Gewalttätige Proteste, Angst vor Islamisierung und die Macht des Militärrats: Die Bilanz eines Jahres ohne den Despoten Husni Mubarak.
Frankfurt/Main. Ein Jahr nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak haben sich die Hoffnungen vieler Ägypter auf eine demokratische Ära nach Jahrzehnten der Diktatur nicht erfüllt. Die ersten Parlamentswahlen waren überschattet von Aufruhr auf den Straßen, die Bevölkerung ist tief gespalten und unsicher, wohin Ägypten mit den Muslimbrüdern als Wahlsieger steuert. Auf dem Tahrir-Platz wird immer noch protestiert, noch immer sterben Menschen auf den Straßen. Und der Militärrat, durchsetzt von Funktionären aus dem Mubarak-Regime, hat nach wie vor das Sagen.
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Die Proteste, die zwischenzeitlich einmal etwas leiser geworden waren, aber nicht gänzlich aufhörten, sind spätestens nach den Stadionausschreitungen in Port Said mit 89 Toten wieder aufgeflammt und zeigen, wie explosiv die Stimmung im Land ist. Die Forderungen der Demonstranten sind in der Sache gleich geblieben. Statt des Rücktritts Mubaraks verlangen sie nun den des Militärrats. Besonders verhasst ist ihnen dessen Leiter, Feldmarschall Hussein Tantawi, der eigentlich den Übergang zu freien und demokratischen Wahlen ebnen sollte. Einige Demonstranten fordern gar die Hinrichtung des langjährigen Verteidigungsministers und Vertrauten von Mubarak. Auch die gemäßigteren unter ihnen stimmen jedoch darin überein, dass ein Übergang zur Demokratie mit den Funktionären aus dem alten Regime nicht funktionieren kann.
Ratlosigkeit machte sich schon vor den Parlamentswahlen breit, für viele Bürger war der Gang zur Wahlurne der erste in ihrem Leben. „Wir haben keine Ahnung, für wen wir stimmen sollen“, sagte der 50-jährige Mustafa Attiya Ali, ein Friseur aus Kairo, am Tag vor dem Wahlauftakt Ende November vergangenen Jahres. „Wir kennen keine der Kandidaten. Aber meine Freunde und ich werden uns heute Abend noch zusammensetzen und entscheiden, wen wir wählen.“
Angst vor Islamisierung
Nachdem die unter Mubarak verbotene islamistische Muslimbruderschaft, größte und bestorganisierte politische Gruppierung im Land, die Wahlen wie erwartet mit fast 50 Prozent der Sitze gewonnen hatte, machten sich besonders unter den Frauen Zukunftssorgen breit. Sie, die während der Proteste gegen Mubarak besonders viel zu erleiden hatten, von den Sicherheitskräften geschlagen und entblößt wurden, befürchten nun, die Früchte ihres Kampfes nicht ernten zu dürfen, sondern im Gegenteil weiter in ihren Rechten beschnitten zu werden. Die Muslimbruderschaft stuft sich zwar selbst als moderat-islamisch ein. Als zweitstärkste politische Kraft gingen allerdings die radikal-islamischen Salafisten hervor, die die Scharia, das islamische Rechtssystem, notfalls auch mit Gewalt durchsetzen wollen.
Es ist noch nicht einmal klar, wie lange das neu gewählte Parlament im Amt bleibt. Nach Abschluss des mehrstufigen Wahlverfahrens sollten nach dem Zeitplan der Generäle die Verfassung ausgearbeitet und beschlossen sowie die Präsidentschaftswahlen Ende Juni abgehalten werden. Die Frage, ob das Parlament unter einer neuen Verfassung weiter amtieren kann oder Neuwahlen erforderlich sind, blieb offen.
Die Forderungen nach Präsidentschaftswahlen schon im April wurden nicht zuletzt nach den Stadionausschreitungen immer lauter. Auch der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat und ehemalige Chef der Arabischen Liga, Amr Mussa, sprach sich für eine vorgezogene Abstimmung aus. Die Muslimbruderschaft forderte den Militärrat nach den Ausschreitungen in Port Said auf, einen Ministerpräsidenten ihrer Partei zu benennen, der dann eine Regierung bilden solle. Die Interimsregierung sei mit der Bewältigung der Sicherheitsprobleme des Landes überfordert, sagte sie. Inzwischen laufen Ermittlungen der Behörden, inwieweit Schlägertrupps dafür bezahlt wurden, Mubarak-kritische Jugendliche anzugreifen. Zuletzt wurde wegen des Verdachts auf Anstiftung zu den Krawallen ein Bankchef an der Ausreise aus Ägypten gehindert.
Empörung über Razzien bei NGOs
Weltweite Empörung lösten auch die Razzien in den Büros von 17 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Ende Dezember aus, darunter auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Der regierende Militärrat setze auf Unterdrückungsmaßnahmen aus der Zeit des ehemaligen Präsidenten Mubarak, hieß es in der Stellungnahme der Organisationen. Die Razzien seien Teil des Vorgehens gegen die Anführer des Aufstands mit dem Ziel, die Drahtzieher der Revolution zu liquidieren.
Der Militärrat beschuldigte die NGOs indes, mit ausländischem Geld die Aufstände zu unterstützen und das Geld unter dem Deckmantel politischer Forschung zu waschen. Ein Behördensprecher vom ägyptischen Justizministerium sagte, eine frühere Untersuchung habe ergeben, dass die betroffenen NGOs bis zu umgerechnet rund 78 Millionen Euro aus dem Ausland erhalten und es mit ägyptischen Strohmännern auf Konten ägyptischer Banken geparkt hätten. US-Außenministerin Hillary Clinton drohte Ägypten bereits mit dem Stopp von Finanzhilfen. Für 2012 war geplant, dass Washington das Land mit Militärhilfen im Volumen von 1,3 Milliarden Dollar (980 Millionen Euro) sowie mit wirtschaftlichen Hilfen im Volumen von 250 Millionen Dollar unterstützt.
Das Geld hätte Ägypten bitter nötig. Der Tourismus und Direktinvestitionen aus dem Ausland, zwei Grundpfeiler der ägyptischen Wirtschaft, sind stark von den anhaltenden Unruhen beeinträchtigt. Die ägyptische Regierung hat sich bereits wegen eines Kredits von 3,2 Milliarden Dollar an den Internationalen Währungsfonds gewandt. Von der Weltbank möchte sie noch einmal eine Milliarde Dollar.
Unterdessen zieht sich der Prozess gegen Mubarak hin. Er muss sich gemeinsam mit seinem Sicherheitschef und vier Polizeikommandeuren wegen des Todes von rund 850 Demonstranten während des 18 Tage dauernden Aufstands im Februar vor Gericht verantworten. Sein Anwalt forderte jüngst, Mubarak solle Immunität vor Strafverfolgung genießen, da der von Krankheit geplagte 83-Jährige nicht formal zurückgetreten sei.