Fünf Jahre lang stand Frankreichs Hyperpräsident an der Spitze. Jetzt hat das Land die Nase voll. Der Sozialist Hollande greift nach der Macht.
Paris. In einem kleinen Park zwischen Élysée-Palast und Champs Élysées kramt Michèl Dumas in seiner Jutetasche. Der Ex-Banker handelt seit Beginn seiner Rente vor fünf Jahren mit Briefmarken und bietet im Schatten des französischen Präsidentensitzes seine neuesten Errungenschaften an. Am Sonntag werde er wohl den Sozialisten François Hollande wählen, sagt Dumas. Nicht, weil der besondere Hoffnung in seinem Land entfacht hätte. Im Gegenteil: Der Rentner hält Hollande für eine blasse Figur. „Aber er ist der einzige, der Nicolas Sarkozy stoppen kann.“
„Tout sauf Sarko“ – Alles außer Sarkozy: Das ist auch drei Tage vor der ersten Wahlrunde die Sehnsucht einer großen Mehrheit in Frankreich: Jüngsten Umfragen zufolge wird der vor fünf Jahren als „Super-Sarko“ gestartete „Hyperpräsident“ von einem tief enttäuschten und desillusionierten Volk wieder aus dem Élysée-Palast gejagt. Laut einer am Freitag von „Le Parisien“ veröffentlichten liegt er schon im ersten Wahlgang am Sonntag mit 26,5 Prozent deutlich hinter Hollande, der mit 30 Prozent rechnen kann. Für die Stichwahl am 6. Mai sieht die BVA-Umfrage den Herausforderer bei 57 Prozent, das ist ein Vorsprung von 14 Punkten.
Den Sozialisten sind die Zahlen inzwischen unheimlich. „Das ist zu viel“, sagt ein Berater Hollandes, und fürchtet, wegen des großen Vorsprungs würden viele Anhänger gar nicht mehr zur Wahl gehen. Sarkozy dagegen kämpft weiter verbissen um jede Stimme: Mit dem Versprechen, die Zahl der Einwanderer zu halbieren, geht er bei der Wählerschaft des rechtsextremen Front National auf Stimmenfang.
„Eine Stimme für Marine Le Pen dient nur François Hollande“, ruft er seinen Anhängern zu. Und in einem Interview mit „Le Figaro“ warnte er am Freitag, die Wahlkampfversprechen Hollandes würden das Land vom Sparkurs abbringen und noch tiefer in die Schuldenkrise stürzen. „Glauben wir wirklich, dass Frankreich erspart bleibt, was Spanien passiert, nur weil Hollande gewählt werden würde?“ Doch was der Amtsinhaber auch vorschlägt – die Schließung der Grenzen, oder die Kriegserklärung an Berlin, die Europäische Zentralbank zur Konjunkturmaschine umzufunktionieren: Nichts davon verfängt. Nichts wird wirklich ernst genommen.
+++ Deutschland und Frankreich wollen wieder Grenzkontrollen +++
„Vor fünf Jahren, da hat man noch geglaubt, mit seinem Aktivismus, mit seinem Elan wird er Frankreich wieder nach vorne bringen“, sagt Briefmarkenhändler Dumas. Nach vorne bringen heißt für ihn: für mehr Gerechtigkeit sorgen, die französische Industrie ankurbeln, skandalöse Managergehälter zusammenstreichen, und Frankreich gegen das Spardiktat aus Brüssel und Berlin verteidigen. „In Frankreich lebt noch immer der revolutionäre Geist“, sagt er. Doch Sarkozy habe den mit Füßen getreten.
Gegen Deutschland hat er eigentlich nichts, sagt Dumas. Aus Deutschland kämen die besten Briefmarkenkataloge. Aber Kanzlerin Angela Merkel? Ihr Versuch, allen Euroländern ein Spardiktat zu verordnen, die Franzosen gar zu zwingen, eine Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben? „Das ist doch ein riesiger Fehler, das wird nicht funktionieren.“ Da solle die Kanzlerin mal von ihrem hohen Ross kommen, schließlich werde sie bald mit einem sozialistischen Präsidenten klarkommen müssen.
Gabriel träumt von mächtigem Verbündeten im Élysée
Der Rentner spricht vielen seiner Landsleute aus der Seele. Und das hat nicht nur Sarkozy verstanden, der deswegen plötzlich auch nichts mehr von einer Berufung des deutschen Schatzmeisters Wolfgang Schäubles zum Chef der Eurogruppe wissen will. Die Kandidaten am linken und rechten Rand überbieten sich mit EU-kritischen Parolen.
Ernst nimmt Berlin aber vor allem die Ankündigung Hollandes, den Fiskalpakt bei seinem Sieg nachzuverhandeln. Zwar akzeptiere er die strikten Haushaltsregeln, sagt der Sozialist. Aber wenn der Vertrag nicht um konkrete Wachstumselemente ergänzt werde, könne er der Nationalversammlung nicht die Unterzeichnung empfehlen. Bei der SPD frohlockt man schon. „Ein Sieg von Hollande wäre ein Signal für ein Europa, in dem es gerechter und sozialer zugeht“, sagt Parteichef Sigmar Gabriel im dapd-Interview. „Und das haben wir bitter nötig.“
Aber noch ist das Rennen nicht gelaufen. Am Sonntag treten zehn Kandidaten an. Hinter Hollande und Sarkozy liefern sich Marine Le Pen, die Populistin von der rechtsextremen Front National, und der wortgewaltige Jean-Luc Mélenchon von der Linksfront ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in der BVA-Umfrage kommen beide auf 14 Prozent. Enttäuscht sind viele Wähler der Mitte von Zentrumskandidat François Bayrou. Der Chef der kleinen Partei MoDem hatte vor fünf Jahren fast 19 Prozent errungen, nun dümpelt er bei zehn Prozent. Dabei ist Bayrou der einzige Kandidat, der keinem ideologischen Lager verhaftet ist.
Sarkozy hofft auf den Nahkampf
Auch wenn Hollande in Umfragen für die zweite Runde fast uneinholbar in Führung liegt: Die Entscheidung fällt erst am 6. Mai. Schließlich ist der Amtsinhaber ein leidenschaftlicher Kämpfer, und nach Sonntag kommt es endlich zu Nahduell mit Hollande. „Dann ist die Konfrontation endlich Projekt gegen Projekt, Persönlichkeit gegen Persönlichkeit“, sagt Sarkozy. „Dann steht Frankreich vor der Schicksalsfrage.“
Aber selbst konservative Beobachter halten die Wiederauferstehung ihres einstigen Hoffnungsträgers kaum noch für möglich. „Nach zwei Amtszeiten Chirac und einem Mandat für Sarkozy sitzen die Rechten seit 17 Jahren im Élysée-Palast“, sagt ein Diplomat. „Da wäre es ja wirklich ein Wunder, könnten sich die Sozialisten die Macht jetzt nicht zurückerobern.“ (dapd/abendblatt.de)