsident Baschar Assad losgesagt. Auf einem am Freitag von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte veröffentlichten Video sollen zwei Brigadegeneräle und zwei Oberste zu sehen seien. Sie sagen in der Aufnahme, sie seien desertiert. Erst am Donnerstag hatte sich ein Luftwaffenpilot mit einem Kampfflugzeug vom Typ MiG-21 nach Jordanien abgesetzt. Seit Beginn der Proteste gegen Assad sind Tausende Soldaten desertiert, allerdings meist aus unteren Rängen. Zahlreiche abtrünnige Soldaten haben sich der oppositionellen Freien Syrischen Armee angeschlossen.
Rund 1,5 Millionen Syrer sind wegen der anhaltenden Kämpfe von Hilfslieferungen der Vereinten Nationen abgeschnitten. Dies teilte das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten am Freitag in Genf mit. Bislang war die Weltorganisation von einer Million hilfsbedürftiger Zivilisten in Syrien ausgegangen. „Die zunehmende Gewalt macht es extrem schwer, eine Präsenz vor Ort zu errichten, damit humanitäre Hilfe überhaupt geleistet werden kann“, sagte zugleich Robert Watkins vom UN-Entwicklungsprogramm im Libanon. „Wir leisten weiterhin Hilfe, doch leider nicht in dem Tempo, wie wir gerne würden und es auch nötig wäre.“
Seit Beginn des Aufstands gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im März 2011 sind nach UN-Schätzungen mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Mindestens 500.000 Menschen befinden sich wegen der Gewalt auf der Flucht im eigenen Land.
Syrisches Staats-TV -Terroristen verüben Massaker an 25 Menschen
In Syrien ist nach Angaben staatlicher Medien ein neues Massaker verübt worden. „Bewaffnete terroristische Gruppen“ hätten 25 Menschen aus dem Dorf Darat Assa entführt und getötet, berichtete das Staatsfernsehen am Freitag. Es handle sich um ein „brutales Massaker“. Die Führung in Damaskus verwendet in der Regel den Begriff Terroristen, wenn sie von Rebellen spricht, die seit 15 Monaten versuchen, Präsident Baschar al-Assad die Macht zu entreißen.
Eine pro-oppositionelle Menschenrechtsgruppe teilte mit, mindestens 26 Männer seien in der Provinz Aleppo, in der Darat Assa liegt, getötet worden. Vermutlich handle es sich bei den Opfern um Mitglieder der Schabbiha-Miliz, die loyal zu Assad hält. Sie soll maßgeblich an dem Massaker von Hula beteiligt gewesen sein, bei dem mehr als 100 Zivilisten umgebracht wurden, darunter viele Frauen und Kinder. (dpa/reuters/abendblatt.de)